Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel

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Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman - Franz Werfel


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haben unter dem grellen und ewig wolkenlosen Himmel dort oben. Ist es nicht Wesen des Schöpferischen überhaupt, daß es sich im Anfang der wahllosen Üppigkeit befleißigt, um auf dem Höhepunkte, durch auswählende Kritik gezügelt, einer vornehmen Kargheit und fast heiligen Sterilität zuzuneigen? Wir nannten das seinerzeit den Weg zum Klassischen und Monumentalen.“

      B.H.s Blicke nahmen mich an die Kandare. Ich hatte mit meiner Kulturphilosophie wahrscheinlich wieder die Grenze überschritten. Das Wort „heilige Sterilität“ glich einem Tintenklecks auf einem säuberlichen Glückwunschbrief.

      „Mein Freund bevorzugt seit jeher allgemeine Reflexionen“, sagte B.H. und lächelte begütigend nach allen Seiten, „das ist so seine Art.“

      Der Hausherr Io-Fagòr aber senkte nachdenklich den Kopf. Mein physiognomisches Unterscheidungsvermögen hatte sich nun schon so weit entschleiert, daß ich genau empfand, dieses ist nicht nur der vornehmste, sondern auch der bedeutsamste Mann unter den Anwesenden. Es schien mir, als sei sein Gesicht blasser und männlicher als das der andern. (Die Glätte der Haut und das Fehlen der Rasur auf den Männergesichtern hatte anfangs einen störenden Eindruck bei mir hervorgerufen.) Io-Fagòr sprach mit einer tiefen Stimme, an meine Worte anknüpfend:

      „Ich verstehe Seigneur sehr wohl. Er hat recht, wenn er das Erreichte lobt. Wir könnten ganz zufrieden sein mit dem Zustand unter unserm ewig grellen und ewig wolkenlosen Himmel, wenn nur die Natur sich überreden ließe, solch einem günstigen Zustand konservative Dauer zu verleihen. Aber die Natur führt immer etwas im Schilde. Und was den Menschen betrifft, unsre guten Familien sind nicht alle auf der Höhe ihrer Aufgabe. Das lässig häusliche Leben, die tatlos beschauliche Ruhe, die Freiheit von allen Zwecken und Zwängen, das heitere, absichtslose Spiel, alles was Gott uns nach so vielen Wirrsalen eines schier endlosen Altertums geschenkt hat, ohne daß wir ein schlechtes Gewissen darum haben müssen, es wird von unsern Kindern nicht mehr als Lust empfunden . . .“

      Und indem er sich mit einer tiefen Verbeugung an die Ahnfrau wandte, der die archaisch stilisierten Locken der Silberperücke sich über den makellos zarten Nacken ringelten, schloß er:

      „Ihre Generation, Madame, war die absolute Höhe, denn sie kannte keinen Zweifel.“

      Die Ahnfrau lächelte mit blitzend weißen Zähnen und hellen Augen, die freilich recht tief in den Höhlen lagen. Ich empfand jetzt beim Anblick dieses schönen Gesichtes einen leichten Schreck, ich kann nicht sagen warum. Vielleicht ahnte ich einen Zynismus ohnegleichen, den die folgenden Worte der Ahnfrau preisgaben oder auch verbargen:

      „Ja, was man gehabt hat, das hat man gehabt.“

      Meine Worte schienen vorhin den Hausherrn bekümmert zu haben. Es war nun an mir, meinen Fehler zu verbessern:

      „So wenig ich auch noch mit meinen eigenen Augen in Ihrer Welt gesehn habe“, begann ich, „so sehr kann ich doch bereits das Ungeheure beurteilen, das Sie in der Wohleinrichtung des Lebens geleistet haben. Es ist Ihnen gelungen, die menschliche Lebensdauer rund zu verdreifachen, und viel mehr als dies, es ist Ihnen gelungen, diesem Leben den häßlichen Verfall des Alters fernzuhalten. Einem Traum, der so alt ist wie der Mensch selbst, haben Sie, dem Augenschein nach, zur Erfüllung verholfen. Der Jungbrunnen der frühesten Sagen und Märchen ist Wirklichkeit geworden. Sie alle sind ewig jung und ewig schön wie die Götter Griechenlands. Ich erwähne diese Götter eigens, weil es mich so heimisch anmutet, daß Sie in Ihre Sprache griechische Wörter mischen. Aber vielleicht wissen Sie nichts mehr von dem Ursprung dieser Wörter. Sie haben ferner das Problem gelöst, das uns zu meiner Zeit am tiefsten niederdrückte. Die Arbeit ist kein Fluch mehr, den eine Welt von Sklaven zugunsten einiger Nutznießer oder Regierer trägt. Sie haben aber mit diesem Fluch zugleich den Fluch der Technik abgeschafft, der die Sklaven und Nutznießer insgleichen um ihre Seele brachte, indem er sie mit Massenwaren, Massengenüssen, Massenkünsten, Massennichtigkeit und Massenmord überschwemmte. Es geht in Ihrer Welt alles so unfaßbar leicht zu. Ein köstliches Festmahl, aus den konzentriertesten Substanzen bestehend, gewissermaßen das Rosenöl der Nährfreude, es wird zentral hergestellt, doch auf Grund höchst persönlicher und seit Jahrhunderten patrizisch vererbter Rezepte. Sie reisen auf mentalem Wege, indem Sie das Ziel mittels eines Spielzeugs auf sich zu bewegen, was nicht die geringsten Kosten verursacht und keinen Dampf, kein Öl, keine Elektrizität oder sonstigen Kraftverbrauch in Anspruch nimmt. Sie haben den Globus unifiziert. Es gibt keine Rassen und Nationen mehr, sondern nur eine einzige Menschheit. Es gibt auch keine Sprachen mehr, sondern nur eine einzige Sprache, die Monolingua, kein künstliches Esperanto, sondern eine organische Sprache des Wohllauts, und ich muß Sie um Nachsicht wegen des barbarischen Akzentes bitten, den meine schwere Zunge aus der Vorzeit mitschleppt. Es gibt auch nicht mehr den ursprünglichen Unterschied zwischen Stadt und Land, den Unterschied zwischen der landschaftlich erhabenen Einöde, in der einst der unbelehrte Ackerbauer oder Bergbewohner sein hartes Leben fristete und der dicht gedrängten Großstadt, der lasterhaften und infektiösen Megalopolis, wo die proletarisierten Millionen keinen Raum und keine Zeit hatten. Sie haben, die gesellschaftliche Bestimmung der Menschheit vollendend, die Erde umgeschaffen zur All-stadt, zur Panopolis — verzeihen Sie einem alten Humanisten die klassische Wortbildung — Pan und Panis, zur All-stadt und zur Brotstadt, denn jedermann bekommt das zur Ernährung Notwendige in der Form des leichtesten, des raffiniertesten, des familiärsten Genusses ins Haus geliefert, und zwar ohne eitel großmächtige Technik, ohne Röhrenleitungen und hydraulische Vorrichtungen, an die nur zu denken bereits den Appetit verdürbe. Ich gestehe, zu meiner Zeit hätte ich nicht geglaubt, daß dies alles je würde erreicht werden können . . .“

      Das Mahl schien zu Ende zu sein. Ich hatte das süß und eiskaltcremige Tränklein zu schnell hinuntergeschlürft und fühlte einen sonderbar Ich-bekräftigenden Schwips, dem es zuzuschreiben war, daß ich ohne alle Schüchternheit so viel redete, was vermutlich meiner Erscheinung gar nicht gut anstand. Io-Fagòr — sein Kopfputz war noch immer von Gold — hielt während meiner Rede das Haupt gesenkt. Er schien nicht ganz einverstanden zu sein. Darum vielleicht wollte der Wortführer jetzt vom Gegenstande ablenken:

      „Sie haben soeben, Seigneur“, sagte er, „aufs gefälligste das Lob des heutigen Tages gesungen, und die Zufriedenheit eines verständnisvollen und wohlwollenden Gastes erfreut die Wirte immer . . . Wir möchten die Kräfte unsres wohlwollenden und verständnisvollen Gastes nicht allzusehr in Anspruch nehmen, zumal er eine so weite Reise zurückgelegt hat, um uns einen hoffentlich langen Besuch abzustatten. Aber vielleicht könnten Sie, Seigneur, in einigen erklärenden Merkworten, in einer netten Causerie uns Kunde geben von sich und von dem, was Ihnen denkwürdig, im Gegensatz zu unserem Leben, an jenem Leben scheint, das Sie vor geraumen Epochen verlassen haben . . .“

      „Aber das würde doch zu weit führen, Monsieur“, sagte ich erschrocken.

      „Schildern Sie nichts Allgemeines in ihrer netten, kleinen Causerie, Seigneur“, beruhigte mich der Wortführer, „sondern bleiben Sie persönlich, rein persönlich . . .“

      Dieses Wort „persönlich, rein persönlich“ klang in meinen Ohren mild hypnotisch nach. Ich fühlte recht undeutlich, wie mir ein hart gepolsterter Streckstuhl untergeschoben wurde, auf den ich mich mit gelösten Muskeln müde fallen ließ. Die Herren und Damen umgaben mich in einem nahen, angenehmen Kreis. Ich sah erstaunt und mit übersichtiger Verschwommenheit die irisierenden Kopfaufsätze von Gold und Silber, die keusch verwischte Fleischfarbe der nackten Körper unter den durchsichtigen Schleiern. Mein Blick suchte B.H. Er lächelte und schien ganz zufrieden mit mir zu sein. Da schloß ich die Augen. Sofort verschwand die Gegenwart einer fremden Zukunftswelt und machte Platz der Vergangenheit einer heimatlichen Gegenwartsweit, die gleichsam mit dem Augenblick meines Todes stehengeblieben war wie eine Uhr. Von jener, der gegenwärtigen Zukunftswelt, hatte ich vorhin mit einiger Eloquenz schmeichlerisch schwärmen können, über diese, die vergangene Gegenwartsweit, wie gewünscht nett zu causieren, gelang mir keineswegs. Gewiß enttäuschte ich den kühlen und leicht beschwingten Geist des Wortführers, der jedes Problem in Causerie einzuwickeln gewöhnt war, da ja im Plaudern sein Hausamt bestand. Es waren aber auch keine schlagenden Aphorismen, keine erklärenden Merkworte, die ich zustande brachte, sondern vage Umschweife, Gleichnisse und Beispiele. Ich war eben nur ein Urmensch . . . „Ich stelle mir jetzt vor, Messieurs-Dames“,


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