Unsere Ponies und wir. Lise Gast
Читать онлайн книгу.und – stand gesund und munter auf allen vieren, heftig die dicken Stirnhaare schüttelnd. Steffi hielt ihren Hals umschlungen und küßte sie auf die Nase. „Fein, Blacky, daß du nach Hause gefunden hast.“
Als die Mutter heimkam, wurde ihr alles berichtet, noch ehe sie das Haus betrat. Wir standen um sie herum auf der Koppel, die Großen und die Kleinen, und erzählten vom Segelknoten an bis zu der angstvollen Nacht. Mutter hatte Ben an der einen Hand und streichelte mit der anderen Blacky. Steffi nahm ihr nacheinander die Handschuhe und die Mütze ab.
„Aber Kinder, daß Ponys alles fressen, was faserig ist, das müßtet ihr doch wissen“, sagte sie vorwurfsvoll. „Sie hat eben das Ende erwischt, an dem man ziehen muß, um den Segelknoten aufzubekommen.“
„Haha!“ Während Mutter diese Weisheit von sich gab, hatte Blacky das grüne Halstuch zur Hälfte schon aufgefressen. Und keiner hatte etwas gemerkt.
Wir haben mit Blacky alles mögliche erlebt. Aus einem alten Traberkarren – weiß der Himmel, wie er nach Westfalen kam, denn er stammte aus Frankreich – bauten wir mit Hilfe unseres Fahrrad-Sachverständigen einen leichten, gummibereiften Pony-Wagen.
Nun wurde es erst richtig. Wir konnten Besuch abholen und Gepäck zur Bahn kutschen. Wir haben mit dem Wagen umgeworfen und sind im Graben gelandet, verloren ein Rad und kamen eines Tages ohne Pferd heim. Alles, was mit einer kleinen Kutsche nur passieren kann, haben wir erlebt. Es war großartig, und wir verstanden überhaupt nicht mehr, was unser Leben früher, ohne Pony, lustig und abwechslungsreich gemacht hatte.
Mitunter sammelten wir Rinde im Wald. Dabei passierte uns, daß wir das Pferd verloren. Wir hatten Blacky ausgespannt, damit sie grasen konnte, und gingen in unserm Eifer immer tiefer in den Wald. Als wir schwerbeladen zurückkamen, war Blacky weg. Da haben wir den Wagen selber nach Hause gezogen, er läuft in Kugellagern und ist herrlich leicht.
Nachdem wir ihn im Hof abgestellt hatten, suchten wir Blacky. Da und dort war sie vorbeigegangen, wie uns gesagt wurde. Schließlich fanden wir eine deutliche Spur.
Ein aus Ostpreußen stammender Straßenarbeiter hatte versucht, sie aufzuhalten.
„Aber der jeht ja auf Menschen“, sagte er entrüstet.
Und dann, am 3. Mai, hatten wir plötzlich zwei Pferde. In der Mutterstutenbox des Gutshauses, in die wir Blacky für die letzten Tage einquartiert hatten, stand eines Morgens ein kleines, wolliges, graues Etwas, das uns vertrauensvoll sein seidenweiches Schnäuzchen entgegenhob. Onkel Bubi, stolz wie ein Spanier, war als einziger dabei gewesen, als Schnute zur Welt kam. Übrigens heißt sie eigentlich Appelschnut. Sie muß mit demselben Buchstaben anfangen wie ihre Mutter Adele. Wir nennen sie aber nur Schnute, neben den tausend Kosenamen, mit denen wir sie bedenken. Besonders Steffi ist sehr erfinderisch in dieser Beziehung. So hieß Schnute eine Zeitlang bei ihr „Sesam“.
„Warum Sesam?“ fragten wir.
„Weil sie so seltsam ist.“
Schnute war aber gar nicht seltsam, sondern ein ganz normales, vergnügtes und oft ungezogenes Fohlen. Es sauste schon am ersten Tag im Galopp rund um die Koppel. Blacky wurde mit ihrem Kind wieder jung und sauste mit. Die Leidenschaft für faserige Gewebe hatte Schnute sozusagen mit der Milch eingesogen. Sie fraß die Wäsche von der Leine, sie zog uns die Taschentücher aus der Tasche und knabberte den Liegestuhl so gründlich an, daß der nächste Gast, ahnungslos hineingenötigt, durchkrachte.
Anfangs lief Schnute einfach nebenher, wenn wir mit Blacky ausfuhren. Sie war noch keine vier Wochen alt, da kamen wir eines Tages in heftigen Regen. Sofort kletterte sie am Hang seitlich des Weges empor und duckte sich unter junges Fichtendickicht. So schlau sind kleine Pferde. Und kleine Menschen im selben Alter?
Mitunter ärgerten uns die Ponys ernstlich. So zelteten wir einmal auf der Koppel. Da störten sie uns ununterbrochen, beknabberten alles, was sie erwischten. Sie fraßen die Kartoffeln auf, die wir am nächsten Tage braten wollten, nagten so lange an einer Teebüchse herum, bis sie ganz verbogen war. Außerdem steckten sie immerzu die Köpfe durch den Zelteingang, um zu sehen, wie es uns ging.
Schließlich kroch Steffi aus dem Zelt – es war sowieso sehr eng, weil wir zu viele waren – und rollte sich davor in eine Decke. Dort bewachte sie uns. Sie hatte einen großen, gegabelten Ast neben sich gelegt, mit dem sie Blacky oder Schnute zurückscheuchte, wenn sie heranschlichen. Schließlich muß sie doch eingeschlafen sein, denn auf einmal sank unser spitzes Klepperhäuschen lautlos in sich zusammen. Eines von den beiden frechen Mäulern hatte die Spannschnur durchgebissen, die vom Zeltstab zu einem der Häringe führte. Wir zappelten zwischen Decken, Pullovern, Schlafsäcken, Zeltbahnen, Büchern und fremden Gliedmaßen durcheinander, beschimpften uns gegenseitig und die Ponys dazu.
Schnute wuchs und wurde, da sie eigene Wege zu gehen pflegte, neben der Mutter angebunden, wenn wir ausfuhren. Sie trödelte sonst zuviel herum, so zärtlich wir auch lockten und riefen. Niedlich war es, wenn Blacky nach ihr rief. Manchmal tat sie es auf Befehl. „Blacky, ruf nach deiner Tochter!“ Auf das schmetternde Trompetensignal aus mütterlicher Kehle hin setzte sich Schnute dann in Trab oder in den entzückenden Fohlengalopp, bei dem sie immer wieder kleine, schiefe Bocksprünge einschaltete.
Da wir auch mitunter Autostraßen entlangfuhren, war das Anbinden geraten. Jeder Autofahrer sah uns nach, meist mit einem leisen Lächeln. Das Zurücklächeln wurde uns zur Gewohnheit. Eines Tages machte Arndt uns neugierig auf eine große Überraschung für Mutter. Und als wir das nächste Mal losfuhren, sahen wir sie.
Hinten am Ponywagen prangte eines der bunten Lastkraftwagenschilder: „Hör auf deine Frau, fahr vorsichtig!“
„Ich hab’ auch ein Schild. ‚Gib Zeichen – wir weichen‘. Aber dieser Engel, der warnend über dem Fahrer schwebt, gefiel mir besser“, sagte Arndt voller Stolz auf den Erfolg seines Einfalls. Von nun an machten wir auf der Autostraße noch mehr Furore.
Unsere Großmutter, sonst von der quicklebendigen Unerschrockenheit der heutigen Oma-Generation, die eigentlich alle 52 Wochen ein Jahr jünger wird, weigerte sich, in „dieser Karre“ mitzufahren. Unser Gutsherr holte sie meist mit dem Auto vom Bahnhof ab. Einmal hatte er keine Zeit, und es regnete. Kurz entschlossen fuhren wir mit dem Ponywagen los, unseren bunten, riesengroßen Sonnenschirm vorsichtshalber auf dem Rücksitz. Nun blieb ihr keine Wahl. Das elegante Lederköfferchen neben sich, das gelb-rote Riesentier von Schirm über sich aufgespannt, erreichte sie das Gut, ohne naß geworden zu sein, dazu schneller als zu Fuß, wie sie zugeben mußte. Heimwärts trippeln die Ponys wie aufgezogene Uhrwerke.
Unsere Kleinen hatten nun jeden Tag Reitstunden bei Herrn von Borgmeister. Blacky erwies sich als ideales Reitpony, obwohl sie auf eine Vergangenheit als Milchwagenpferd zurückblickte. Ben war damals erst sieben Jahre alt. Welch ein Vergnügen, zu sehen, wie er sich auf Blacky tummelte.
Freilich hatte auch sie ihre Mucken. Am liebsten ging sie in Richtung Stall. Auch wenn sie springen sollte, bauten wir die Hindernisse daher immer so auf, daß der kleine Reiter in dieser Richtung startete, besonders wenn Besuch da war und zuguckte und alles besonders gut klappen sollte.
Alle Dorfkinder wollten natürlich reiten, auch die Sprößlinge der Sommerfrischler, die Hardehausen beglückten. Oft hörten wir, wenn wir am Hammerbach in der Sonne lagen und die Kleinen sich auf der danebenliegenden Wiese mit den kleinen Pferden amüsierten, anfeuernde oder angstvolle Rufe. „Werner, das Kind, das Kind“, das war dann eine Mutter, die ihr Jüngstes erstmals auf Rosses Rücken sah, und Werner der dazugehörige Gatte. Oder: „Heiner, halt dir an die Mähne!“
Daß man von Ponyrücken nur sehr niedrig fällt, muß erst ausprobiert werden. Dann allerdings schwindet alle Angst, und die kleinen Reiter wollen nicht mehr herunter von ihrem Mustang.
Wir Großen sahen mit gemischten Gefühlen zu. So aufzuwachsen ... Ob die Kleinen wußten, wie gut sie es hatten? Wir gönnten es ihnen, aber es juckte uns in den Sitzflächen.
Im Herbst fuhren Mutter und die Kleinen zu allen Reit- und Fahrturnieren in die Umgebung. Blacky wurde in Schaunummern vorgeführt. Der Erfolg blieb nicht aus. Bald hingen die ersten Schleifen über den Betten der Kleinen an der Wand. Außerdem ernteten