Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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und krächzend, und deshalb lag über seinen Gesichtszügen eine seltsame animalische Schwermut, und wer den Knaben ansah, wurde davon ergriffen und weich gestimmt. Die Führer hofften, daß Alexander durch seinen Anblick bewegt werden, daß ihm der Knabe wie die verkörperte und belebte Bitte des ganzen Heeres erscheinen würde. Sie schärften ihm ein zu schweigen; stumm solle er vor Alexander hintreten und flehend die Hände erheben. Und nachdem sie sein schwarzgelocktes Haupt mit Efeu und Veilchen und vielen Bändern geschmückt hatten, öffneten sie eigenmächtig den Eingang des Zeltes und der melancholische Knabe trat zitternd hinein.

      Alexander lag auf dem Ruhebett, das Gesicht nach unten zwischen den Armen verwühlt. Als er das Geräusch von Schritten hörte, warf er sich auf.

      Der Edelknabe rührte sich nicht, bloß die flehenden Hände bebten. Alexander hatte kein Auge für seine Schönheit. Doch sah er ihn an, als wollte er fragen: wer bist du? woher kommst du? wie hast du den Weg zu mir gefunden? Er kämpfte mit einem Entschluß, ging unsicheren Schrittes an dem Knaben vorbei zum Eingang und schob die Vorhänge auseinander.

      Die Makedonier wollten ihm zujauchzen, aber eine schwere und widerwillige Bewegung seines Armes machte sie schweigen. Sein Anblick verursachte ihnen Grauen. Das Haar war glatt abgeschoren, die schönen braunen Locken fielen nicht mehr auf die Schultern, und dadurch erhielt der Kopf etwas Barbarisches, Düsteres und Lebloses. Geisterhaft huschte sein Blick über die Versammlung, und alle bemerkten, wie das Auge verändert war. Kühn war es noch, aber kalt. Die Glut war fort, der Schmelz war hin, der Traum, in dem es stets leuchtend geruht, war zu Ende.

      Kaum hatte er mit Perdikkas zu reden begonnen, so ertönte irgendwo weit drüben die Heertrompete. Es waren die jetzt erst abziehenden Scharen Meleagers. Alexander zuckte zusammen, und geraume Zeit verging, bevor er fortfuhr, seine Anweisungen zu geben. Perdikkas, der an Hephästions Stelle den Befehl über die Edelscharen erhalten hatte, sollte in der folgenden Frühe nach Babylon ziehen und Hephästions Leiche geleiten. Dort sollte die Totenfeier stattfinden. Das ganze übrige Heer sollte sich am zweitfolgenden Tag unter der Führung von Seleukos und Ptolemäos in Bewegung setzen und ihn, Alexander, bei der Stadt Kis am Euphrat erwarten.

      Dann verhandelte er mit Eumenes. Er wollte mit wenigen Getreuen das Lager verlassen und über den Tigris setzen. Es klang geheimnisvoll. Eumenes war still. Seine Klugheit, stark im Schweigen, bewahrte ihn vor übereilten Fragen.

      Wenige Stunden später standen die Erwählten bereit: Eumenes selbst, drei Führer der Leibscharen und fünf Hauptleute mit zweihundert erprobten Makedoniern. Schweigend warteten sie bei ihren Pferden und Packtieren, bis Alexander kam. Als die Sonne unterging, waren sie schon weit vom Lager entfernt.

      Bei einer Furt setzten sie über den Strom. Sie kamen in ein Hügelland, wo Ölbäume wuchsen, nicht üppig, nicht so silbrig grün belaubt wie an den Gestaden Griechenlands, sondern karg und ärmlich. Weite Gebiete tauchten auf, wo noch die Mandelbäume in rosiger und weißer Blüte standen, und unendliche Grasflächen, auf denen die wilden Pferde wie Vogelschwärme dahinflogen. Sie ritten über ein Schlachtfeld, wo die fahlen Gebeine von Menschen und Tieren lagen.

      In der Nacht konnte Alexander nicht schlafen. Er saß schweigend und grübelnd vor dem Zelt. In der heißen Glut des Mittagslagers vergnügten sich bisweilen einige Soldaten, von Langeweile gefoltert, heimlich am Wachtelspiel. Viele wurden von Besorgnis ergriffen, wohin der Weg sie führe. Einmal erzählte ein Hauptmann die Sage vom persischen König Kaikhosrav, der, des Lebens und des Thrones müde, Stadt und Land verließ und mit wenigen Getreuen in die Gebirge wanderte, um von dort in den Himmel zu ziehen. Immer höher kamen sie, Bäume und Gräser hörten auf, Schnee begann zu fallen. Tag und Nacht fiel der Schnee, einer nach dem andern sank hin, begrub sich sterbend selbst oder wurde von einer Lawine fortgerissen. Schließlich war nur noch der König übrig, aber niemand weiß, ob er das Tor des Himmels erreicht hat.

      Während der Erzählung war Alexander herzugetreten und hatte aufmerksam zugehört. Und da sie sein Interesse wach glaubten, erzählte ein anderer auch eine Geschichte. Zwanzig starke Helden irrten einmal in der Finsternis herum. Da kam ein Derwisch und führte sie zu einer Stadt und sagte, in dieser Stadt sei der Tod etwas Unbekanntes. Nur von Zeit zu Zeit erschalle in der Nacht eine Stimme über die Mauern und Dächer und rufe den Namen eines Mannes; dieser müsse dann der Stimme folgen und müsse für immer Abschied nehmen. Die zwanzig Helden beschlossen, ehe sie die Stadt betraten, daß keiner von ihnen der Stimme gehorchen solle, auch wenn sie noch so laut rufe. Dabei hofften sie wohl zu fahren und glaubten, nichts sei leichter, als sich jener unheimlichen Macht zu entziehen. Doch kaum waren sie da, schon in der ersten Nacht, wurde einer unter ihnen gerufen. Es durchfuhr ihn schauerlich, er konnte nicht widerstehen, Bitten und Beschwörungen konnten ihn nicht halten, er ging und kam nicht wieder. In der folgenden Nacht geschah es ebenso mit dem zweiten und dann mit dem dritten und so bis zum letzten. Der aber nahm alle seine Seelenkräfte zusammen und widerstand dem Ruf und ging nicht; mit Ketten hatte er sich an sein Lager angebunden, und als am Morgen seine Sklaven kamen, da fanden sie zu ihrem Entsetzen statt einer menschlichen Gestalt ein Skelett an das Ruhebett geschmiedet.

      Als der Erzähler geendet hatte, stand Alexander auf, erdfahl im Gesicht, und entfernte sich.

      Die Ebene lag in der vollen Pracht des endenden Sommers. Bis an den Bauch wateten die Pferde im Blütenflor. An einem Tage schimmerte die blumenübersäte Fläche goldgelb, über Nacht wurde es wie durch Zauberei in tiefes Scharlachrot verwandelt, und wieder über Nacht durch das Aufbrechen anderer Knospen in dunkel strahlendes Blau. Dann ein Tag, wo nur das smaragdne Grün des Grases übrig blieb und darüber das blendende Geflimmer des morgendlichen Taues; da kamen sie auf das weite Ruinenfeld einer seit Jahrtausenden verfallenen Stadt.

      Es waren zerstörte Mauern, hohe Tore, von denen die Schwibbögen abgestürzt waren und durch die man auf ein Trümmerfeld sehen konnte, so wüst und grausig, als ob Titanen die Steine durcheinandergeschüttelt hätten. Schlingpflanzen überwucherten die Blöcke, an verfallenen Treppen und geborstenen Säulen reifte die assyrische Zitrone, der Efeu kletterte über zerfetzte Tempelwände, und inmitten der gestorbenen Welt dehnte sich ruhig ein Wasserbecken. Allerlei Gevögel wimmelte auf dem stillen Teich und raschelte im Schilfrohr.

      Hier wurde das Lager aufgeschlagen.

      Noch war die Zeit der brennenden Südwinde. Kaum standen die Zelte, so strich es über die baumlose Ebene wie der feurige Atem aus dem Maul eines Drachen. Im Zenit des Himmels zogen sich Wolken in einem großen Kreis zusammen, der sich bewegte und um sich selbst drehte wie ein ungeheures Rad. An seinem Rand zuckten Hunderte von violett leuchtenden Blitzen. In der Tiefe des Horizonts stiegen ebenfalls von allen Seiten Wolken auf, und sie wurden im Nu in den furchtbaren Strudel emporgerissen.

      Alexander verließ das Zelt und sah die hingestreckten Körper der Söldner und zwischen ihnen die Leichen kleiner Vögel, die scharenweise aus der Luft gefallen waren. Bedächtigen Schrittes wanderte er in das Ruinenfeld. Die Nacht kam. In dem sumpfigen Wasserbecken quakten die Frösche, in den hohen Gräsern verursachte der Abendwind ein träumerisches Geraschel. Im Lager flammten die Feuer auf und aus der Ferne schallte das Stöhnen der Büffel herüber, der helle Ruf der Schakale, der heisere Schrei des wilden Ebers und der Warnpfiff der Antilopen. Über all dem brannten sanft die Sterne.

      Aus den verfallenen Wandelgängen und eingestürzten Toren blickten die Schatten längstvergangener Geschlechter. Alexander hörte die Zeit rinnen; aus der Ewigkeit strömte sie in die Ewigkeit wie der dunkle Wein von einer Schale in die andere herabfließt und nur in der kurzen Spanne zwischen Becherrand und Becherrand sprühend in der Sonne aufleuchtet.

      Der Viertelsmond sank in die dunstige Luft des Westens wie die glühende Braue eines schwarzen Auges, dessen Blick Alexander magisch auf sich ruhen fühlte. Es war das Auge der Einsamkeit. Was hatte ihn hierhergetrieben? Was ging in ihm vor? Weshalb war die Welt so nah, die Dinge so deutlich? War es nicht eine andere Dunkelheit als je, ein anderer Sternenhimmel, kälter, entschleierter? Ehedem hatte er es wie ein lebendiges Band gespürt zwischen sich und Gott, den Tiefen und den Höhen, nun fand er sich allein, losgelöst, mit Verantwortungen beladen. Ehedem hatte er sein eigenes Dasein kaum anders gespürt als wie der Vogel im Rausch des Fluges sich spürt. Jetzt sah er sich selbst Schritt für Schritt dahinkriechen, und er fürchtete


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