Mit den Augen der Liebe. Marie Louise Fischer

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Mit den Augen der Liebe - Marie Louise Fischer


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      Dr. Hilpert drehte sich um und ging. Er fühlte sich zurechtgewiesen wie ein Schuljunge. Dennoch empfand er weder Ärger noch Beschämung, sondern nur tiefe Sorge.

      Er wußte, daß die Gefahr, der sich Professor Bergmeister aussetzte, unausdenkliche Folgen haben konnte.

      Dr. Hilperts Schlafzimmer lag im obersten Stockwerk der Augenklinik, ein kleiner, sehr nüchtern eingerichteter Raum, dem er mit einigen Dingen aus seinem persönlichen Besitz eine etwas behaglichere Atmosphäre zu geben versucht hatte: einem schweren ledernen Sessel, in dem er abends eine letzte Pfeife zu rauchen pflegte, einem bunten handbestickten Wandteppich aus Lima, dessen seltsame Märchenfiguren ihm immer neue Rätsel aufgaben, ein paar Schalen, Aschenbecher, Decken und Kissen, die ihm von wohlmeinenden Damen geschenkt worden waren. Manche dieser Dinge entsprachen durchaus nicht seinem eigenen Geschmack, aber er hatte sie behalten, weil sie immerhin den Zweck erfüllten, den allzu sachlich möblierten Raum freundlicher zu gestalten.

      Wie jeden Abend war er auch heute nach einem letzten Rundgang durch die Privatabteilung und die Station nach oben gekommen, zog seinen weißen Kittel aus, wusch sich die Hände und bürstete sich über das dichte dunkle Haar. Er blickte dabei in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken, ohne sich jedoch wirklich zu sehen; denn sein eigner Anblick – ruhige graue Augen in einem männlichen, energischen Gesicht – war ihm völlig uninteressant. Mechanisch cremte er seine Hände ein, deren Haut durch das häufige Desinfizieren angegriffen war, wollte zur Tür – als plötzlich geklopft wurde.

      Unwillkürlich blieb er stehen, rief abwartend: „Herein!“

      Die Tür öffnete sich nach außen, und so dauerte es einige Sekunden, bis er Gabriele Zerling erkannte. Gabriele Zerling war eine kleine zierliche Person, Medizinstudentin im achten Semester, und hospitierte zur Zeit in der Augenklinik Professor Bergmeisters.

      Dr. Hilperts Gesicht hellte sich bei ihrem Anblick auf. „Hallo!“ sagte er überrascht. „Nett, daß Sie mich mal besuchen. Darf ich Ihnen einen Kognak anbieten?“ Er ging zum Schrank.

      „Danke, nein“, sagte Gabriele Zerling. „Ich muß Sie sprechen, Doktor Hilpert … es ist dringend.“

      „Aber sicher. Das können Sie doch. Kommen Sie nur herein …“

      „Nicht hier“, sagte sie.

      Er blickte auf, die Flasche schon in der Hand, sah jetzt erst, daß sie immer noch in der geöffneten Tür stand. „Nanu?“ sagte er. „Vorurteile? Das sieht Ihnen aber gar nicht ähnlich.“

      „Das hat mit Vorurteilen nicht das geringste zu tun“, sagte sie hitzig, „aber Sie wissen doch selber, wie in so einer Klinik getratscht wird. Ich möchte ohne Grund nicht ins Gerede kommen.“

      Jetzt lachte er. „Mit Grund also schon?“

      Ihre dunklen Augen, die, übergroß und sehr lebendig, ihrem kleinen pikanten Gesicht eine gewisse Schönheit gaben, funkelten. „Sie wissen genau, was ich meine, Doktor Hilpert. Wollen Sie mich nun anhören oder nicht?“

      „Bitte, sprechen Sie. Wenn ich es auch nicht gerade gemütlich finde, eine Unterhaltung bei offener Tür und im Stehen zu führen. Ganz davon abgesehen, wollte ich gerade zum Abendbrot hinuntergehen.“

      Zum erstenmal wurde sie unsicher. „Ich hatte gedacht“, sagte sie zögernd, „ob wir nicht draußen irgendeine Kleinigkeit essen könnten …“ Sie sah ihn fragend an.

      Er fand Vergnügen daran, sie zappeln zu lassen, bemühte sich, ein nachdenkliches Gesicht zu machen.

      „Ich meine natürlich nur, wenn Sie nichts anderes vorhaben“, fügte sie rasch hinzu.

      Er konnte nicht länger ernst bleiben. „Auch wenn ich mit der Königin von England verabredet wäre“, sagte er, „könnte ich es nicht übers Herz bringen, einer so charmanten jungen Kollegin einen Korb zu geben.“ Er stellte die Kognakflasche weg, holte sich seinen Dufflecoat aus dem Schrank, sagte, während er hineinschlüpfte: „Kommen Sie, Mädchen, lassen Sie uns enteilen … sonst fängt uns am Ende noch Schwester Hilde ab und zwingt uns ihren faden Salat auf.“

      Sie fuhren mit dem Lift nach unten, Dr. Hilpert nahm sich noch die Zeit, ein paar Worte mit Dr. Böninger, dem diensthabenden Arzt, zu wechseln, während Gabriele ihren Kamelhaarmantel anzog, dann traten sie durch das breite Portal der Augenklinik in den Vorhof.

      Es schneite ein wenig, dünne, matte Flocken, die sich, sobald sie den Boden berührten, in Nässe auflösten.

      Dr. Hilpert schob seine Hand unter Gabriele Zerlings Ellbogen, wollte sie zum Tor führen. Aber sie leistete Widerstand.

      „Fahren wir lieber“, sagte sie, „da drüben steht mein Wagen.“

      Er blieb stehen, sagte mit hochgezogenen Augenbrauen: „Ah, ich vergaß, daß ich eine Plutokratentochter vor mir habe.“

      Sie parierte rasch. „Halten Sie Reichtum etwa für eine Schande?“

      Sie sah sehr hübsch aus in dem ungewissen Licht der Torlampe, während Flocke auf Flocke sich auf ihr glattes dunkles Haar setzte, und er verspürte in diesem Augenblick nicht die geringste Lust, sich mit ihr zu streiten.

      „Natürlich nicht“, sagte er friedfertig.

      Sie war nicht so leicht zu beruhigen. „Ich jedenfalls schäme mich nicht, daß mein Vater Millionen gemacht hat“, sagte sie herausfordernd, dann, während sie sich abwandte und die Autoschlüssel aus ihrer Kollegtasche fischte, fügte sie trotzig hinzu: „Und auch nicht darüber, daß meine Mutter Arbeiterin war … einfache Arbeiterin in seinem alten Betrieb, bevor er sie heiratete.“

      „Wenn Sie Ihrer Mutter, wie ich annehmen möchte, ähnlich sind, kann ich den Geschmack Ihres Alten Herrn nur zu gut verstehen.“

      Sie bückte sich, schloß die Autotür auf, stieg ein. „Ich gleiche ihr nicht im geringsten“, sagte sie, „meine Mutter ist sehr schön … eine richtige langweilige Schönheit.“

      Er ging um den Wagen herum, wartete, bis sie die Tür von innen öffnete und ihn einsteigen ließ. Er versuchte verschiedene Stellungen, bis es ihm gelang, seine langen Beine einigermaßen bequem unterzubringen, beobachtete, wie ihre schmalen Hände sich ungemein kräftig und geschickt betätigten. Es dauerte eine Weile, bis der Motor ansprang. Sie schaltete den Rückwärtsgang ein, das kleine Auto schoß zurück, sie schaltete in den zweiten Gang, sie brausten aus dem Tor, fügten sich in den spärlichen Vorortverkehr auf der Fahrbahn ein.

      „Nein, ich bin nicht wie meine Mutter“, nahm Gabriele das angeschnittene Thema wieder auf, „viel eher wie mein Vater. Obwohl ich seine Leidenschaft für den Gelderwerb durchaus nicht teilen kann. Oder vielleicht könnte ich es doch, wenn ich in Armut aufgewachsen wäre wie er.“

      Er blickte auf ihr zartes, ein wenig arrogantes Profil, konnte dem Wunsch nicht widerstehen, sie zu ärgern. „Das ist ja alles sehr interessant, mein liebes Fräulein Zerling“, sagte er gönnerhaft, „aber wenn ich mir eine Frage erlauben darf … war das der Grund, warum Sie mich sprechen wollten? Um mir Ihre Familiengeschichte zu erzählen?“

      Sie zuckte zusammen, sah ihn an – für eine Sekunde vergaß sie auf das Steuer zu achten, der Wagen machte einen kleinen Schwenker, dann hatte sie ihn wieder in der Gewalt.

      „Entschuldigen Sie, daß ich Sie gelangweilt habe“, sagte sie kühl, „es soll nicht wieder vorkommen.“

      „Von Langeweile kann gar keine Rede sein. Die Art, wie Sie uns da eben beinahe gegen einen Baum gefahren hätten, war so ungefähr das Aufregendste, was ich in den letzten Monaten erlebt habe.“

      Sie ging nicht auf seinen neckenden Ton ein. „Ich muß wirklich mit Ihnen reden“, sagte sie, und da er keine Frage stellte, fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu: „Über Professor Bergmeister.“

      „Ach“, sagte er nur.

      „Sie wissen, um was es geht …“

      „Nein, wirklich nicht. Ich habe keine Ahnung.“

      „Vielleicht


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