Döner für zwei. Susann Teoman

Читать онлайн книгу.

Döner für zwei - Susann Teoman


Скачать книгу
können?«

      »Können schon, aber dann könnte ich mein Jurastudium nicht in so kurzer Zeit beenden, dass ich mir damit die Karriere aufbaue, von der ich träume. Außerdem kann ich meine Eltern nicht im Stich lassen; sie brauchen meine Hilfe im Restaurant.«

      Tanja betrachtet interessiert ihre Fingernägel. »Wenigstens weißt du schon, was du gerne einmal werden willst. Du hast ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich dagegen habe noch immer keinen Schimmer, was ich nach dem Abi tun will.«

      »Ich an deiner Stelle würde die Praxis deiner Mutter übernehmen«, schlage ich vor.

      »Bäh! Du spinnst ja! Hast du eigentlich eine Ahnung, in welch widerliche Schlünder meine arme Mutter Tag für Tag schauen muss? Nee, die Zahnmedizin kann mir gestohlen bleiben!«

      Ich lache. »Da unterscheiden sich die Jobs unserer Eltern wohl nicht allzu sehr. Wir hatten neulich so einen Gast, Junge, Junge, wenn der den Mund geöffnet hatte, rückten alle einen Meter nach hinten, solche schwarzbraunen Ruinen hatte der anstelle seiner Zähne im Mund.«

      Tanja lacht nun auch, wird bald darauf aber wieder ernst. »Meine Eltern lassen mir im Gegensatz zu deinen so ziemlich alles offen, sie würden mich auch finanziell unterstützen, aber ich weiß wirklich nicht, was ich für den Rest meines Lebens tun soll. Ich meine, ›ein Leben lang‹ ist eine wirklich lange Zeit, nicht wahr? Was ist, wenn ich beispielsweise Neurochirurgie studiere oder einen anderen medizinischen Beruf, so, wie meine Eltern es sich wünschen, und dann, ein Semester bevor das Studium zu Ende ist, feststelle, dass mir beim Anblick von offenen Gehirnen übel wird? Dann ist der Zug für eine neue Karriere doch längst abgefahren!« Mit komischer Verzweiflung wirft sie sich mit dem Gesicht voran aufs Bett und schlägt in gespielter Trauer auf ihr Daunenkissen.

      »Du hast ja noch ein wenig Zeit, um dir zu überlegen, was du tun willst. Aber ich, ich werde nach dem Abi in meinen goldenen Käfig gesperrt, in unser Restaurant, aus dem ich nie wieder herauskann. Ich werde meine Intelligenz an unfreundliche und ständig mosernde Kunden verschwenden und Döner und Pide für den folgenden Tag bestellen. Herrliche Vorstellung!« Ich stütze hoffnungslos meine Ellbogen auf die Fensterbank. Warum nur bin ich nicht wie so viele andere Mädchen? Wenn ich es doch so sehr möchte, warum übergehe ich die Wünsche meiner Eltern nicht einfach und studiere? Die Antwort liegt offen auf der Hand: Ich liebe meine Eltern, sie sind meine Familie. So hart Baba manchmal auch sein mag, im Grunde hat er ein Herz aus Gold und ich hoffe noch immer, ihn irgendwie erweichen zu können, damit er meinem Wunsch zu studieren nachgibt und sich bereit erklärt, mich finanziell zu unterstützen. Bisher leider vergeblich.

      Tanjas Fenster bietet einen herrlichen Ausblick auf einen Park und das Nachbarhaus, eine rosafarbene Villa mit einem liebevoll gepflegten Garten, das ohne Weiteres das Titelblatt von »Schöner Wohnen« zieren könnte. Es sieht ein wenig aus wie ein kleines Schlösschen, außen ganz in puderzuckerrosa, die Marmorstufen, die zur Haustür führen, und die Fensterrahmen strahlen weiß im Licht der Sonne. Vor den Fenstern befinden sich Terracottakästen mit Blumen in allen Farben, die einen freundlichen Kontrast zu den hölzernen Fensterläden bilden. Ich habe dieses Haus immer schon gemocht. Es geht so eine angenehme, freundliche Atmosphäre davon aus. Gerade biegt ein Fahrrad in die mit weißem Kies bestreute Einfahrt.

      Es ist ein silbernes Rennrad, dessen verchromte Speichen im Licht der untergehenden Sonne funkeln. Auf ihm sitzt der atemberaubendste Typ, den ich je gesehen habe.

      »Tanja, schnell! Wer ist das?«, flüstere ich, als ob er mich hören könnte.

      Sie erhebt sich träge und tritt zu mir ans offene Fenster.

      »Ach, das ist nur Lukas, er ist auch auf unserer Schule, sogar in unserer Jahrgangsstufe. Aber ich kenne ihn kaum. Ist ja auch kein Wunder, er ist erst vor zwei Wochen hergezogen. Weiß nur, dass die Mädels alle ganz wild nach ihm sind.«

      Ich lehne mich versonnen aus dem Fenster. Mein Gott, ich kann diese Mädchen vollauf verstehen. Lukas hat Haare wie Nutella mit einer Spur Honig darin, es ist braun mit dunkelblonden Strähnen. Das und seine tiefbraunen und muskulösen Arme und Beine weisen darauf hin, dass er oft im Freien Sport treibt.

      Er sitzt ab und schiebt sein Fahrrad bis zu einem speziell dafür vorgesehenen Stellplatz. Mit einem Mal blickt er hoch zu Tanjas Fenster. Er hat die schönsten blauen Augen, die ich je an einem Menschen gesehen habe, und sie scheinen geradewegs in meine zu schauen. Für einen Sekundenbruchteil hängen unsere Augen aneinander, bevor ich registriere, dass ich ihn anstarre und mich schnell ducke.

      Ich Idiot! Warum um alles in der Welt habe ich den Typen nur so angeglotzt! Wie peinlich!

      Tanja grinst boshaft. »Oh, sieht ganz so aus, als hätte das Lukas-Virus dich auch erwischt! Aber ich muss dich leider enttäuschen. Sieht nett aus, unser Lukas, ist aber leider nicht besonders helle, weißt du. Er ist Fußballspieler in der ersten Mannschaft der A-Jugend des FC Köln, bei den Junioren. Er will später Profifußballer werden.«

      »Oh.« Mein Herz schlägt noch immer wie verrückt. Atemlos sage ich: »Schade!«

      »Schade?«

      »Na ja.« Ich wende mich Tanja zu, die sich an den Schreibtisch gesetzt und begonnen hat, ihre Biologiebücher auszupacken. »Erstens ist er sicher so ein Handtaschencasanova, der denkt, er wäre der Tollste, der sexiest man alive, was ihm ein paar Dutzend weiblicher Fans vermutlich bestätigen würden, die geifernd auf der Zuschauertribüne hocken und ihrem Star zujubeln.« Ich fühle mich wieder ein wenig sicherer und füge hinzu: »Und zweitens denke ich nicht, dass so ein verkapptes Model sich mit mir über die Wirtschaftskrise in der Türkei oder die Auswirkungen der Ölknappheit auf die globale Marktwirtschaft oder einfach nur über die Zellteilung der Amöben unterhalten kann. Er ist nur eine schöne Hülle, weiter nichts. Ein leeres Markengefäß, eine Vase aus der Ming-Dynastie etwa, die man sich anschaut, die aber kein vernünftiger Mensch kauft, so einfach ist das«, erkläre ich energisch, als würde ich ihn mir selbst ausreden wollen, und schlage meine Bücher auf.

      »Aha. So einfach ist das also«, wiederholt Tanja verschmitzt.

      Ich drehe mich ihr zu. »Was meinst du damit?«

      »Na, eben hatte ich doch glatt den Eindruck, dass du selbst auch liebend gerne eines dieser blökenden Mädels in seinen Fanreihen wärst.«

      »Mach dich nicht lächerlich!«, weise ich sie hochnäsig zurecht. »Und nun lass uns lieber mit Bio anfangen. Wo waren wir gestern stehengeblieben?«

      Tanja und ich haben weitestgehend dieselben Abiturfächer. Meine beiden Leistungsfächer, also die Fächer, die den Großteil meiner Noten ausmachen, sind Mathe und Deutsch, mein drittes, schriftliches Prüfungsfach ist Geschichte und mein mündliches Fach ist Biologie. Tanja hat dieselben Fächer in einer etwas anderen Kombination, sie hat Bio und Deutsch als Leistungskurse, Mathe als drittes Fach und Geschichte mündlich. Auf diese Weise können wir zusammen lernen und unser Wissen gegenseitig testen. Zusammen macht das außerdem viel mehr Spaß als allein. Normalerweise fällt es mir nicht sonderlich schwer, mich zu konzentrieren, aber heute ertappe ich mich selbst dabei, wie ich ständig aus dem Fenster schiele, in der Hoffnung, ihn noch einmal sehen zu können. Er zeigt sich nicht mehr und als ich mich gegen zehn von Tanja verabschiede und mich heimwärts auf mein Rad schwinge, bin ich insgeheim ein wenig enttäuscht.

      »Er ist nichts für dich, Aleyna Mevlana! Er sieht zu gut aus und überhaupt kennst du ihn nicht! Typen wie er tun dir nicht gut, das solltest du allmählich wissen!«, belehre ich mich selbst laut. Ich habe andere Probleme. Wirklich wichtige Probleme. Ich will Anwältin werden und zwar eine verdammt gute. Aylin, die Tochter unserer Nachbarin, studiert Jura im dritten Semester. Sie hat mir erzählt, wie teuer ihre Bücher sind, und das sprengt eindeutig meinen Verdienst im Restaurant. Selbst dann, wenn ich gebrauchte Exemplare kaufen und mich nur von Wasser und trockenen Brötchen ernähren würde, hätte ich noch immer nicht annähernd genug Geld, um in Heidelberg leben zu können. Ich will unbedingt Jura studieren, ich wünsche es mir mehr als alles andere, seit ich ein kleines Mädchen bin und die armen türkischen Mädchen und Frauen kennengelernt habe, die zu einer Ehe gezwungen und die von ihren Ehemännern brutal geschlagen wurden. Es gibt so viel Unrecht auf der Welt, das nur


Скачать книгу