Unsere Ponies und wir. Lise Gast

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Unsere Ponies und wir - Lise Gast


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jetzt.

      „Ach, ein Pony.“

      Drei Minuten später ließ das Bohren nach. Und fünf Minuten später sprang Mutter über den Klosterhof, der Domäne entgegen. Durch den Äther surrte es von Westfalen nach Bremerhaven: „Schickt umgehend, wenn fehlerfrei, tragende Rappstute, Transport zu unserer Last, Lise Gast.“ Es war geschehen, die Sache lief!

      Nun lebte damals, zum Glück nicht in, aber doch eng mit unserer Familie, ein alter Baron, der eine reichliche Pension zu verjubeln, nichts zu tun und demzufolge bei jedem Mitmenschen, der es sich gefallen ließ, etwas dreinzureden hatte. Der soll, als er jung und schlank war – es gehörte Phantasie dazu, sich das vorzustellen –, bei Kaiser Wilhelm Page und Prinzessinnen-Tänzer gewesen sein, wie er mitunter ganz lustig erzählte. Er war viel geritten, was sich für einen Offizier, wenn auch von der Infanterie, wohl nicht vermeiden ließ. Dieser rostige Baron hatte sich Mutter sofort mit Elan als Sachverständiger angeboten, als er etwas von Ponys hörte. Von seinem Burschen bekamen wir auch unser erstes kleines Pferd.

      Nun ist Mutter mit ihrer ewigen Angst, jemandem weh zu tun, genau das Objekt, das ein Mensch braucht, der alles besser weiß. Die Tatsache, daß wir durch ihn die Anschrift des Ponyzüchters bekamen, baute Herr von Borgmeister zu einem Käfig aus, in dem sich Mutter von nun an zu bewegen oder – überhaupt nicht mehr zu bewegen hatte, außer er ginge an ihrer Seite, als wär’s ein Stück von ihr. Jahrelang hat sie unter ihm gelitten und wir mit ihr. Aber nach dem alten Grundsatz: „Für was ist was!“ ertrugen wir sogar ihn.

      Das Pony kam! Am Tage vor Weihnachten lief ein Küchenmädel vom Kloster über den verschneiten Hof: „Frau Gast, Telefon!“ Mutter flitzte davon, den rostigen Baron im Kielwasser.

      Es war Abend, als die beiden die kleine Stute aus ihrem Bahnkäfig befreiten. Sie hatte ihnen schon sehnsüchtig entgegengewiehert. Bahnkäfige sind das übelste, was es beim Transport von Kleinpferden gibt, jedenfalls solche. Da stehen die Kerlchen eingezwängt, können sich weder rühren noch hinlegen. Ja, Blackys Käfig war so kurz, daß ihr Schwanz wochenlang nicht richtig fiel, weil er die ganze Fahrt über an dem elenden Querholz gescheuert hatte. Mutter hatte, eine Sekunde ehe sie in den Waggon kletterte, noch eine fürchterliche Vision: Wenn der unbekannte Absender nun ein junges Kamel geschickt hat? Und das Geld war fort, sie hatte sogleich telegrafisch bezahlt, damit das Pferdchen auch bestimmt unterm Christbaum stehen konnte.

      Mutter riß die Waggontür auf. Wieder wieherte es – – – und das war Liebe auf den ersten Blick. Schwarz, im zottigen Winterpelz, mit feiner, klarer Nase und sehnsüchtig geweiteten Nüstern stand da Adele, die wir sofort Blacky tauften. Adele ist doch kein Name für so ein hübsches Pony. Später, in Süddeutschland, als wir unsere Pferdchen ins Stutbuch eintragen ließen, bestätigten uns das die wackeren Männer, die die Ponys brannten. „Mir nennet se Aadele“, sagten sie mit solch ausgesprochener Betonung auf der ersten Silbe, daß wir bezweifelten, diesen Namen je anders ausgesprochen zu haben.

      Hardehausen ist ein winziger Ort, eigentlich nur ein Ortsteil, im Ausläufer des Eggegebirges. Er zählt etwa dreihundert Seelen und liegt so lieblich, wie alte Klöster oft zu liegen pflegen. Die Gründer wußten schon, wo es schön war.

      In solch einem Dorf kannte jeder jeden. Mutter und der dicke Borgmeister – nennen wir ihn so, weil er trotz seiner Pension ein Meister im Borgen war – warteten, bis es dunkel war, ehe sie mit ihrem kleinen Pferd Richtung Heimat die Landstraße entlangzokkelten.

      Trotzdem verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft des Wundertieres mit der Schnelligkeit eines Feueralarms.

      Arndt, der am nächsten Tag aus dem Semester kam, wurde die Neuigkeit schon auf dem Bahnsteig serviert. Wir anderen stellten uns zwar blind und taub, wußten aber ohne Ausnahme, daß bei Völlermann, der einzigen Gastwirtschaft des Ortes, die wir den „Blutigen Knochen“ nannten, ein Weihnachtsgeschenk für uns im leeren Schweinestall stand, das schwarz war, vier kleine Hufe hatte, Hafer fraß und im Mai ein Fohlen erwartete.

      Alles wußten wir. Dafür hatte schon Onkel Bubi gesorgt, der treue, ein wenig melancholische, von uns allen heißgeliebte Schwager des Gutsherrn, der Futter ausgab, ein Auge zudrückte, wenn wir Äpfel klauten, zerschmissene Scheiben glaubhaft als vom Wind eingedrückt deklarierte. Mitunter spülte er mit Arndt, unserem Ältesten, im „Blutigen Knochen“ den Staub dieser merkwürdigen Welt und seine Melancholie mit ein paar Bieren oder Schnäpsen hinunter. Onkel Bubi, treu und verschwiegen, wenn es sich um Katastrophen handelte, war unfähig, ein schönes Geheimnis auch nur fünf Minuten in seiner Heldenbrust zu bewahren. So wußten wir es also alle, aber wir konnten Mutter doch nicht enttäuschen. Einer mußte schließlich die Seligkeit einer Weihnachtsüberraschung auskosten.

      Unterm Christbaum konnte Blacky nicht stehen, das verbot die Lage unserer Wohnung unterm Dach. Hinauf wäre Blacky zweifellos gekommen. Ponys klettern wie die Gemsen. Aber herunter? Mit einer Vernunft, die ihre Jahre überstieg, verzichtete Mutter auf diesen Knalleffekt und beorderte alle Kinder kurz vor dem weihnachtlichen Kirchgang auf das Rasenrondell vor dem Gutshaus. Dann ging sie, um die Überraschung zu holen.

      Wir standen und froren gehorsam. So entging uns leider das Bild, in dessen Genuß nur der Gastwirt kam: wie Mutter und Borgmeister das kleine Tier aus dem Stall zogen und durch den Schnee zum Gut führten. Borgmeister ging der Glätte wegen mit dem Stock. Völlermann rief den dreien nach:

      „Maria und Josef!“ Mutter setzte sich vor Lachen auf den Hosenboden.

      Also, das Programm wurde eingehalten.

      „Nein, so eine Überraschung! Nein, Mutter, das haben wir nicht geahnt! Oh, ein Pferd!“

      Etwas dünn fiel der Jubel ja aus. Mutter war enttäuscht, ließ sich aber aus den gleichen Gründen möglichst wenig anmerken. Erst nach einem Weilchen fragte sie schüchtern:

      „Ja, freut ihr euch denn auch?“

      „Na, furchtbar. Nur sag mal: Da können wir wohl nicht mehr drauf reiten – oder?“

      Mutter sah uns an. Die ältesten von uns waren ihr damals längst über den Kopf gewachsen. Und nun ein gemeinsames Reittier von einhundertunddrei Zentimeter Widerristhöhe?

      „Aber doch mit ihm leben – und es liebhaben!“

      Freilich, das konnte man. Und die Kleinen konnten natürlich auch darauf reiten. Borgmeister hob Ben gleich auf Blacky, dann Uli und Steffi. Und als er auch noch Thomas, einen anderen kleinen Jungen aus dem Hof, draufsetzte, schlug Blacky so unmißverständlich mit den Hinterhufen aus, daß der Kleine in weitem Bogen heruntersegelte, woraus wir scharfsinnig schlossen, daß Blacky bereits Familienmitglieder und Bekannte zu unterscheiden verstand. Großartig, sie paßte zu uns!

      Aber im nächsten Augenblick war sie über den Rasen hin verschwunden, vor Übermut vorn und hinten hochgehend.

      In zehn Minuten begann der Weihnachtsgottesdienst, die „Christvesper“, wie man dort sagt. Auch wenn man ein Pony geschenkt bekommt, die Christvesper wird deshalb nicht versäumt. Wir sahen uns schon im Geiste mit dem Lasso durch den Gutshof jagen. Woher nimmt man bei der gebotenen Eile solch eine Leine? Schon da zeigte sich, wer das Pferdekind bei uns sein würde: Steffi. Binnen weniger Minuten war sie zurück, führte Blacky, die noch keinen Halfter hatte, an der Mähne und verkündete: „Sie hat gesagt, sie sei schon wieder lieb.“

      So kamen wir noch zu einem andächtigen Weihnachtsgottesdienst. Wir wußten, Blacky stand wohlgeborgen im Stall. Später hätte uns ein Auskneifen unseres kleinen Vierbeiners übrigens keine Sekunde beunruhigt. Wir lernten, daß Ponys wiederkommen, daß sie im Freien übernachten, ohne zu frieren oder sich zu erkälten, daß sie sich überall selbst helfen. Aber damals waren wir noch Anfänger in diesem Fach.

      Das Glück war bei uns eingezogen, schon weil Mutter so strahlte. Pferd bleibt Pferd, wenn es noch so klein ist. Und auf seinem Rücken liegt das höchste Glück der Erde.

      So war jedenfalls der Anfang.

      Leben mit Ponys

      Das erste, was Blacky uns einbrachte, war eine polizeiliche Strafanzeige. Sie sollte nicht die einzige bleiben.


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