Endlich im Pferdeglück. Lise Gast
Читать онлайн книгу.grüßen und einen wunderschönen Tag wünschen –“
Anjas Mutter sah sie gerührt an. „Du bist Petra, nicht wahr? Von der Anja immer erzählt. Woher wusstest du denn –“
„Ihr Mann hat mich eingeladen“, berichtete Petra sprudelnd vor Eifer, „er sagte, für Anja wäre es vielleicht ein bisschen langweilig, wenn nur große Leute da sind. Darf ich den Täufling mal halten? Ich kann es bestimmt, ich lass ihn nicht fallen. Früher dachte ich immer, Täufling kommt von Teufel.“
„Ich auch“, sagte Mutter lachend und übergab Petra das Bündel, vorsichtig, aber ohne Besorgnis. „Du lässt ihn schon nicht fallen, da bin ich ganz sicher. Das war aber wirklich lieb von Vater, dich einzuladen –“ Sie blickte Anja auffordernd an. ‚Na los, nun sag schon‘ hieß dieser Blick.
„Ja. Danke, Vater“, sagte Anja nach einem Augenblick Zögern. Doch, es war lieb von Vater und nett ausgedacht, nur –
„Ich hab schon gehört, wie hübsch ihr wohnt, ihr seid ja erst hergezogen“, schwatzte Petra und trug den kleinen Jungen vor sich her, immer wieder in sein Gesicht hineinlachend. „So nahe am Reitverein – ja, wer das Glück hätte! Aber bei euch drin war ich noch nie!“
„Komm, Anja, nimm den anderen“, flüsterte Vater und legte ihr den kleinen Bruder auf den Arm. „Das ist hübsch anzusehen, wie ihr da an ihnen schleppt, das muss ich festhalten fürs Album. Ich hab den Foto da.“
Er machte nicht nur ein Bild. Der Schnee und die Sonne, die schöne Kirche im Hintergrund – alles bot sich geradezu an, geknipst zu werden, und auch Mutter und die Paten mussten immer wieder stillhalten, mit und ohne Täuflinge. Erst nach einer Weile setzte sich der kleine Zug endgültig in Bewegung, Richtung nach Hause, wo schon der gedeckte Tisch wartete.
„Wir trinken gleich Kaffee“, erklärte Mutter, „so hab ich es auch bei Anja gehalten. Nach der Kirche einen Kaffee und dazu Kuchen und abends dann etwas Warmes. Ich hab ja jetzt so viele und tüchtige Helfer!“
Anja sah ein wenig geniert zu Petra hin. Die war ja nun wahrhaftig nicht zum Helfen eingeladen worden! Aber sie schien geradezu mit aufgekrempelten Ärmeln hergekommen zu sein, sie fragte sofort von sich aus, ob sie Kaffee holen oder Sahne schlagen oder Kuchen aufschneiden dürfte, und war entzückt von der Durchreiche.
„Nein, so was Schönes haben wir in unserem ganzen Haus nicht! Da kann man ja durchkriechen – also ich käme durch, bestimmt! Und jemandem, der im anderen Zimmer ist, einen Ball an den Kopf werfen und sich dann ducken, damit er sich wundert, oder Kasperle spielen. Ja, Kasperle! Das machen wir später, wenn die Jungen größer sind und es schon kapieren, wollen wir, Anja? Ich hab Kasperpuppen zu Hause, die bring ich mit!“
„Wunderbar. Da ladet ihr mich aber dazu ein, das möchte ich miterleben“, sagte die junge Tante. „Hier, nimm bitte den Kuchen.“ Sie stand in der Küche und reichte Petra eine Platte nach der anderen durch. „Bist du zu Hause auch so patent und brauchbar?“
„Nein. Ein Faultier, wie es im Buche steht“, gestand Petra vergnügt. „Meine Mutter ärgert sich grün und gelb über mich. Aber hier gefällt es mir eben.“
So ist es wohl immer. Woanders sind die Kinder hilfsbereit und tüchtig, und zu Hause lassen sie sich jeden Handgriff abkaufen, dachte Mutter, die dieses Gespräch zufällig mitbekommen hatte, vielleicht benimmt sich Anja bei Hartwigs auch aufmerksam und gefällig. Hoffentlich …
Sie tat es übrigens auch heute und hier. Angesteckt von Petra lief sie hin und her und brauchte überhaupt nicht erst aufmerksam gemacht zu werden, wenn etwas fehlte, sondern wetteiferte mit der jungen Tante und Petra darin, tüchtig zu sein. Mutter konnte nur staunend den Kopf schütteln, aber sie lachte dabei.
Der Tisch war mit Kerzen und Tannengrün geschmückt, er sah wirklich hübsch aus.
Und die Täuflinge benahmen sich ebenfalls hervorragend, nuckelten ihre Fläschchen und schliefen dann im Nebenzimmer, wohin man sie verfrachtet hatte, dick und satt ein.
„Dick und satt bin ich auch“, verkündete Tante Sabine, die eine Taille hatte wie eine Mondscheinprinzessin, „ich muss mich jetzt unbedingt rühren, sonst habe ich fünf Pfund Schlachtgewicht drauf, und dann passt mir kein Kleid mehr. Darf ich spülen gehen?“
„Nein, das darfst du nicht!“, sagte Mutter mit lachenden Augen, „weißt du, was mein Teurer mir zur Taufe geschenkt hat? Eine Spülmaschine! Ist das nicht wunderbar? Nun brauche ich nie mehr abzuwaschen!“
„Und ich nicht mehr abzutrocknen, das hasse ich!“, flüsterte Anja so laut zu Petra hinüber, dass alle es hörten und lachen mussten. Mutter erhob sich.
„Aber einräumen darfst du die Maschine, Sabine, wenn du möchtest. Komm, ich zeige dir, wie man es macht. Und dann …“
» … gehen wir ein Stück in den Schnee hinaus, ehe es dunkel wird“, schlug Vater vor. „Die Jungen können im Kinderwagen schlafen, und die frische Luft und etwas Bewegung täte uns allen gut.“
„Ja! Zum Reitverein!“, rief Petra sofort. „Dort wird heute geübt fürs Nikolausreiten, ich wäre dabei, wenn ich nicht hierher eingeladen worden wäre. Aber die Rumpel macht bestimmt, was sie soll, weil man sie doch nicht allein im Haus lassen kann, auch wenn ich sie einen Tag weniger reite. Kommen Sie?“
Ihr Gesicht war eine einzige Frage. Vater lachte.
„Dir kann man nicht widerstehen. Und wir wollten schon lange einmal hin und uns ansehen, was Anjas Einundalles ist, seit wir hier wohnen.“ Er sah seine Frau an und nickte ihr zu. „Meinst du, die Jungen tun uns den Gefallen und schlafen weiter, wenn wir sie schieben?“
„Bestimmt. Es sind ja nur ein paar Schritte!“, sagte Mutter. Und dann zogen sie alle miteinander los.
Anja war nicht recht wohl in ihrer Haut. Nie, niemals hätte sie gewagt, die Eltern einfach aufzufordern, dass sie mitgingen, vielleicht war das dumm. Vielleicht fanden sie es wunderschön dort …
Eltern finden ja immer ein Aber. Immer, immer. Wenn man von irgendwas begeistert ist, finden sie es gefährlich oder nicht passend oder zu teuer. Anja kannte das schon. Sie war so lange genug Mutters Einzige gewesen, ihr Einundalles, gewiss, aber doch lebenslang ihr Baby. Nicht auf der Straße Rad fahren, nicht allein oder mit Freundinnen schwimmen gehen, nie später als um sieben zu Hause sein. Und so klein ist man mit zehn Jahren doch wahrhaftig nicht mehr. So ging sie also mit etwas zwiespältigen Gefühlen an diesem Adventssonntag mit der ganzen Familie den Weg, den sie sonst jeden Tag heimlich lief, eilig, sich dauernd umguckend, ob Mutter ihr etwa nachsah.
Der alte Stall mit dem gemütlichen Walmdach machte sich im Schnee wunderschön, und der Halle, die, etwas unterhalb gelegen, modern und zweckmäßig gebaut war, stand der weiße Schmuck auch gut. Sie gingen darum herum und an der anderen Seite hinein, weil geritten wurde. Petra schob die schwere Tür lautlos auf, und nacheinander traten sie an die Barriere. Dort standen ein paar Bänke, sodass man sich setzen konnte. Es war kalt, man sah den Hauch vor dem Mund.
Die Halle war schon für das Nikolausreiten vorbereitet und wirkte deshalb verändert. In der Mitte hatte man vier Hindernisse zu einem Kreuz aufgebaut, in dessen Mitte ein riesiger Tannenkranz lag. Die Hindernisse waren nicht hoch, etwa 80 Zentimeter, und an ihren Enden stand je eine dicke Kerze, die aber heute noch nicht angezündet war. Vier Reiter in schwarzen Jacken und Kappen bewegten ihre Pferde, ritten zunächst nur auf dem Hufschlag in der Halle rundum, erst im Schritt, später im Trab. Der Reitlehrer stand etwas abseits der Hindernisse und gab die Kommandos.
„Dort ist meine Rumpel, Paul reitet sie heute“, flüsterte Petra aufgeregt. „Es müssen vier sein, sonst geht es nicht auf. Sie reiten eine Springquadrille.“
Ja, es wurde sehr spannend. Petras Aufregung steckte an. Jetzt hieß es „Galopp marrrrsch!“, und sogleich fielen alle vier in Galopp. Erst auf dem Hufschlag, dann, nachdem der Reitlehrer ein Zeichen gegeben hatte, im Kreis und so, dass sie jedes Mal eins der Hindernisse nahmen. Das sah leicht und gefällig aus, war aber, wie Petra hinterher erklärte, „sauschwer“. Denn jedes Pferd musste genau im selben Moment springen wie die drei