Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Makedonier, erschreckte sie, brachte sie zur Besinnung. Es war etwas Diabolisches in diesem Lächeln; ich spiele nur mit euch und werde gewinnen, sagte es, mich belustigt euer Wahnsinn und ich freue mich darauf, euch zu züchtigen …

      Die Stille, die bei den Vornstehenden eingetreten war, verbreitete sich allmählich nach hinten. Die Söldner und Führer, die vor Alexander standen, verzerrten das Gesicht zu einem Ausdruck, der aus Trotz und Furcht gemischt war. Durch eine unsichtbare Kette gebändigt, knirschten sie in die Fessel hinein. Alexanders Gesicht wurde ernst wie ein Stein. Sein Blick lief von Mann zu Mann; wie viel Hunderte er auch in dem Gedränge sah, bärtige Gesichter, glatte, jugendliche, greisenhafte, von Narben zerrissene, von Ausschweifungen gezeichnete, kein einziges Auge wagte dem seinigen zu begegnen. Sie schämten sich voreinander ihrer Feigheit, sie suchten einander glauben zu machen, daß die Sonne sie blende, die eben über die Zinnen der Palastmauern stieg, und blinzelten mit den Lidern.

      Alexander atmete auf und sagte mit einer klaren, hellen, kindlichen, weithin vernehmbaren Stimme: »Keiner von euch ergreife mehr in meinem Namen das Schwert. Ihr seid entlassen. Ihr könnt gehen, wohin ihr wollt. Fort mit euch, ich will euch nicht mehr sehen, fort, fort mit euch.«

      Er wandte sich und stieg die Treppe hinauf. Der Mantel flatterte ihm von der Schulter und sank zu Boden. Leonnatos hob ihn auf. Die Wachen folgten Alexander in den Palast.

      Oben auf einem Vorsprung der Terrasse, in zusammengeduckter Haltung, den Ellbogen auf das Geländer gestützt, lehnte Hephästion. Mit unverwandtem klammernden Blick waren seine schwarzen Augen auf die Söldner gerichtet. Er durchforschte ihre Mienen, wie ein Jäger das Walddickicht, in das er eindringen will. Da stieg mit schwerfälligem Schritt der Tetrarch Phason hinan und blieb vor Hephästion stehen. »Nimm mir das Ding da ab, Hephästion,« sagte er, das kurze Schwert in der ausgestreckten Hand haltend, »es ist ein überflüssiges Gerät geworden.« Das graubärtige Gesicht zuckte wie über einer Flamme, und Tränen standen ihm in den Augen. »Na, Hephästion,« fuhr er mit wunderlich schnalzenden Lippen fort, »du mußt wissen, was jetzt bevorsteht. Du bist ja die Uhr von Alexanders Willen.«

      Hephästion schüttelte den Kopf und verstellte sich zu einen Lächeln. »Steck’ nur dein Schwert wieder ein, Phason,« antwortete er, »du wirst es noch brauchen.« Die Verzweiflung des Mannes rührte ihn.

      Die Makedonier standen noch schweigend, wie sie Alexander verlassen. Ihre Füße waren ihnen bleischwer. Plötzlich schrie einer: »Auf! nach Hause! wir sind frei!« Da entstand eine träge Bewegung. Die meisten Mienen zeigten Verdruß, ängstliches Nachdenken und Ratlosigkeit. Sie waren nicht mehr Soldaten Alexanders. Wohin? was beginnen? fragten ihre stummen Blicke. Einige Rottenführer und Hauptleute erteilten Befehle, sie wurden nicht gehört. Es entstand ein Summen, wie von einem Milliardenheer von Insekten. Diese mahnten zum Aufbruch, jene zum Bleiben. Einige gaben den Rat, die Stadt zu plündern und in Brand zu stecken. Jeder wollte etwas anderes, alle kommandierten, niemand gehorchte. Da erhob sich wüstes Geschrei, dort traten Besonnene zusammen und erwogen ihre Lage sorgenvoll. Andere liefen herum, drohten, lachten, schwuren, prahlten. Der ganze gewaltige Menschenhaufen, bald sich lockernd, bald sich zusammenziehend wie eine Riesenqualle im Wasser, drehte sich um sich selbst.

      Endlich drang ein Vorschlag durch, der keinerlei Wagnis enthielt und nicht viel Tätigkeit erforderte. Man beschloß abzuwarten und während des ganzen Tages sich still zu verhalten, aber alles: Zelte, Tiere, Sklaven und Gepäck zum Abmarsch vorzubereiten. Die ordnungslose, aufsichtslose Menge wälzte sich durch die Tempelstraße dem nächsten Tor und dem Lager zu.

      Die Sonnenhitze warf die meisten erschöpft hin. Mit geschlossenen Augen ergaben sie sich einem allgemeinen Gefühl des Unheils. Die Sklaven und Weiber kochten ihnen ihre Speisen, aber sie konnten nichts genießen, nur Wein schütteten sie in ihre brennenden Kehlen. Die Stadt mit ihren Mauern und flachdächrigen, erdhügelhaften Häusern lag in der Mittagsglut vor ihnen, leuchtend wie eine ungeheure weiße Blase, der Himmel war bräunlich gefärbt, das Flußwasser war warm, als sei es gekocht, der Erdboden vibrierte und schwankte vor den Augen.

      Viele flüchteten in die Obstgärten und suchten unter dem schmalen Schatten der Bäume Labung. Viele stürzten sich bis an den Hals ins Wasser. Ein Rottenführer schickte seine Leute in die Stadt; er glaubte, wenn Alexander sie sähe, würde er zu unterhandeln anfangen. Traurig kamen sie zurück und erzählten, Alexander habe sich im Palast eingeschlossen und wolle mit niemand sprechen.

      Am andern Morgen erschallte ein hundertfältiger Ruf zum Abmarsch. Viele Zelte wurden niedergerissen, die Maultiere und Kamele bepackt. Aber die lockenden Bilder der Heimat waren verblichen. Niemand wollte zuerst gehen, keine Abteilung wollte die erste sein. Ein gewisser Sophillos ging umher und machte prahlerische Versprechungen; er wollte sich als Führer an die Spitze stellen und Ägypten als festes Reich gewinnen. Man hörte ihn an, und wenn er fertig war, vergaß man, was er gesagt hatte. Ein anderer, der Lampos hieß wie Hektors Pferd, trug selbstverfertigte Hymnen vor, worin er anempfahl, die Tyrannen zu töten. Einige Söldner lagen unter den Olivenstauden, eine furchtbare Erschöpfung hatte sie ergriffen und sie heulten wie Kinder. Bedenklich war die Gefahr, die durch das Ausgehen der Lebensmittel drohte. Entlassene, Verjagte, hatten sie vom Proviantamt nichts mehr zu fordern. Was sie mit dem Bogen schießen, mit der Lanze treffen konnten, war ihr Eigentum, aber davon konnten nicht hundert einen Tag lang satt werden, und wer hatte noch Lust und Freiheit genug, um draußen im glühenden Land zu jagen? Der Wein war schon zu Ende. Unabweisbar wurde der Gedanke an Gewalttat. In der Nacht marschierten etwa zweitausend Mann, zum Kampf gerüstet, gegen das Lager der Perser. Hinter den auflodernden Feuern zeigten sich drohend die verstärkten Wachen. Sie getrauten sich nicht weiter. Diese unüberwindlichen Makedonier glichen einer Horde von plärrenden Schwächlingen. Ohne Mut, ohne Vernunft, ohne Selbstvertrauen, faßten sie lauter kraftlose Entschlüsse.

      Die Edelscharen Phasons zogen planlos vor den Mauern umher. Schauerlich war es, als sie mitten in der Stille und Dunkelheit der Nacht zu singen begannen. Sie wollten ihre Furcht betäuben. Unmöglich war es zu handeln, nicht zwei Gehirne waren demselben Gedanken zugänglich, alle aber der gleichen aufregenden Empfindung einer gräßlichen Verlassenheit. Sie zündeten Feuer an und schleppten die Wahrsager herbei. Zwei Stymphäer kletterten in ihrem verworrenen Drang an den Stadtmauern empor. Der eine, durch warnende Zurufe erschreckt, stürzte herab und brach das Genick, der andere gelangte bis zur Zinne, blieb dort hocken und stierte stumpfsinnig in die Finsternis.

      An Schlaf war nicht zu denken. Die Männer hielten die Jünglinge, die sie liebten, stumm und fest umklammert. O, wie haßten sie Alexander! wie quälend war ihr Haß, weil er sich in seiner Ohnmacht selbst verzehren mußte. Inbrünstig flehten sie von Gott das bitterste Menschenleid für ihn herab, und sie dachten über das erstaunliche Rätsel nach, daß er sie so demütigen durfte. In dieser Nacht erkrankten über tausend an Fieber und an der Ruhr; sie setzten dem Übel keinen Widerstand entgegen und die bösen Dünste der Niederung vergifteten ihre Säfte.

      Die einzige Abteilung des Ismenias war am Morgen des dritten Tages zum Abmarsch entschlossen. Sie brach langsam auf. Glühend wie die vorigen, kam der Tag schon aus dem Schoß der Dämmerung. Als sie an das Ufer des Kanals gelangten, sahen sie dort ein großes, kreisrundes Fahrzeug, in dem ein wunderbares Frauenzimmer saß. Sie hatte ein Gewand aus gelbem Byssos und safrangelbe Schuhe. Rötliche lose Haare umflatterten wie eine Mähne das harmlos lächelnde und doch von einer geheimnisvollen Bosheit erfüllte Gesicht. Zwei nackte nubische Sklaven standen hinter ihr mit dem Sonnenschirm und dem Fliegenwedel. Ein dritter Sklave stieß mit einer langen Stange das Boot nach vorwärts. Zu Füßen des Weibes lag ein griechischer Soldat, ein Hauptmann mit bläulich aufgequollenem Gesicht, eine Leiche. Das Fahrzeug kam aus dem Lager der Griechen und fuhr gegen die Stadt.

      Die Söldner stutzten. Sie blieben stehen, die Reiter hielten die Pferde an, die ganze Schar stand schweigend längs des Ufers, um die Barke auf dem schaukelnden Spiegel des schwärzlichen Wassers vorübergleiten zu lassen. Sie konnten nicht weiter. Lange noch lauschten sie mit verfinsterten Stirnen auf den eintönigen Gesang des Sklaven, der die Barke fortbewegte. Beschämt, zerknirscht, von abergläubischen Vorstellungen erregt, kehrten sie um.

      Als sie ins Lager zurückkamen, verkündeten zwei Herolde den Makedoniern, sie sollten entweder die Ebene von Opis räumen


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