Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Stimme. »Hephästion stirbt soeben.«

      Alexander schaute den Mann an. Sein Gesicht wurde schlohweiß und die Arme, schon zum Schritt bewegt, fielen wie Blei am Körper herab.

      Es wurde ringsum ein wenig stiller.

      Lamachos machte eine zur Eile drängende Bewegung. Mit beiden Händen fuhr sich Alexander an den Hals, als wehre er sich gegen eine erdrosselnde Faust. Er packte den Boten am Arm und zog ihn fort. »Mein Pferd,« ächzte er. Verwundert und ängstlich folgten einige Leute.

      Den Weg weisend, flog Lamachos auf seinem Pferd voran, Alexander, fast auf dem Hals des Tieres kauernd, ihm nach. In kurzer Zeit waren sie am Ziel. Aufschreiend wichen die den Schauplatz Umdrängenden zur Seite, als die Reiter ohne Zuruf in sie hineinsprengten.

      Man hatte Hephästion in ein großes Doppelzelt getragen. Ein Arzt kniete neben ihm und horchte, ob das Herz noch schlug.

      Lautlos warf sich Alexander hin. Mit zitternder Hand befühlte er die Stirn, die Wangen, den Hals des Bewußtlosen und drückte seinen Mund auf die ersterbenden Lippen. Hephästion regte sich, die Schultern hoben sich und preßten sich im Krampf gegen den Hals, der Bauch wölbte sich empor, die Hüften erbebten, die Knie schoben sich auseinander. Er empfand Alexanders Gegenwart, tastete blind nach seiner Hand und wollte sprechen. Da kam ein neuer Fieberschauer über den machtlosen Körper, gleichwie der Sturm den schon entwurzelten Baum noch einmal wütend ergreift und vor sich herwälzt.

      Regungslos lag Alexander und hielt Hephästions kalte, steinschwere Hand in der seinen. Sein Äußeres war gänzlich zugeschlossen. Die Augenlider waren herabgefallen, der zusammengekauerte Rumpf rührte sich nicht. Stunde auf Stunde verging. Die Ärzte entfernten sich, ihnen folgten die anwesenden Makedonier, einer verschwand nach dem andern. Alexander war ihnen unheimlich in seiner Versteinerung. Der Letzte löste die Goldschnur von dem aufgebundenen Zeltvorhang, und sie ließen ihn allein mit dem Leichnam.

      War die Vergangenheit etwas Wirkliches? War diese Gegenwart wahr? Warum bewegte sie diesen Körper nicht, warum öffnete sie nicht Hephästions Augen? Gab es ein Nachdenken, das die Züge so entstellen konnte? Und dies Schweigen verbarg ein Geheimnis, diese bläulichen Lippen waren das Siegel eines unerforschlichen Geheimnisses. Zitterte nicht das Haar? Es war kalt wie Steppengras in der Nacht. Den Hals durchzogen blaue, marmorstille Adern, und die offene Brust ließ die schöne Nacktheit des schlanken Körpers ahnen.

      Wer hätte das Antlitz des Todes besser kennen sollen als Alexander? Aber die auf den Schlachtfeldern lagen, unbeseelte Wesen, schienen nichts verloren zu haben als ein zufälliges Merkmal der Freude oder des Schmerzes. Blut rann von ihren Stirnen oder ihr Leib war zerschnitten oder ihre Glieder zertrümmert. Von einer letzten sekundenkurzen Furcht waren die Lippen verzerrt, und der Greis wie der Jüngling bohrten die Finger in die Erde, die sie noch nicht verlassen wollten. Und trotzdem, ihr Leib ist Erde, die menschliche Form verwischt, sie haben auch nichts mit hinübergenommen, sie leben weiter in den Lebendigen, vollzählig sind die Stimmen bei der neuen Schlacht, es fehlt keine.

      Und nun spürte Alexander, daß eine Stimme fehlte. Sein Wille verließ zum erstenmal das verschlossene Gehäuse und strebte zu einer fremden Seelenwohnung hinüber und sah, daß sie leer stand und konnte nicht wieder umkehren und blieb frierend im Raum, beschaute die schwankenden Kreise des Lebens. Und als er jetzt auf Hephästion blickte, da erst erkannte er ihn für tot. Da fühlte er, noch nicht mit ganzer Sicherheit, noch trüb und weit fühlte er, was es mit dem Tod sei und was es mit den Menschen sei und mit der Liebe von Mensch zu Mensch. Es war, als ob die festen Stützen eines Weges unter ihm geborsten wären, alle Begriffe waren entkleidet, Nacht war nicht mehr Nacht wie sonst, sondern Verhängnis, Zwiespalt, Ende, Furcht. Schlaf nicht mehr Schlaf, sondern Dürftigkeit, Erliegen, Schwäche, Ausgeliefertsein. Der Schmerz vermehrte sich durch die Erkenntnis, die Empfindung der Unwiderbringlichkeit zerstörte das Gefühl der Macht, des Erfolgs, der Wichtigkeit, alles …

      Um die Dämmerungsstunde hörten die vor dem Zelt Versammelten ein so gräßliches Jammergetön, daß die Luft sich zu sträuben schien, es weiterzutragen. Eumenes stürzte in das Zelt, ihm folgten andere.

      Etwas entfernt von der Leiche kniete Alexander mit ausgestreckten, gleich Pendeln sich auf und ab bewegenden Armen. Die Haare hingen ihm so über das Gesicht, daß nur der geöffnete Mund sichtbar war. Er rutschte auf den Knien und drehte sich dabei um sich selbst und heulte wie ein Tier und schlug in der Verzweiflung die Hände klatschend zusammen und sein Rumpf wand sich vor Schmerz hin und her wie der Rumpf eines Vergifteten. Die Gewänder hatte er aufgerissen, die Haut der Brust war blutig, und während die Eingetretenen von Entsetzen gelähmt noch dastanden, fiel er ohnmächtig hin und die Stirn schlug gegen einen Pfosten des Totenlagers.

      Eumenes kniete nieder, packte Alexander an den Schultern und suchte ihn emporzuheben. Zwei halfen ihm. Sie trugen den Bewußtlosen auf ein Ruhebett. Eumenes kehrte zurück und öffnete den Eingang, damit die Luft den Leichen-und Fiebergeruch hinaustreibe. Draußen standen die Mazedonier, eine unbewegliche schwarze Masse, hinter ihnen begann der Osten gelb zu lohen.

      Alexander erwachte aus der Betäubung. Mit Gebärden des Ekels wies er jeden ab, der in seine Nähe kam. Er verweigerte Speise und Trank. Er redete nicht, selbst sein Blick war stumm. Er rührte sich nicht, als der Leichnam gewaschen und geschmückt wurde. An. Abend gab er zu verstehen, daß er niemand mehr sehen wolle; das Zelt wurde verschlossen. In den Kupferschalen erlosch das brennende Rauchwerk. Alexander erhob sich und ging umher. Weißer als die weißen Blüten der Myrten leuchtete das Gesicht des Toten. Er konnte es nicht ertragen und warf ein Tuch darüber. Stundenlang dauerte sein Auf-und Abgehen, doch im Innern der Brust war es stille. Der Geist lechzte nach Finsternis, nach Gedankenlosigkeit, nach Erinnerungslosigkeit. Je mehr die Nacht vorrückte, je mehr fürchtete er den Leichnam. Doch ließ es ihn nicht, er mußte Gewißheit haben, ob die Züge sich verändert hatten. Es zog ihn hin und stieß ihn wieder weg. Wenn er sich niederließ, um zu ruhen, trieb ihn das Bild eines verwesten Antlitzes wieder auf. Endlich rief er mitten in der Nacht Leute herbei, die den Leichnam hinausschaffen sollten. Erst in ihrer Gegenwart, als sie mit Fackeln ihn umstanden, wagte er, das Tuch wieder von Hephästions Gesicht zu ziehen. Mit halb gegen die Stirn erhobenen Armen wandte er sich ab. Fremd war ihm, was er schaute. Doch auch sich selbst gegenüber, seinen eigenen Handlungen gegenüber hatte er plötzlich dasselbe Gefühl der Fremdheit. Er nahm einem der Männer die Fackel aus der Hand und leuchtete damit verwirrt und verstört umher. »Alle Feuer sollen ausgelöscht werden,« sagte er, »auch die heiligen Feuer der Perser. Musik und Tanz und Lustbarkeit sind verboten. Die Mauer von Opis soll geschleift werden. Drei Tage lang dürft ihr keinen Toten begraben, und wenn ein Weib rasend wird, dann erwürgt sie. Laßt es still und finster werden in Asien.«

      Am Morgen war sein Zelt verschlossen. Umsonst kamen die Verschnittenen, die Sklaven, Mundschenken, Köche und Schreiber. Umsonst klagten die Mager laut um ihre geschändeten Heiligtümer, umsonst warteten die Eilboten, die Führer, die Gesandten. Die Zeit ging einen andern Schritt. Aufwiegler trieben ihr dunkles Handwerk. Wer nicht dem Fieber, dem Spiel, der Wollust, dem Wein verfiel, der gehörte ihnen. Wenn ein Makedonier von Alexander sprach, geschah es mit einer verhaltenen Gewalt des Hasses, der seine Nahrung nicht aus Gründen empfing, eine düstere, mystische Lüsternheit half ihn gebären. Sie haßten ihn wie die Notwendigkeit, sie haßten ihn mit geschlossenen Augen, sie haßten ihn so lange, bis sie ihn vor sich sahen. Das totenstille Lager brachte sie um allen Verstand. Warum das alles? War denn der Mensch etwas so Kostbares für Alexander? und seit wann? Freche Reden wurden gewechselt, aber hätten sie nicht gewußt, daß alle ihre Vorsätze und Abmachungen eitel Wind und Wortwitz seien, so hätten sie sich zahmer benommen.

      Die bestürzten Bewohner von Opis rüsteten sich, um anderswohin, um mit dem Heer nach Babylon zu ziehen, denn in einer mauerlosen Stadt, mitten in der unermeßlichen Ebene konnten sie nicht bleiben. Der Oberpriester Rammans stand vor seinem Tempel und die Faust gegen das Lager Alexanders geballt, rief er in prophetischer Ekstase: »Ihm sei der Tag Seufzen, die Nacht Weinen, das Jahr Trauer!«

      Am dritten Tag gerieten die Leibwächter auf einen wunderlichen Einfall. Sie wählten den jüngsten Edelknaben aus, um ihn ins Zelt Alexanders zu schicken. Der Knabe stand noch im zartesten Alter und war von rührender Schönheit. Alles an ihm war von der


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