Mit den Augen der Liebe. Marie Louise Fischer

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Mit den Augen der Liebe - Marie Louise Fischer


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sein Kompliment sie freute. „Ich versuche eben, mich in Form zu halten“, sagte sie mit nicht ganz echter Bescheidenheit.

      Es schoß ihm durch den Kopf, daß sie dazu auch Zeit, Gelegenheit und Geld genug hatte. Aber niemals wäre es ihm eingefallen, einen solchen Gedanken auszusprechen. „Und wie man sieht, ist es dir gelungen“, sagte er nur.

      Sie trug das Tablett auf ein Abstelltischchen, ging zum Fernseher. Unterwegs tat sie einen Blick auf ihre zierliche, mit Brillanten besetzte Armbanduhr – ein Geschenk ihres Gatten zum zehnjährigen Hochzeitstag. „Wahrscheinlich sind die Nachrichten noch nicht beendet, aber ich will doch schon …“

      Er fiel ihr ins Wort. „Vera!“ – „Ja, bitte?“

      „Würde es dir sehr viel ausmachen, wenn wir heute mal auf dieses Fernsehstück verzichteten? Bitte, schau mich jetzt nicht so an, als wenn ich eine Ungeheuerlichkeit verlangte … es ist einfach so, daß ich viel mehr Lust hätte, eine Flasche Wein zu trinken und mit dir zu plaudern.“

      Ihr Mund war schmal geworden. „Du weißt genau, wie ich mich grade auf diese Inszenierung gefreut habe!“

      „Ja, ich weiß es. Verzeih bitte meinen dummen Vorschlag. Wenn dir soviel daran liegt, dann schau dir die Sache nur in aller Ruhe an …“ Professor Bergmeister erhob sich. „Du darfst mir nur nicht böse sein, wenn ich mich zurückziehe.“

      Ihre grünen Augen flammten. „Du willst mich allein lassen?“

      Er wollte seine Hand unter ihr Kinn legen, aber sie zuckte zurück. „Du bist nicht allein“, sagte er, „ich sitze im Nebenzimmer … und außerdem wird das Stück hoffentlich so unterhaltsam sein, daß du mich überhaupt nicht vermißt.“

      „Warum … warum bist du nur so? Du weißt ganz genau, daß ich nichts vom Leben habe … nichts, gar nichts. Ich sitze herum und warte darauf, daß du nach Hause kommst, und dann … und dann …“ Ihre Stimme brach.

      „Kannst du wirklich nicht begreifen, daß ich nach einem langen anstrengendem Tag meine Augen nicht auch noch abends überfordern möchte?“

      „Überfordern!?“ Sie schrie es fast heraus. „Jetzt weiß ich, was mit dir los ist … jetzt weiß ich es. Du hast wieder einmal einen deiner gräßlichen Selbstversuche gemacht! Lüg mich nicht an! Ich weiß es!“

      Er wandte sich ab und wollte wortlos das Zimmer verlassen.

      Aber sie vertrat ihm den Weg. „Glaub nur nicht, daß du mich einfach so stehen lassen kannst! Ich bin deine Frau und habe ein Recht …“

      „Bitte, Vera“, sagte er beschwörend, „bitte! Wir wollen uns doch nicht in diesem Ton unterhalten.“

      Sie dämpfte die Stimme, aber auch als sie jetzt leise sprach, klang es nicht weniger aufgebracht. „Es ist nicht nur deine Gesundheit, an der du dich versündigst … es ist nicht deine Privatsache, was du tust und läßt. Du hast Verpflichtungen mir gegenüber. Ja, ja, ich weiß, du tust alles nur im Dienste der Wissenschaft, zum Segen der leidenden Menschheit … ach, ich kann diese Phrasen ja schon singen. Ich bin der Mensch, der dir am nächsten stehen sollte, deine Frau. Warum nimmst du nicht einmal, ein einziges Mal, Rücksicht auf mich?“

      „Du scheinst eine ganz falsche Vorstellung zu haben …“

      Sie fiel ihm ins Wort. „Nein, damit fängst du mich nicht. Ich bin keine dumme Gans, der man etwas vormachen kann. Ich weiß, daß diese Versuche gefährlich sind … erinnerst du dich nicht, daß du es selber zugegeben hast?“

      „Aber doch nicht in dem Maß, wie du dir das einredest.“

      „So. Wirklich nicht? Kannst du mir schwören, daß diese Versuche deine Augen in keiner Weise angreifen?“

      „Vera, ich …“

      „Also nicht. Und du wirst auch zugeben, daß es mit deiner Arbeit aus ist, wenn du auch mit den stärksten Brillen nicht richtig sehen kannst. Aus und vorbei. Jedenfalls deine Tätigkeit als Chirurg. Ja, vielleicht … deine Professur wirst du möglicherweise noch behalten. Wenigstens eine gewisse Zeit. Bis sich herausstellt, daß du die jungen Leute nicht mehr in Schach halten kannst. Dann wirst du emeritiert. Ein feines Wort. Aber es bedeutet nichts anderes, als daß wir auf eine Hungerpension gesetzt werden. Aus ist es mit den Privatpatienten, den Honoraren … Michael wird sein Studium abbrechen müssen …“

      Jetzt endlich gelang es ihm, sie zu unterbrechen. „Aber, Vera, das ist doch Unsinn! Was ist nur in dich gefahren? Das alles sind doch maßlose Übertreibungen, die …“

      Aber sie ließ sich nicht aufhalten. „Und ich“, sagte sie, während ihr schöner Körper von Schluchzen geschüttelt wurde, „ich habe alles für dich geopfert … meine Karriere als Schauspielerin, alles! Ich habe es aus Liebe getan. Wenn ich geahnt hätte, daß dir so wenig an mir liegt …“

      Er nahm sie in die Arme, hielt sie, obwohl sie sich wehrte, ganz fest. „Ich liebe dich doch, Vera … ich liebe dich heute wie am ersten Tag! Warum willst du nicht einsehen, daß es für einen Mann Pflichten gibt, die …“

      Sie riß sich mit einem Ruck von ihm los. „Wenn du so denkst“, sagte sie mit verzerrter Stimme, „hättest du nie wagen dürfen, eine Frau wie mich an dich zu binden …“

      2

      Die Netzhautoperation der jungen Gunhild Wigand war für neun Uhr vormittag festgesetzt.

      Die Patientin hatte am Abend zuvor ein starkes Schlafmittel bekommen. Kurz bevor sie in den Operationssaal I gefahren wurde, hatte Dr. Hesse, der Anästhesist der Augenklinik, ein Beruhigungsmittel injiziert, das sehr rasch zu wirken begann.

      Sie war ganz gefaßt.

      Als sie an ihrer Mutter, einer eleganten, überschlanken Dame, vorbeigeschoben wurde, die vor dem Operationssaal wartete, brachte sie sogar ein kleines Lächeln zustande, das Frau Wigand ein wenig verkrampft erwiderte.

      Dann wurde sie in den Vorbereitungsraum hineingefahren, und die Doppeltüren schlossen sich hinter ihr.

      Schwester Ethel, eine rundliche, sehr ruhige Frau, desinfizierte sorgfältig das Gebiet um das linke Auge, band Gunhilds Stirnlocken mit einem festen Band zurück, deckte den ganzen Kopf mit einem weißen sterilen Tuch ab, in dem ein runder Ausschnitt nur das Operationsgebiet freiließ:

      Gemeinsam mit Schwester Gerda, die als unsterile Hilfe bei der Operation arbeitete, fuhr sie die Patientin in den OP hinüber. Schwester Gerda übernahm es, die Patientin auf den Operationstisch zu betten, und zwar so, daß ihr Kopf entspannt auf einer Stütze zu liegen kam. Es herrschte ein sehr starkes, schattenfreies Licht.

      Dr. Hesse trat ein, schon fertig zur Operation gekleidet, in weißem Kittel, weißer Kappe, Mundschutz vor dem Gesicht. Er sah den Schrecken in Gunhilds offenem Auge, sagte beruhigend: „Sie brauchen sich nicht zu ängstigen … ich garantiere Ihnen, Sie werden nicht das geringste spüren.“

      Er nahm die aufgezogene Spritze, die Schwester Ethel ihm reichte, führte einen raschen, geschickten Stich rechts vom Auge aus, ließ die betäubende Flüssigkeit auslaufen, zog die Nadel zurück und stach noch einmal, links unterhalb des Auges, ein. Die Spritze war mit einer Mischung von Novocain, das zur Betäubung diente, und Corbasil gefüllt, das die Gefäße zusammenzog und eine gewisse Blutleere bewirkte.

      „Das war alles“, sagte er beruhigend, „schlimmer wird es nicht!“

      Er wartete fünf Minuten, während denen er noch einmal den Puls der Patientin prüfte. Dann überzeugte er sich, daß die Empfindungsfähigkeit des Auges schon sehr gedämpft war, ließ sich eine zweite Spritze geben. Diesmal injizierte er hinter das Auge und direkt in die Bindehaut hinein.

      Während diese Operationsvorbereitungen getroffen wurden, waren Professor Bergmeister und sein Assistent, Dr. Hilpert, schon in den Waschraum getreten. Sie wuschen sich jeder in einer Schüssel mit Desinfektionsflüssigkeit die Hände. Nach den vorgeschriebenen fünf Minuten reichte Schwester Ethel ihnen sterile Tücher zum Abtrocknen, half erst dem


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