James Bond 17: Der Kunstsammler. John Gardner
Читать онлайн книгу.blutverschmierten Lippen drang ein schreckliches Rasseln.
»Alles vorbei!«, rief Bond dem Flugzeugkapitän zu und hoffte, dass das tatsächlich der Fall war. Seit der Explosion der ersten Rauchbombe waren nicht mehr als neunzig Sekunden vergangen.
»Ich sehe unten nach«, rief er dem SAS-Mann zu, der über dem verletzten Entführer kniete. Im Hauptbereich des Flugzeugs hatte sich der Rauch fast verzogen, und Bond schenkte der blassen Chefstewardess ein Lächeln. »Beruhigen Sie die Leute«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung.« Er tätschelte ihren Arm und sagte ihr dann, sie solle nicht in die Nähe der vorderen Bordküche in der Executive Class gehen.
Er selbst ging in diese Richtung, schob Leute zur Seite und befahl den Passagieren streng, sich wieder hinzusetzen. Er bedeckte den Körper der toten Stewardess mit einem Mantel.
Die beiden verbliebenen SAS-Männer waren ganz nach Vorschrift im hinteren Bereich des Flugzeugs geblieben, um mögliche Fluchtpläne zu vereiteln, die die Terroristen vorbereitet haben könnten. Während James Bond durch die gesamte Boeing marschierte, musste er schmunzeln. Die drei hartgesotten wirkenden jungen Männer und die Frau, die er für Verdächtige gehalten hatte, als sie in Bahrain an Bord gekommen waren, sahen nun sogar noch blasser und erschütterter aus als die anderen Passagiere.
Als er die Wendeltreppe wieder hinaufstieg, ertönte die ruhige Stimme der Chefstewardess aus der Bordsprechanlage. Sie informierte die Passagiere darüber, dass sie in Kürze in London Heathrow landen würden und entschuldigte sich für die – wie sie es bezeichnete – »ungeplanten Unannehmlichkeiten«.
Der SAS-Offizier schüttelte den Kopf, als Bond in die Penthouse-Suite kam. Der Entführer, den Bonds zweites Messer getroffen hatte, lag nun ausgestreckt über zwei Reservesitzen. Sein Körper war mit einer Plastikplane bedeckt. »Keine Chance«, sagte der SAS-Offizier. »Der hat nur ein paar Minuten durchgehalten.«
Bond fragte, ob der Mann das Bewusstsein wiedererlangt hätte.
»Nur kurz am Ende. Er hat versucht, zu sprechen.«
»Oh?«
»Ich selbst konnte damit nichts anfangen.«
Bond drängte ihn, sich an die Worte zu erinnern.
»Tja … er schien etwas sagen zu wollen. Es war allerdings sehr undeutlich. Klang wie ›Inspector‹. Er röchelte und hustete Blut, aber sein letztes Wort klang eindeutig danach.«
James Bond wurde still. Er nahm für die Landung auf einem der Sitze in der Nähe Platz. Als sich die 747 jaulend und mit komplett ausgefahrenen Landeklappen dem Boden näherte, die Störklappen aufstellte, das Fahrwerk ausfuhr und sanft auf Landebahn 28R aufsetzte, grübelte er über die letzten Worte des Entführers nach. Nein, dachte er, das war zu weit hergeholt, eine Besessenheit aus seiner Vergangenheit. Inspector. In … spector. Vergiss das »In«.
War das nach all der Zeit möglich?
Er schloss kurz die Augen. Der lange Flug und der plötzliche blutige Zwischenfall gegen Ende mussten seinen Geist verwirrt haben. Der Gründer, Ernst Stavro Blofeld, war zweifellos tot, SPECTRE als organisierte Einheit war mit Blofeld ausgelöscht worden. Aber wer konnte das schon genau sagen? Die ursprüngliche Organisation hatte einst die ganze Welt umspannt und ihre Finger in praktisch jedem bedeutenden Verbrechersyndikat sowie auch in den meisten Polizeieinheiten, Sicherheitsorganisationen und Geheimdiensten der sogenannten zivilisierten Welt gehabt.
Inspector. In … spector. SPECTRE, sein alter Feind, die Spezialeinheit für Chaos, Terrorismus, Rache und Erpressung. War es möglich, dass sich eine neue Version von SPECTRE wie ein schrecklicher mutierter Phönix erhoben hatte, um sie erneut heimzusuchen?
Die Motoren der 747 verstummten. Ein glockenähnliches Signal forderte die Passagiere zum Verlassen des Flugzeugs auf.
Ja. James Bond kam zu dem Schluss, dass das sehr wahrscheinlich war.
DAS HAUS AM BAYOU
Es stand verfallen und unbrauchbar auf dem einzigen festen Flecken Erde inmitten von Sumpfland. Der bayou floss um es herum und teilte sich dann, um sich seinen Brüdern anzuschließen und in den dunstigen grünen Sümpfen zu verschwinden.
Die nächstgelegene Stadt war knapp zehn Kilometer entfernt, und die wenigen Menschen, die in der Nähe dieses großen, wässrigen Sumpfs in den unteren Abschnitten des Mississippis lebten, hielten sich von dem schlammigen Ufer auf der anderen Seite des Hauses fern.
Sehr alte Menschen sagten, irgendein verrückter Engländer hätte das Haus in den 1820ern als großen Palast erbaut, von dem aus er den Sumpf zähmen wollte. Aber er kam nicht weit. Es gab Probleme mit einer Frau – in manchen Versionen war es mehr als eine Frau – und es hatte zweifellos Todesfälle gegeben, durch Fieber und Krankheit und auch durch Gewalt. In dem Haus spukte es eindeutig. Es gab unerklärliche Geräusche. Außerdem wurde es von etwas besonders Bösem beschützt: Es wurde von Schlangen bewacht, riesigen Schlangen von einer Art, die in anderen Teilen des Sumpfs nicht vorkam. Diese riesigen Schlangen – manche berichteten, sie seien bis zu neun oder sogar zwölf Meter lang – hielten sich nah am Haus auf, doch wie Askon Delville, der Besitzer des nächstgelegen Ladens, immer sagte: »Criton zumindest scheinen sie in Ruhe zu lassen.«
Criton war ein Taubstummer. Die Kinder liefen vor ihm davon und die Erwachsenen mochten ihn nicht. Aber da die großen Schlangen Criton in Ruhe ließen, ließ Askon Delville ihn ebenfalls in Ruhe.
Der Taubstumme kam einmal pro Woche mit einem Sumpffahrzeug herüber und lief dann die acht Kilometer mit einer Liste der notwendigen Dinge bis zu Askons Laden. Er holte die Waren ab, lief anschließend die acht Kilometer wieder zurück, stieg in sein Sumpffahrzeug und verschwand auf der anderen Seite des bayou.
Im Haus lebte auch eine Frau. Hin und wieder erhaschten die Leute einen Blick auf sie, und es bestand kein Zweifel daran, dass sie diejenige war, die die Liste anfertigte, mit der Criton in Askon Delvilles Laden auftauchte. Sie war natürlich eine Art Hexe, sonst wäre sie wohl kaum in der Lage, in einem solchen Spukhaus zu wohnen.
Die Leute achteten darauf, sich von dem Ort fernzuhalten, wenn die Versammlungen stattfanden. Sie wussten immer, wann es wieder eine geben würde. Askon teilte es ihnen mit. Er wusste es aufgrund von Critons Einkaufsliste. Am Tag einer Versammlung unternahm Criton für gewöhnlich zwei Touren, weil im Haus so viele zusätzliche Dinge benötigt wurden. Bei Einbruch der Dämmerung hielt man sich dann erst recht fern. Es gab Geräusche, Automobile, zusätzliche Sumpffahrzeuge und das Haus, so hieß es, war hell erleuchtet. Manchmal gab es auch Musik, und einmal, vor etwa einem Jahr, war der junge Freddie Nolan – der sich vor nichts fürchtete – mit seinem eigenen Sumpffahrzeug rausgefahren. Er war gut drei Kilometer stromaufwärts gefahren, denn er hatte vorgehabt, sich heranzuschleichen und ein paar Fotos zu machen.
Niemand hatte den jungen Freddie Nolan je wiedergesehen, nur sein Sumpffahrzeug war wieder aufgetaucht. Es war völlig zertrümmert gewesen, als hätte irgendein großes Tier – vielleicht eine Schlange – es erwischt.
In dieser Woche würde eine weitere Versammlung stattfinden.
Abgesehen von Criton und der Frau – die auf den Namen Tic hörte – sowie den monatlichen Besuchern wusste niemand, dass das Innere des Hauses so stabil wie das Stück Felsen war, auf dem man es erbaut hatte. Die alte, verrottende Stülpschalung an den Außenwänden war nur eine Hülle für das, was dahinter verbogen lag: Stein, Ziegel, Glas und Stahl, ganz zu schweigen von einer ordentlichen Portion Reichtum.
Diesen Monat waren elf Leute gekommen: zwei aus London, zwei aus New York, ein Deutscher, ein Schwede, ein Paar Franzosen, einer aus L. A., ein großer Mann, der jeden Monat den ganzen Weg von Kairo herkam, und der Boss. Der Boss hieß Blofeld, war jedoch in der Außenwelt unter einem anderen Namen bekannt.
Sie speisten prunkvoll. Später, nach Dessert und Kaffee, ging die