Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Читать онлайн книгу.

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


Скачать книгу
dachte nicht an Schüsse, er suchte nur den Kompagnierest — da — da endlich, sie hockten — ein Unteroffizier sagte: „Wir wussten nicht, wo weiter!!“

      Lutz nickte: kommt nach. Und er brachte sie an den Laufgraben. Doch das von ihm vorhin geweckte Maschinengewehrfeuer traf zwei, die er kannte, darunter einen von den neuen dreissig. Ich meinte es doch gut, o Gott! schlug sein Gewissen. Aber das Toben der tausend Schüsse ringsum im engsten Kreis nahm alles logische Denken sofort weg, nur traumhafte, hellsichtige Bilder traten vor die Augen — er sollte ja oben entlang laufen, durch die Maschinengewehrgarben also — ach was — raus — er lief auf der Brustwehr, umheult und umpfiffen und umkracht — da hockte der Leutnant mit der Kompagnie — und vor ihm spritzte der Erdboden —

      Lindolf nickte: Ja, Kompagnie ist zusammen.

      Der Leutnant winkte ihn neben sich.

      „Man weiss, dass wir kommen. Ich will aber warten. Wenn wir durch das Maschinengewehrfeuer laufen, das hier in den aufgeschossenen Gräben prasselt, kommen wir ein Drittel nur nach vorn.“

      Sie warteten eine Stunde. Leuchtkugeln schwebten über ihnen. Dann und wann schlug eine Granate in der Nähe ein. Manchmal wurde durchgesagt im Flüsterton, ganz geschäftsmässig: Der verwundet, jener tot.

      Endlich hörte die Schiesserei auf. „Jetzt so schnell wie möglich durch. Laufschritt — durchsagen — Lindolf — oben laufen —“

      Und wieder huschte Lindolf die Kompagnie entlang: Laufschritt, Laufschritt, Laufschritt —

      Sie kamen durch, fast die ganze Kompagnie. Nur den Schwanz, die Letzten, fasste das Maschinengewehrfeuer, eine Leuchtkugel hatte den Anmarsch zum Schluss verraten.

      Unteroffizier Glaser, der mit Bernöckel den Schluss bildete, fiel. Drei Mann verwundet.

      So langte die 12. Kompagnie, die 4. Kompagnie des I. Bataillons ablösend, schnaufend und ohne jeden greifbaren Gedanken todmüde nachts um zwei in der vordersten Stellung an.

      Und morgen Sturm.

      11.

      Pechtler, der rüde Geselle, der schon mit einer gewissen Krankheit abhauen wollte, war vorn einer der Tapfersten. Nun wie er drin war in dem ganzen Dreck, wie er sich ausdrückte, er hatte manchmal noch ein saftigeres Wort dafür, da wollte er zeigen, dass er keineswegs Angst hatte. Er war wirklich der Einzige vielleicht, dem Angst ohne Heuchelei oder Selbstüberwindung etwas Fremdes war. Er duckte sich nicht, wenn die Blumentöpfe oder die Maikäfer, wie er die Flintenkugeln nannte, flogen; er ging drauflos, wie man es ihm befahl, und stand grinsend still, wenn das Ganze Halt kommandiert wurde.

      Zu seiner Seite stets Töz und Wittke. Kaum waren sie vorn angelangt, hatten sie sich eins der grössten Erdlöcher ausgesucht, in dem sie zu dritt sitzen konnten, und spielten nach dem ersten Ausschnarchen ihren Skat, während die Granaten die Front auf und ab tasteten.

      „Langsam bekommen die Stinktiere“ — so nannte Pechtler die Sanitäter — „zu tun. Na, Junge, Heimatschuss?“ fragte er einen Verwundeten aus einer fremden Kompagnie, die weiter vorn an der besonders gefährlichen Sappe lag, und der vorbeihumpelte. Der lächelte: Hoffentlich trifft mich keine zweite, ehe ich aus dem Graben hinaus bin —

      Die Granaten auf und ab machten einen solchen Lärm, dass Pechtler ruhig brüllen konnte:

      Ja, in Morslede, ja in Morslede, ja in Morslede

      schmeckt der Wein so süss.

      Nachmittags vor dem Sturm munterte Pechtler alle auf mit derben Widmungen, die er den trommelnden Granaten nachschickte, die die Franzosen zermürben sollten, mit Gelächter über die paar Nasenpopel, die von drüben geflogen kamen, er verband Leichtverwundete mit seinem Verbandstoff, und auf die Frage, was er für sich „eventuell“, ja, so sprach man von Tod und Wunden: eventuell — —, verbrauchen wolle, sagte er: „Mein Hemde ist sowieso verdreckt ....“

      Leutnant Wynfrith sagte plötzlich: „Nun halt die Klappe, in drei Minuten müssen wir raus. Lindolf, durchsagen! In drei Minuten —“

      Es regnete. Alle waren lehmbeklebt. Wenn man versuchte, hochzukommen, glitschte man an der Grabenwand ab.

      Doch kein Gegenbefehl kam. Der Leutnant hatte noch einmal telefoniert und auf den Schlamm zwischen den Gräben hingewiesen. Er war vom Major angepfiffen worden, was denn das heissen sollte. Befehl sei Befehl.

      Durch diesen Anschnauzer fühlte aber Wynfrith sein Gewissen rein. Er hatte wieder einmal versucht, seine Leute bis zum äussersten zu schonen — dass sie heute in dem Dreck die Höhe 304 hinan kamen, war ausgeschlossen — aber, na ja, — von Zeit zu Zeit musste gestürmt werden — —

      4 Uhr. Man stieg aus den Gräben. Der Regen nebelte die grauen schleichenden und kriechenden Gestalten ein. Mit Ellenbogen und Knien blieb man im Lehm stecken, mühsam kroch die ausgeschwärmte Kompagnie Meter für Meter vor. Drahtverhaue — — — nur dort eine schmale Gasse. Nun sammeln und durchlaufen. „Lindolf, Bernöckel — die Flügel hier herandrängen!“

      Doch ehe die Kompagnie immer zu drei und vier Mann durch die enge Gasse zwischen den Drahtverhauen durchzuflitzen beginnen konnte, fing der Franzose von der Höhe 304 herab zu tacken an. Ein, zwei, drei Maschinengewehre. Das langsame Tack-tack der Franzosen .... Die deutschen Geschütze hatten aufgehört zu schiessen. Sturmstille.

      „Zurück!“ schrie Wynfrith. „Hinlegen! Abwarten!“

      Er hätte sich auch heute leicht das E. K. I. holen können. Als erster durchlaufen: Mir nach! Er wäre noch vor dem Einsetzen des Feuers durchgekommen. Und dreissig Mann von seinen zweihundert wären wohl übrig geblieben, mit denen er sich hätte halten können. Er wusste, dass mancher Führer es so machte.

      Aber er sah sich seine Jungens an.

      Nun setzte auch Geschützfeuer ein. Nur die lieblichen kleinen Dingerchen der Feldgeschütze, wie Pechtler sagte, die man dort auf der Höhe losfunken sah.

      Wo ist Pechtler mit einem Mal? Wo sind die Skatbrüder?

      Bernöckel totenblass und müde den Kopf hängen lassend sagte: „Getürmt!“

      Doch Lindolf wusste seit gestern es besser und er verteidigte: „Pechtler türmt nicht!“

      Da — horch — „Herr Leitn’nt! Herr Leitn’nt!“

      Das war Pechtler. Mitten im Drahtverhau, den er mit blutiggerissenen Händen auseinanderbog. „Hier durch! Der Skatklub hat die Chose aufgeknipst! Los! Das gibt einen Grand mit Vieren!“

      Noch immer lag das Maschinengewehrfeuer auf der alten Drahtverhaugasse.

      Doch durch die neue Gasse konnte dreiviertel der Kompagnie tapsen mit ihren Lehmklumpenschritten, ehe das Feuer einsetzte.

      Dann lag die Garbe der Maschinengewehre allerdings auf dem Durchlauf.

      „Lindolf, zurückkriechen! Der Rest soll zurückbleiben bis abends! Sie bleiben auch da!“

      Neben dem Maschinengewehrfeuer begannen jetzt auch Gewehrschüsse zu pfeifen.

      Lindolf kroch durch den klebrigen Lehm. Und noch immer rann der Regen. Zweiter Osterfeiertag. Vor einem Jahr hatte er einen Waldspaziergang mit Adelheid gemacht — — — Penk! Das war ein Schuss ganz in der Nähe. „Lass ihm!“ wie Pechtler sagt.

      Jetzt war er herangekrochen an die Drahtverhauöffnung. Zwei Tote. Kopfschüsse. Winder, Matusezyk, zwei Neue. Doch er musste durch. Sonst fielen noch mehr — umsonst.

      Er lief. Aufrecht. Er kam durch.

      Da war Unteroffizier Liedetanz mit noch etwa vierzig Mann. Irgendwo in einem Erdloch stöhnte es: „Krauss verwundet — Beinschuss! Sanitäter nicht da.“ — „Was gibt’s?“ fragte der Unteroffizier. „Jeder, der hier durch will, bleibt liegen.“

      „Ihr sollt euch hier eingraben und liegen bleiben,“ meldete Lindolf.

      „Na ja — das ist eine Antwort“, meinte Liebetanz.


Скачать книгу