Unsere Ponies und wir. Lise Gast

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Unsere Ponies und wir - Lise Gast


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ein alter Stall leer, gebaut im Jahre 1789, wie auf dem Stein über der Tür zu lesen war. Er hatte auch einen kleinen Heuboden. Mehr brauchten wir nicht. Der Gutsherr überließ ihn uns gern.

      Unser Übereifer, diesen Stall umgehend zu säubern, mißfiel den übrigens ziemlich entfernt wohnenden Nachbarn. Als wir auf der Polizei erklärten, wie dies alles zusammenhing, zeigten sich die Ordnungshüter sehr freundlich und an dem kleinen Glück auf vier Beinen lebhaft interessiert. Wir haben das später oft erlebt: Ponys gewinnen auf der Stelle die Herzen vieler Menschen. Die Liebe zum Pferd lebt noch in allen Volksschichten, und das nicht nur bei Kindern. Und die zum Pony erst recht, denn: „Je kleiner das Pferd, desto größer das Entzücken.“

      Blacky wurde von jedem geliebt, der sie sah. Wenn sie allein auf der großen winterlichen Koppel das Gras unterm Schnee hervorscharrte – Ponys weiden winters und sommers –, dann ging keiner vorbei, ohne sie anzusprechen, mit Zuckerstückchen zu locken, zu streicheln oder zu kraulen. Wir Kinder waren mehr auf der Weide als zu Hause. Wenn wir früher das Spazierengehen haßten, dann wurde es jetzt unser Schönstes. Blacky zottelte mit, erst am Halfter, bald aber ohne, wie ein großer schwarzer Hund.

      Reiten durften sie auch die Kleinen zunächst nicht, da sie im Mai fohlen sollte. Aber fahren kann man mit Ponys bis zum letzten Tage. Die großen Mädel benützten die Feiertage, um ein Geschirr zu nähen. Alle Viertelstunden sausten sie die Bodentreppe hinunter – wir bewohnten doch den Dachboden des Gutshauses –, schmeichelten sich an Blacky heran, nahmen Maß und probten an. Das kostete viel Kopfzerbrechen, zahllose Nähmaschinennadeln brachen ab, dann aber entstand aus Sofagurten und Zugsträngen ein Einspännergeschirr, das fast nichts kostete. Wir haben es heute noch. Eine Trense besaßen wir nicht, also mußte es ohne gehen. Die erste Ausfahrt vollzog sich in einem solchen Heidihopp, daß der Fahrer hinterherschleifte und der Wagen um ein Haar zum Teufel ging. Ein kleines Pferd, das mit Stallhalfter und ohne Trense läuft, ist nicht zu halten, es ist stärker als ein Mensch. Das haben wir damals gelernt.

      Noch am selben Tage bestellten wir ein Reitkopfstück mit Gebiß, Nasenriemen und allen Schikanen aus hellem Leder. Ponys brauchen Spezialgeschirr. Es kostete ein Vermögen. Na, egal, jetzt hatten wir ein Pferdehalfter, das an der Wand hing. Es roch nach Leder, Wagenschmiere und Pferd in unserem Zimmer.

      „Ist das nicht so, wie wir es uns immer erträumten?“ fragte Mutter entzückt.

      „Nein. Du mußt schimpfen, weil überall Reitzeug herumliegt, dann ist es erst richtig“, verlangte Lotte, die von jeher auf Stil gehalten hat. Sie, als die Zweitälteste von uns, entsann sich noch der ersten sehnsüchtigen Pferdegespräche von damals. Mutter hatte in jener Zeit oft gesagt: „Wenn ich erst schimpfen werde: Hier liegt schon wieder ein Sattel. – Nun hebt schon den Kreuzzügel auf! Dann wird es richtig bei uns!“

      Einmal verreiste Mutter. Sie legte uns Blacky mit bewegten Worten ans Herz, fast mehr als unseren Jüngsten. Um den ist sie sonst immer sehr besorgt. Wir versprachen alles und nahmen uns auch das Beste vor.

      Es war Winter und dicker Schnee. Borgmeister hatte einen kleinen Pferdeschlitten passender Größe aufgestöbert. Damit erschien er eines Tages und erzählte, der Förster in Mittelwald wäre so tief eingeschneit, daß er mit dem Rad nicht mehr durchkäme. Ob wir ihm nicht im Pferdeschlitten ein paar Brote bringen wollten?

      Natürlich wollten wir. Steffi und Ben spannten ein, und zu dritt ging es los. Die Fahrt durch den schweigenden Wald war wunderschön. Wichtel, unser Dackel, durfte auch mit. Die Förstersfrau geriet fast aus dem Häuschen vor Freude über den unerwarteten Besuch.

      „Kommen Sie doch herein! Nein, ist das rührend!“ Sie legte Holz aufs Feuer und kochte Kakao.

      „Waffeln habe ich gerade gebacken!“

      Steffi und Ben sahen sich an und leckten sich die Mundwinkel. Blacky wurde ausgesträngt und bekam einen Armvoll Heu vorgeworfen.

      „Wir binden sie aber an“, sagte Steffi und brachte einen Strick herbei. Herr von Borgmeister erklärte, wie man einen Segelknoten knüpft, und tat sich damit dicke.

      „So, seht ihr? Er geht nur auf, wenn man an diesem Ende zieht. Wenn an dem anderen gezogen wird, zieht er sich noch fester zusammen.“

      Steffi und Ben heuchelten Ehrfurcht vor so viel Wissen, legten Blacky eine Decke über, was unnötig ist, denn Ponys im Winterpelz frieren nicht. Wenn sie warmgelaufen sind, braucht man sie auch nicht abzureiben. Sie sind ja noch halbe Wildpferde. Wir streichelten und liebkosten Blacky und hätten sie am liebsten mit in die Küche genommen.

      „Daß du nicht stiftengehst!“

      „Sie kann ja nicht. Ein Segelknoten!“

      „Ja, ja, wir wissen schon.“

      Drinnen gab es also Kakao und Waffeln und eine wunderbare, bäuerlich überhitzte Wohnküche, in der man bald auftaute.

      Steffi fand nach dem ersten Becher, sie müßte mal nach den Pferden sehen. Das klang großartig, fand sie. Blacky stand und kaute Heu. Sie nahm auch vergnügt die Waffel, die Steffi ihr heimlich mitgebracht hatte. Nach dem dritten Becher ging Ben hinaus, und er kam mit allen Anzeichen des Entsetzens wieder: Blacky war fort.

      „Unmöglich, ich habe sie doch mit einem Segelknoten ...“

      Kuchen! Weg war sie. Man schob den Schlitten unter das Vordach, verabschiedete sich in Eile und lief los. Im Schnee ist ein Pony leicht zu fährten. An der ersten Ecke, Richtung Heimat, lag die Decke.

      „Na also!“ frohlockte Borgmeister, dem nicht recht wohl war in seiner Haut, obwohl er so tat, als machte er sich nicht das geringste draus. „Sie ist bestimmt nach Hause gelaufen.“ Etwas asthmatisch keuchte er hinter den rennenden Kindern her.

      Es wurde schon dämmerig. Pferde finden jeden Weg, den sie ein einziges Mal gegangen sind. Das wußten wir auch. Die letzten dreihundert Meter jagten Steffi und Ben im Galopp. Hinein in den Stall – er war leer.

      Jetzt wurde es tragisch. Borgmeister schickte die Kinder heim und hängte sich ans Telefon. Er rief alle Förstereien der Umgebung an. Wie oft haben wir später so an der Strippe gehangen! Ein Pony kann leicht für ein Wildschwein gehalten werden, besonders bei Bodennebel und Schnee. Und in dieser Gegend Westfalens gibt es noch viel Wildschweine.

      Die Förster lachten. Borgmeister stimmte leicht gequält in das Gelächter ein. Nun passiert einem Pony nichts, wenn es eine Nacht im Freien zubringt, man kann Ponys gut ohne Stall halten. Es genügt, sie im Sommer vor Hitze und Schnaken ein wenig zu schützen. Aber Blacky war angeschirrt. Wenn sie irgendwo hängenblieb, konnte das Ganze übel ausgehen.

      Borgmeister ließ eine Taxe kommen und fuhr nach Mittelwald zurück. Die Scheinwerfer leuchteten den Wald rechts und links ab, immer wieder hielt man an, horchte und lockte ... Nichts!

      Zu Hause war es schlimm. Ben weinte. Wir Großen versuchten, unsere Sorge voreinander zu verbergen. Nach langem Palaver beschlossen wir, Mutter vorläufig nicht zu benachrichtigen. Sie hätte sich unnütz geängstigt und auch nichts ändern können.

      In der Nacht wachte Steffi auf. Sie hatte schrecklich geträumt. Noch ganz benommen angelte sie nach der Trainingshose, zog sie über den Schlafanzug. Dann schob sie den Fenstervorhang beiseite. Weißes, kaltes Mondlicht blendete herein. Steffi, jetzt ganz wach, tauchte unter dem Bett nach ihren Turnschuhen und förderte sie auch glücklich zutage. Und dann die Treppe hinunter!

      Im Gutsstall war Licht. Steffi rannte über den quietschenden Schnee, als gälte es ihr Leben. Deutlich fühlte sie, dies hier ging sie an. Halblautes Reden, Kettenklirren, mitunter ein dumpfer Hufschlag gegen die Boxenwand. Steffi schob die Nase durch den Türspalt. Im nächsten Augenblick ging für sie die Sonne auf.

      „Onkel Bubi!“

      Da stand er über ein schwarzes Etwas gebeugt, das im Stroh lag. War sie – war Blacky –? Nein! Sie strampelte und wehrte sich, war ganz verfitzt in ihrer Leine.

      „Auf drei Beinen ist sie angehumpelt gekommen, das vierte hing am Bauch, völlig verwickelt. Nein, nichts gebrochen, alles in Ordnung. Hier, halt mal!“

      Steffi


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