Döner für zwei. Susann Teoman
Читать онлайн книгу.gesehen zumindest. Denn im Grunde will ich wirklich nicht für den Rest meines Lebens Kebap servieren und mich mit Baba streiten. Deshalb nutze ich den Moment der Versöhnung und sage deutlich: »Ich weiß, dass ihr das Restaurant auch für mich, für meine Zukunft aufgebaut habt. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Aber was, wenn es nicht das Richtige für mich ist? Was ist, wenn ich den Laden in den Ruin führe?«
Baba winkt ab. »Bis du den Laden übernimmst, ich sein ja noch da, um zu helfen dir. Du bist tüchtig, Aleyna, du schaffst das schon. Du bist sehr intelligent, MEIN Mädchen!«
»Aber das ist es ja gerade! Wenn ich das Restaurant eh erst in hundert Jahren übernehme, wenn ihr euch zur Ruhe setzt, dann kann ich in der Zwischenzeit doch genauso gut studieren gehen!«
Anne verdreht die Augen und Baba brüllt: »Schon wieder! Siehst du, Gül, DEINE Tochter tut es schon wieder!«
Anne dreht sich ruhig zu mir. »Darüber haben wir doch schon oft genug diskutiert, Aleyna. Das Studieren ist nichts für dich. Du musst dir keinen Job suchen, du hast ja schon einen. Wozu da noch so viel Geld sinnlos für ein Studium aus dem Fenster werfen?«
»Sinnlos? Anne, das ist nicht dein Ernst! Ich will Anwältin werden, um vor allem Ausländern in Not zu helfen! Das ist doch gut, oder etwa nicht?«
»Nix gut sein das!« Baba steht auf, wirft dabei seinen Stuhl um und fuchtelt hektisch mit den Händen in der Luft herum. »Du wollen erst wegschmeißen all unsere Geld und dann du verteidigen Hungerleider und nix verdienen dabei! Unsinn!«
Anne nimmt meine Hand. »Was Baba dir sagen will, ist, dass das Restaurant einen guten Verdienst abwirft. Mehr, als du als Anwältin verdienen könntest. Du musst doch einsehen, dass es ziemlich dumm ist, vier Jahre lang in etwas zu investieren, das keinen Gewinn abwirft, oder?«
Ich seufze. Es hat ja so was von keinen Zweck, meinen Eltern meinen eigenen Standpunkt zu erklären. Sie denken wie Geschäftsleute und wenn sie es sagen, dann hört es sich ja auch plausibel an. Man investiert in ein Unternehmen, damit es Profit abwirft. So ist das. »Aber ich bin kein Unternehmen, sondern eine Person!«, denke ich laut. »Mir ist nicht wichtig, wie viel ich verdiene, sondern dass ich glücklich bin. Und ich dachte bisher immer, dass euch das auch wichtig ist, Anne und Baba!«
Sie tauschen einen halb mitleidigen und halb nachsichtigen Blick aus. »So denkst du jetzt, aber in ein paar Jahren wirst selbst du einsehen, dass ein leerer Magen und leere Taschen dich auch dann nicht glücklich machen, wenn du den tollsten Job der Welt hast«, erklärt Anne milde.
Es hat einfach keinen Sinn. In den vergangenen Monaten haben wir drei uns immer und immer wieder wegen meines Wunsches, zur Universität zu gehen, gestritten. Meine Eltern ändern ihre Meinung keinen Deut.
»Ich muss jetzt nach oben gehen und Schularbeiten machen.« Ich schlurfe lustlos die Treppen hoch in mein Zimmer. Es ist ausweglos. Hoffnungslos. Besser, ich konzentriere mich auf meine Hausaufgaben, das wird mich ein wenig ablenken.
»Heute gibt es sicher hitzefrei«, höre ich einen Mitschüler sagen. »Könnte sein«, denke ich. Es herrschen Rekordtemperaturen. Man sagt, es sei der heißeste Sommer seit fünfundzwanzig Jahren. Schon jetzt, um zehn vor acht, herrscht eine Gluthitze, die den Asphalt auf der Straße flirren und die Blätter der Bäume vor Trockenheit kraus und braun werden lässt. Ein heißer Wüstenwind fegt über den Schulhof und lässt meine Lippen austrocknen.
Ich laufe schnell zu meinem Spind hinüber, in dem ich meine Sporttasche verstauen will, damit ich sie nicht von Klassenzimmer zu Klassenzimmer schleppen muss. Gelegentlich finden alle Stunden im selben Raum statt, vor allem, wenn es sich um die geisteswissenschaftlichen Fächer handelt, wechseln wir höchstens in die benachbarten Räume desselben Stockwerkes. Dann könnte man seine Sachen theoretisch neben sich stellen, weil man sie nicht tragen muss. Aber heute steht eine Doppelstunde Mathe im Hauptgebäude an, dann gibt es Bio und nachher Chemie in den Wissenschaftsräumen und erst nach der einstündigen Mittagspause um zwanzig nach eins habe ich noch einmal eine Stunde Badminton drüben in den Sporthallen.
Tanja stürmt mir mit glühenden Wangen entgegen. »Ich habe schon drei Nachhilfeschüler für dich rekrutiert! Bin ich nun toll oder was?«
Ich strahle. »Super! Wer sind denn meine neuen Schützlinge?« Neugierig beäuge ich den Zettel, den sie mir vor die Nase hält. »Maggie braucht Nachhilfe in Mathe, Berthe in Englisch und Hannah in Geschichte und Deutsch! Ich habe allen deine Handynummer gegeben.«
»Glaubst du, sie rufen an?«
»Klaro! Die Ärmsten waren so froh, dass ihnen jemand aus der Patsche hilft, dass sie mir die Nummer förmlich aus der Hand gerissen haben. Und ich wette, es kommen noch einige dazu.«
»Meinst du wirklich?«
Tanja lacht. »Sicher!«
Meine Nachhilfeschüler und ich verstehen einander prächtig. Viermal die Woche bleibe ich nach der Schule noch da, setze mich in ein leeres Klassenzimmer oder die Bibliothek und versuche da Licht hineinzubringen, wo für meine Schützlinge völlige Finsternis herrscht. Nach ein paar Wochen werden Tests und Klassenarbeiten geschrieben. Maggie steigert sich von einer Fünf in Mathe auf eine Vier plus, Berthe und Thomas, der später auch noch dazugekommen ist, verbessern sich um eine halbe Note und Hannah kommt in Geschichte sogar von einer Sechs auf eine Drei. Ich bin mit meinen Schülern hochzufrieden und sie sind es auch. Während ich in den Fluren an ihnen vorbeigehe, höre ich, wie sie begeistert von der neuen Nachhilfe berichten. Das macht mich zwar verlegen, aber auch etwas stolz. Doch vor allem freue ich mich, dass ich anderen helfen und dazu noch ein wenig Geld verdienen kann.
Die Mundpropaganda verhilft mir zu sechs weiteren Schülern, dann wollen noch einmal fünf dazukommen. Mittlerweile haben wir Juli, die Sommerferien stehen vor der Tür und meine neuen Nachhilfeschüler wollen sich vor allem durch die letzten Klassenarbeiten vor der Zeugniskonferenz aus dem Dilemma ziehen.
»Das schaffe ich einfach nicht!«, beschwere ich mich eines Tages bei Tanja. »Ich meine, ist ja toll, dass mein Unterricht so großen Anklang findet, aber fünfzehn Nachhilfeschüler sind schon eine Menge!«
»Ach, was, Mäuschen, hör auf, dich zu beschweren! Sei lieber froh, dass es so gut läuft.«
»Das bin ich ja auch, aber wie soll ich so vielen Leuten Unterricht geben, meine eigenen Hausaufgaben nicht vernachlässigen und im Restaurant aushelfen, kannst du mir das mal sagen?«
Tanja legt einen Moment den Kopf schief. Dann lächelt sie. »Ich bin in Chemie und Mathe gut. Wenn du willst, übernehme ich diese Fächer für dich.«
Ich werfe ihr einen zögerlichen Blick zu. Sie knufft mich scherzhaft in die Seite. »Unentgeltlich natürlich. Betrachte mich einfach als deine Wohltäterin. Bei Gelegenheit kannst du dich revanchieren.«
Ich falle ihr um den Hals. »Du bist die allerbeste Freundin, die ich mir vorstellen kann!«
»Na, na, da werden sie wieder mal sentimental!«, neckt uns eine Stimme.
Tanja dreht sich um und ein breites Lächeln lässt ihr Gesicht strahlen. »Hallo, Schatz!« Sie küsst ihren Freund hingebungsvoll.
Ich räuspere mich verlegen. »Hallo, Jonas.«
Er grinst. »Hallo, Aleyna. Habe gehört, das mit deinen Nachhilfestunden läuft gut?«
»Ja, danke. Ich komme kaum hinterher mit dem Unterricht.«
»Das freut mich. Hättest du eventuell noch Zeit für einen besonderen Fall?«
Ich seufze. »Tut mir echt leid, Jonas, aber da geht nichts mehr. Habe gerade ein paar meiner Schüler an Tanja abgetreten, ich denke nicht, dass ich noch mehr schaffe.«
Jonas wird ernst. »Bitte, Aleyna.«
»Geht es um dich? Wenn ja, helfe ich dir natürlich, kein Problem!«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, es geht um jemanden aus unserem Fußballteam. Seine Versetzung ist gefährdet, weil er Deutsch und Mathe nicht packt. Kannst du ihm nicht helfen?«
Ich