Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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sagte Leonnatos und betrachtete den Seltsamen neugierig.

      Arrhidäos senkte traurig den Kopf. Viele würden an seiner Statt geschwiegen haben, aber er war nicht fähig, einen Gedanken oder eine Empfindung in sich zu verschließen. »Soll ich denn an der Türe stehen bleiben?« fragte er, von einem zum andern blickend. »Ich bin Philipps Sohn, ich bin ein freier Mann, und wenn man auch von meinen Taten noch nichts weiß, so ist es nur, weil sie noch nicht getan sind.«

      Ein verlegenes Schweigen folgte diesen von der Logik eines Kindes erfüllten Worten. »Ist es denn so eilig, was du vorzubringen hast?« fragte Perdikkas mit billiger Ironie.

      Voll Schicksalsbangigkeit blickte Arrhidäos den Frager an. »Ich habe nichts mehr, um meine Leute zu bezahlen,« sagte er zutraulich. »Ich bin arm, Alexander ist reich, das ist alles. Wenn ich Alexander wäre, würde ich wissen, was Arrhidäos gebührt.«

      Stillverwundert schüttelte Leonnatos den Kopf, und Perdikkas lachte. Dann stiegen beide zu Pferd und ritten nach verschiedenen Richtungen ins Lager.

      Bald kamen die Führer zum Tagbericht, und der Oberste der Wache brachte die Erlaubnis zum Einlaß.

      In dem langgestreckten Empfangssaal herrschte kühle Dämmerung, nur vor den Hohlfenstern lag das Sonnenlicht weiß wie Milch. Arrhidäos drängte sich weit nach vorn, um von Alexander gesehen zu werden. Er erblaßte und fing an zu zittern, als ihn Alexanders Blick traf. Das erregt wartende Lächeln zerschmolz auf seinen Lippen. Zum Zeichen, daß er ihn wohl erkenne, nickte ihm Alexander zu, aber er rief ihn nicht, er hatte nicht Lust, ihm die Hand zu reichen, es war, als ob statt vieler Jahre wenige Stunden verflossen wären, seit sie einander zuletzt gesehen. Arrhidäos schämte sich. Chaotischer Haß durchwühlte die verfinsterte, gekränkte Seele, die eben noch zur Liebe bereit gewesen. Er war zu stolz, um ein Anliegen vorzubringen, selbstquälerisch gefiel er sich in seinem Schmerz; je tiefer ihn die Gegenwart hinabwarf, je höher würde ihn die Zukunft erheben. Das war sein Glaube, seine Phantasie nahm die Erde in Besitz, kettete freischaltend Bestimmung an Bestimmung, bis der Kreis des Schicksals geschlossen war. In solchen Stunden war ihm zumut, als könne er ins Innere des Weltkernes schauen, als höre er das Herz der Gottheit schlagen, und es erschien unwesentlich, eine Tat zu vollbringen, wenn der Wunsch sie gestaltet hatte. Wären die entsetzlichen Krämpfe und Zuckungen seines Körpers nicht gewesen, die auf so erhabene Augenblicke folgten, dann hätte er sie mit keinem greifbaren Glück vertauschen mögen.

      Eine Frau hatte sich durch die um Alexander stehenden Männer gedrängt, – Drypetis, deren Eintritt niemand beachtet hatte. Stumm reichte sie Alexander den Talisman Hephästions, den sie bei der rasenden Suche nach dem Gatten vor dem Bild des Eros gefunden hatte.

      Verwundert betrachtete Alexander das Ding; es war der Schwanz einer Taube, aus Elfenbein gebildet und mit ägyptischen Hieroglyphen gedeckt. Er erkannte es. Einen zufälligen Verlust konnte er nicht annehmen. Er fragte die Perserin, wie sie dazu gekommen sei, und als ihre blutlosen Lippen den Ort nannten, zog ein fragendes Befremden über sein Gesicht und sein Blick flog sinnend ins Leere.

      Zwischen dem Lager der Griechen und der Morgenländer befand sich inmitten eines Cypressenhains ein ummauerter Brunnen. Außerhalb des Schattenkreises knisterte das Gras vor Hitze. Von den Strömen herüber kamen unendliche Schwärme von Insekten und schwebten auf und ab wie vom Wind bewegte Schleier. Ein Fäulnisgeruch lag in der Luft wie über geöffneten Gräbern.

      Am Rande des Brunnens saß Hephästion auf einer niedrigen Steinbank. Seine Augen verlangten nach der Kühle und Dunkelheit in der Tiefe des Brunnens.

      Langsam kamen zwei Meder und ließen einen schweren Eimer hinab. Während die Kette hinunterrasselte, betrachteten sie Hephästion scheu. Schläfrig vor sich hinsummend, zogen sie das gefüllte Gefäß wieder herauf und verschwanden bald, wankenden Schrittes die Last schleppend, im Sonnenglast.

      Hephästions Gewand war staubbedeckt. Dünne Zweige und kleine Blätter hingen ihm verworren im Haar.

      Er träumte. Er träumte von einem kühlen Tal in den Gebirgen Makedoniens und von einer Hütte, wo sieben Kinder um eine wunderschöne Mutter spielten. Es war Hephästions heimatliches Haus. Der schmeichlerische Ton der Hirtenflöte klang von den Hängen herüber, bevor der Abend kam. O stille Heimat, ungebrochenes Schweigen! O tiefe Lust, wenn zum Sommerfest die Paare kamen, mit Myrten und Wasserminze geschmückt und der älteste der Hirten den Wein kredenzte, wenn die Nacht sank und der reine Mond die Täler füllte und schweigend die Knaben zu der Quelle wanderten, wo einst die Dioskuren geschlafen.

      Einige Reiter näherten sich dem Zypressendunkel, an der Spitze Leonnatos. Sie waren müde vom Suchen und erschöpft von der Hitze. Einer sprengte voraus und warf einen Blick in das Schattengrün. Das Tier wollte nicht umkehren, es witterte Wasser. Die andern kamen nach, erblickten die zusammengekauerte Gestalt am Brunnen und erkannten Hephästion.

      Leonnatos sprang vom Pferd und trat vor Hephästion hin. Dieser rührte sich nicht. Den Arm auf die verfallene Ziegelmauer des Brunnens gestützt, schaute er unbeweglich in die Tiefe. Hätte Leonnatos nicht seine Brust atmen, die Adern des Halses zucken gesehen, er hätte ihn tot geglaubt.

      »Du bist weiß wie Schnee, Hephästion,« sagte er, ging noch einen Schritt näher, beugte sich über den Regungslosen und legte die Hand auf dessen Schulter. Seine Gefährten standen stumm unter den Bäumen und hielten ihre Rosse fest.

      Da erhob sich Hephästion. Er erkannte Leonnatos und dennoch erschien er ihm fremd. Mit den Fingerspitzen beider Hände tastete er an seinen Wangen herab, wie um ihre Blässe zu befühlen, und murmelte: »Meine Sklaven sollen mir Schminke bringen.«

      »Alexander läßt dich suchen,« sagte Leonnatos.

      Hephästion schaute zwischen den Stämmen hindurch in den Sonnenbrand und schüttelte den Kopf. Doch folgte er Leonnatos, der ihn zu den Pferden führte. Sie ritten ins Lager. Schon von weitem kamen ihnen die Sklaven Hephästions entgegengelaufen, die ihren Herrn erkannt hatten und ihn schreiend begrüßten. Hephästion verlangte Wasser. Ein phrygischer Knabe lief gazellengeschwind davon, seine ölfetten Glieder funkelten. Schon bei den ersten Zelten stand er mit der gefüllten Schale. – Aber das Wasser schmeckte warm und schlecht; Hephästion schüttelte sich und goß es über den Hals des Pferdes aus. Er forderte Wein. Man brachte ihm einen tiefen Becher gefüllt, und er trank ihn leer. Dann stieg er ab. Sein Haar war schweißfeucht. Ihn fror. Was er sah, flog wie eine Jagd verzerrter Bilder an Sinn und Auge vorüber. Mit übermenschlicher Kraft hielt er sich aufrecht und zwang die Gedanken, den äußeren Vorgängen zu folgen. Wenn Himmel und Erde sich um ihn drehten, schloß er die Augen und biß die Zähne zusammen. Die Sklaven führten ihn ins Bad.

      Inzwischen hatte Alexander die gegen die Kossäer ziehenden Truppen gemustert und dem Meleager an Hephästions Stelle die Führung übergeben. Als er zurückkam, war sein erstes Wort die Frage nach Hephästion. Es wurde ihm gesagt, Hephästion sei vor kurzem mit Leonnatos gesehen worden. Er schickte einen Edelknaben nach Hephästions Wohnung in den Palast. Draußen warteten die Boten, die schon am Mittag angekommen waren; sie brachten Unheil und Ungemach: Aufstand in Baktrien, in Indien, in Griechenland, Räuberhorden in Lydien, Brand der Stadt Damaskus, Widersetzlichkeit der Chaldäer in Babylon, ungetreue Statthalter, verräterische Feldherren. Alexander kümmerte sich nicht darum. Seine Sehnsucht nach Hephästion war plötzlich schmerzhaft geworden und brachte sein Blut in die heftigste Wallung. Unruhig ging er im Zelt auf und ab, als der Edelknabe zurückkam. Hephästion wolle nicht kommen, könne nicht kommen, sagte der Jüngling, und Alexanders flammender Blick ließ ihn verstummen. Alexander rief die makedonische Wache und einen Unterführer; schäumend vor Ungeduld, befahl er ihnen, Hephästion zu bringen. Er bedachte seine Worte nicht, erst als sie geraume Zeit fort waren, fiel ihm ins Ohr, was er gesagt. Er eilte hinaus, warf sich auf ein Pferd und stürmte in den Palast. Seine Ahnung war begründet. Die Söldner hatten sich an den Wortlaut seines Auftrags gehalten, hatten mit ihren Beilen die Türe zu Hephästions Zimmer eingeschlagen, da er auf ihr wiederholtes Rufen nicht geöffnet, und als Alexander kam, mußte er schon über Trümmer schreiten, um zu dem Freund zu gelangen.

      Da stand Hephästion in der Dämmerung. Seine Stirn, seine Wangen, sein Hals glühten, seine Brust war im Innern wie entzündet.


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