James Bond 17: Der Kunstsammler. John Gardner
Читать онлайн книгу.Sogar die Stewardess hatte, wie mittlerweile bewiesen war, einige Strippen gezogen, um diesem speziellen Flug zugeteilt zu werden. Obwohl sie seit fast drei Jahren für British Airways arbeitete, gab es in ihrer Vergangenheit ebenfalls Verbindungen zu Treiben.
Am verstörendsten waren jedoch die letzten Worte des sterbenden Terroristen sowie die Tatsache, dass Treiben einst ein Mitarbeiter des berüchtigten Ernst Stavro Blofeld gewesen war, dem Gründer und Anführer der ursprünglichen multinationalen Organisation SPECTRE.
Weitere Ermittlungen verstärkten ihre Sorge. Nach all den Flugzeugentführungen konnte man nun sechs Männer eindeutig identifizieren. Zwei von ihnen waren bekannte Gangster, die auf der Gehaltsliste von Michael Mascro standen, dem größten Kriminellen von Los Angeles. Ein weiterer konnte mit Kranko Stewart und Dover Richardson in Verbindung gebracht werden, zwei »Fixern« und Gangstern aus New York. Zwei arbeiteten ausschließlich für Bjorn Junten, den schwedischen Experten für unabhängige Geheimdienstarbeit, dessen privater Spionagedienst dem höchsten Bieter stets offenstand. Der sechste identifizierte Mann hatte mit den Banquette-Brüdern aus Marseille zu tun – einem Schurkenpaar, gegen das sowohl die französische Polizei als auch der französische Geheimdienst (der Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionage) seit zwanzig Jahren belastende Beweise suchte.
Wie der Deutsche, Treiben, hatten die Auftraggeber der identifizierten Männer – Mascro, Stewart, Richardson, Junten und die Banquette-Brüder – ihre eigenen persönlichen Verbindungen zu Ernst Stavro Blofeld und SPECTRE.
Es konnte nur eine Schlussfolgerung geben: SPECTRE existierte noch und agierte wieder.
Bond zündete sich eine seiner speziellen Zigaretten mit geringem Teergehalt an, die früher Morlands in der Grosvenor Street für ihn hergestellt hatte und die nun – nach endlosen Diskussionen und einigen umgangenen Vorschriften – von H. Simmons in der Burlington Arcade produziert wurden: dem ältesten bekannten Zigarettenhersteller Londons. Sie hatten sogar eingewilligt, die charakteristischen drei goldenen Ringe auf jeder der speziell angefertigten Zigaretten beizubehalten – zusammen mit ihrem eigenen Markenzeichen –, und Bond fühlte sich mehr als nur ein wenig geehrt, dass er der einzige Kunde war, der Simmons zu personalisierten Zigaretten überreden konnte.
Bond blies den Rauch Richtung Decke, da Q’utie neben ihm immer noch tief und zufrieden schlief, und dachte an die anderen Frauen, die in seiner Karriere beim Service eine so entscheidende Rolle gespielt hatten: Vesper Lynd, die im Tod wie eine steinerne Statue auf einem Grab gewirkt hatte; Gala Brand, die nun Mrs Vivian war, drei Kinder hatte und in einem hübschen Haus in Richmond lebte (sie schickten sich gegenseitig Weihnachtskarten, aber er hatte sie nach der Sache mit Drax nie wiedergesehen); Honey Rider; Tiffany Case; Domino Vitale; Solitaire; Pussy Galore; die herrliche Kissy Suzuki; seine letzte Eroberung, Lavender Peacock, die mittlerweile mit großem Erfolg ihr schottisches Anwesen verwaltete. Trotz der warmen und aufrichtigen Zuneigung, die Ann Reilly selbst im Schlaf ausstrahlte, tobte Bonds Verstand. Wieder und wieder richteten sich seine Gedanken auf Tracy di Vicenzo – Tracy Bond.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Bond sein Gedächtnis verloren hatte. Doch die Experten hatten ihn aus der Dunkelheit des Unwissens zurückgeholt, und nun sah er Ernst Stavro Blofelds letzte Augenblicke klar und deutlich vor sich – Blofeld in seinem grotesken japanischen Todesschloss mit dem giftigen Garten: der letzte Kampf, als Bond viel zu schlecht ausgerüstet gewesen war, um es mit dem großen Mann aufzunehmen, der sein tödliches Samuraischwert schwang. Und doch hatte er es geschafft, dank der größten Gier nach dem Blut eines anderen Mannes, die er je verspürt hatte. Selbst jetzt verspürte Bond noch einen Schmerz in seinen Daumen, wenn er zu lange an Blofeld dachte: Er hatte den Mann mit bloßen Händen erwürgt.
Ja, Blofeld war tot, aber SPECTRE lebte weiter.
Bond drückte die Zigarette aus, drehte sich auf die Seite und versuchte zu schlafen. Als endlich die willkommene Dunkelheit sein Bewusstsein verschluckte, fand James Bond immer noch keine Ruhe. Er träumte, und seine Träume handelten von seiner geliebten verlorenen Tracy.
Er schreckte aus dem Schlaf auf. Ein Lichtschimmer fiel durch die Vorhänge. Als er sich umdrehte, um einen Blick auf die Rolex auf dem Nachtisch zu werfen, stellte Bond fest, dass es fast Viertel vor sechs war.
»Spät ins Bett, früh wieder einsatzbereit«, sagte Q’utie kichernd und schob eine Hand unter die Bettdecke, um ihrem Witz eine Pointe zu verleihen.
Bond schaute zu ihr hinunter und ließ ein einnehmendes Lächeln aufblitzen. Sie griff nach oben, küsste ihn, und sie machten genau dort weiter, wo sie in der vergangenen Nacht aufgehört hatten, bis das Piepen von Bonds Pager sie unterbrach.
»Verdammt«, keuchte Q’utie. »Können die dich denn nie in Ruhe lassen?«
Bond griff nach dem Telefon und erinnerte sie in bissigem Tonfall daran, dass sie selbst ihn in der vergangenen Woche drei Mal wegen geschäftlicher Angelegenheiten über seinen Pager kontaktiert hatte. »Es gibt nie einen richtigen Zeitpunkt«, sagte er und lächelte lustlos, während er die Nummer des Hauptquartiers wählte.
»Transworld Export«, meldete sich die Stimme des diensthabenden Schaltbrettmitarbeiters.
Bond identifizierte sich. Es gab eine Pause, dann erklang Bill Tanners Stimme: »Sie werden gebraucht. Er war die halbe Nacht über hier und will Sie so schnell wie möglich sehen. Etwas sehr Großes ist im Gange.«
Bond schaute zu Q’utie. »Bin schon auf dem Weg«, sagte er in den Hörer. Dann legte er auf und erzählte ihr, was Bill Tanner ihm gerade mitgeteilt hatte.
Sie schob ihn aus dem Bett und sagte ihm, er solle mit dem Angeben aufhören.
Bond rasierte sich murrend – hauptsächlich, weil er kein anständiges Frühstück bekommen würde – und zog sich an, während Ann Reilly Kaffee machte.
Der silbern glänzende Saab stand draußen vor dem Wohnhausblock. Er hatte ihn erst kürzlich zurückbekommen, nachdem er sowohl von Saab als auch von der Sicherheitsfirma, die Bond privat ausstattete, überholt worden war. Die Sicherheitsfirma hatte die besondere Technologie in den turbobetriebenen Wagen eingebaut. Er beschleunigte mühelos innerhalb von Sekunden.
Es herrschte wenig Verkehr, und er brauchte nur zehn Minuten in einem entspannten Fahrstil – das Auto reagierte auf Bonds Füße und Hände wie das Vollblut, das es war –, um zu dem großen Gebäude am Regent’s Park zu gelangen. Dort nahm Bond den Aufzug in den neunten Stock und marschierte direkt in Ms Vorzimmer, wo Miss Moneypenny niedergeschlagen an ihrem Schreibtisch saß.
»Guten Morgen, Penny.« Bond fühlte sich zwar ein wenig erschöpft, zog für seine alte Flirtpartnerin aber trotzdem eine Schau ab.
»Vielleicht ist er für Sie gut, James. Aber ich war die halbe Nacht wach.«
»Wer nicht?« Ein Blick vollendeter Unschuld.
Moneypenny schenkte ihm ein mattes Lächeln. »Der Gerüchteküche zufolge waren Sie dabei in der Gesellschaft einer hübschen jungen Frau aus der Q-Abteilung, James. Also schätze ich, dass Ihr Herz wohl bereits einer anderen gehört.«
»Penny«, Bond ging auf Ms Tür zu, »ich habe nur ein Herz. Und das gehörte schon immer Ihnen. Sie können es haben, wann immer Sie wollen.«
»Das hätten Sie wohl gerne«, schoss Moneypenny mit mehr als nur einem Hauch Verärgerung zurück. »Sie sollten besser reingehen, James. Er hat mir aufgetragen, Sie sofort zu feuern, sobald Sie hier ankommen. Seine Worte.«
Bond zwinkerte ihr zu, richtete seine Royal-Navy-Krawatte, klopfte an Ms Tür und trat ein. M sah müde aus. Das war das Erste, was Bond auffiel. Das Zweite war die junge Frau – klein, wohlproportioniert, athletisch, aber mit einem zweifellos weiblichen Lächeln und dunklem Haar, das zu einer dichten Lockenmähne frisiert war.
Sie begegnete Bonds Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Irgendetwas an ihren großen braunen Augen kam ihm bekannt vor, als hätte er die Frau schon einmal gesehen oder getroffen.
»Kommen Sie rein, 007«, sagte M. Seine Stimme klang gereizt. »Ich glaube nicht, dass