Frostsklave. Regina Mars

Читать онлайн книгу.

Frostsklave - Regina Mars


Скачать книгу
ich was übersehen?«, fragte er.

      »Was? Ja, also. Da ist noch ein Halm.«

      »Wo?«, Lukacs verrenkte sich fast den Hals. »Mach ihn weg.«

      »Ne.«

      Lukacs runzelte die Stirn.

      Damit es nicht noch seltsamer wurde, wischte Gal kurz über den blauen Gesäßboden. So schnell, als könnte er sich verbrennen. Tat er auch. Hitze kroch über seine Fingerspitzen, schlängelte sich durch die Hand und floss den Arm hoch.

      »Ist weg«, krächzte er. Er hatte sich noch nie so gefürchtet.

      »Danke.« Lukacs reckte sich. Gal schaffte es endlich, wegzuschauen, aber wieder zu spät. Er hatte bereits den hellen Streifen gesehen, wo das Hemd des Schönlings aus dem Gürtel rutschte. Er hatte einen fast weißen Bauch, in dessen Mitte ein heller Haarstreifen abwärts kletterte.

      Da unten ist er also auch blond, flüsterte der Herr der Wölfe in Gals Ohr. Und seine Haut ist weiß wie Milch. Sicher schmeckt sie wie Milch.

      Gal ballte die Hand zur Faust.

      »Du bist ganz schön blass, du feines Söhnchen. Sitzt du den ganzen Tag in der Stube rum?«

      »Und du bist ganz schön gebrutzelt, du Bauer.« Lukacs hielt ihm mit einer spöttischen Geste die Zaunlatte hoch. »Nach euch, edler Freund.«

      »Danke, edler Fatzke.«

      »Äußerst gern, bestes Biest.« Lukacs riss Witze wie stets. Aber sie wirkten … nett. Vermutlich scherzte man so unter Freunden. Vermutlich. Gal hatte nie einen Freund gehabt. Bis auf jetzt. Es wirkte echt. Es … könnte echt sein. Zumindest erwarteten ihn Andons Freunde nicht, um ihn auszulachen oder so. Nur eine Bucklige humpelte vorbei und wandte schnell den Blick ab, als sie das Biest erblickte.

      Lukacs begleitete ihn zum Markt, Witze reißend und leuchtend. Die Wärme in seinen Augen erinnerte Gal an geröstete Kastanien. Er hatte Angst. Furchtbare Angst. Aber es war unmöglich, sich loszureißen.

      Ja, es war nett. Lukacs war nett. Lustig. Und er wandte den Blick nicht ab, er musterte Gal sogar, als fände er ihn spannend. Wie, hm, ein wildes Pferd, das über die Koppel tobte. Oder eine Frucht, die er nicht kannte.

      Gal hatte sich nie so gefühlt. Seine Wangen waren heiß, und es kam nicht von der Sommerhitze, die sich in den Gassen staute. Er wand sich unter diesem Blick. Niemand hatte ihn je so lange angesehen. Nicht mal seine Eltern oder seine Geschwister. Er hatte nicht gewusst, wie es sich anfühlte. Als würden Ameisen über seine Haut krabbeln, aber irgendwie … schön.

      »Viel Spaß mit deinen Holzscheiten, Bleichling«, sagte er und es klang nicht mal mürrisch, sondern scherzhaft und leicht.

      »Viel Spaß mit deinen Rüben, du Spanferkel.« Lukacs' Blick wanderte über Gals gebräunte Unterarme. »He, du hast ja sogar Sommersprossen. Sehr kleidsam. Vielleicht sollte ich auch mal aufs Land rausfahren.«

      »Willst du bei der Ernte helfen?« Gal sah ihn zweifelnd an.

      »Ich dachte eher daran, am Bach zu liegen und zu angeln. Ab und zu ins Wasser zu springen, wenn ich mich nach Abkühlung sehne.« Lukacs schnalzte mit der Zunge. »Soll ich dich besuchen kommen, Oshin?«

      »Nenn mich Gal«, brummte der. »Klar, komm vorbei.«

      Das würde der feine Bürgermeistersohn eh nicht tun, oder? Spätestens nächste Woche würde er ihn endlich vergessen haben. Richtig? Jetzt, auf der Straße, umgeben von Menschen, die sie unverhohlen anstarrten, kapierte Gal wieder, wie unmöglich eine Freundschaft mit Lukacs Andon war. Selbst, wenn der es wirklich wollte.

      Jemand würde dem Bürgermeister erzählen, dass man seinen Sohn mit dem Biest gesehen hatte, der würde Lukacs beim Abendessen rügen, und das wäre es gewesen. Also genoss Gal es. Die letzten Augenblicke mit seinem ersten, einzigen und letzten Freund.

      »Großartig«, sagte Lukacs. »Zeigst du mir, wie man angelt? Ich finde es sehr romantisch, aber ich habe keine Ahnung, wie es geht.«

      Romantisch? »Du weißt schon, dass du den Fischen die Kehle durchschneiden musst, oder? Und die Würmer, die spießt man auf den Haken, dass sie sich nur so winden. Da kommt irgendein Glibber aus ihnen raus, aber sie zappeln weiter.«

      »Kein Problem.« Andon zuckte mit den Achseln. »Ich bin nicht völlig verzärtelt, weißt du? Ich kann Hühner und Hasen schlachten.«

      »Was, echt?«

      »Wer soll es denn sonst machen? Vater ist zu fett und Mutter zu krank.«

      »Ich dachte, ihr habt Diener.«

      »Vater hat einen Sekretär und jemand, der sich um die Pferde kümmert. Mutter hat eine Dienstmagd. Das ist alles. Wir sind keine Adligen. Er ist schließlich nur der Bürgermeister. Wenn der Herzog kommt, scheißen wir uns alle ein vor Respekt und tiefer Ehrfurcht.«

      »Tut ihr das, ja?« Gal lächelte. Ja, er traute sich. Die Sonne wärmte seinen Schädel und er ging Seite an Seite mit Lukacs Andon. Besser konnte es nicht sein, oder? Da durfte man schon mal grinsen.

      »Du siehst anders aus, wenn du lächelst.« Der durchdringende Blick schien durch seine Stirn zu schauen. »Fast nett. Sogar ein wenig gut.«

      Gal sah zu Boden und grunzte. »Hör auf, mir zu schmeicheln, Andon. Ich bin keins von den Mädels, die dir hinterherrennen.«

      »Schade. Ich hab gehofft, dass ich dich ins Heu locken kann, wenn ich dir noch ein bisschen schmeichle.«

      Gal stolperte. Beinahe wäre er in einen Haufen Pferdeäpfel getorkelt. Wütend sah er Lukacs an. Der lachte aus vollem Hals.

      »War nur Spaß, du Bauerntölpel!«

      »Ich geb dir gleich Bauerntölpel, du feiner Pinkel.« Gal spuckte vor ihm aus.

      Lukacs grinste. »Ach ja?« Er lockerte die Schultern und ballte die Fäuste. Hob das Kinn so übertrieben wie die Schauspieler, die auf dem Erntefest auftraten. »Komm doch her, wenn du dich traust.«

      »Ich traue mich.« Gal tat es schon wieder: Er lächelte.

      Lukacs' Gesichtsausdruck änderte sich. Von spöttisch zu überrascht. Freudig überrascht. »Echt, du bist ein ganz neuer Mensch, wenn du deine Hackfresse entspannst. Mach das öfter und keiner hat mehr Angst vor dir.«

      Dann wusste Gal, was er bestimmt nicht tun würde. Dass alle Angst vor ihm hatten, beschützte ihn vor Schlägen, Spucke und Demütigungen. Die Geräusche des Marktes holten ihn ein. Das Knarren der wegfahrenden Kutschen, das Lärmen, als Kisten auf Kisten geknallt wurden. Das Klimpern von Münzen, die gezählt wurden. Der Gestank von Kohl und verschüttetem Bier.

      »Bist du nächste Woche wieder hier?«, fragte Lukacs und legte den Kopf schief. Das tat er oft. Nicht auf eine unsichere Art, sondern eine durch und durch spöttische. »Ich weiß nicht, wie ich eine Woche lang ohne meinen besten Freund auskommen soll.« Er fasste sich ans Herz.

      »Kannst ja nachts mit deinen Puppen kuscheln und leise meinen Namen flüstern«, schlug Gal vor.

      Lukacs schloss die Augen. »Das werde ich. Oh, stinkender Bauerntölpel, werde ich murmeln und leise weinen. Ich vermisse deine mies gelaunte Hackfresse. Komm bald wieder, damit ich mich an deinem Schweinestallgeruch erfreuen kann.«

      Gal wollte gerade etwas erwidern, als eine Stimme seine Gedanken abschnitt.

      »Lukacs«, sagte ein bleicher Kerl mit Samthut und Pickeln. »Nervt das Biest dich etwa wieder? Brauchst du Hilfe?«

      Es war nicht nur er. Es war die ganze Bande, die aus einer Seitengasse heranschlenderte. Vier andere Söhnchen, von Händlern, von Kaufleuten. Leute wie Andons Vater.

      Gal kam sich schäbig vor, als er ihre leuchtenden Kleider sah. Mohnblumenrot und Blattlausgrün strahlten ihm entgegen und ließen seine graugewaschenen Kleider noch trüber aussehen.

      Das ist das Problem, wenn man aufhört, wütend


Скачать книгу