Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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zog eine beschriebene Rolle aus dem Mantel und während sich die Menge in banger Erwartung um ihn drängte, fing er an zu lesen:

      »Dies ist Alexanders Botschaft an euch, Soldaten! Aus den elendesten der Menschen habe ich euch zu Königen gemacht. Aus jedem einzelnen habe ich in seiner Art einen Fürsten gemacht. Was wart ihr denn ehemals? Ziegenhirten wart ihr. Erinnert ihr euch nicht? Habt ihr vielleicht Schätze besessen in euern ärmlichen Tälern? Nicht zwei Silbertalente habt ihr besessen. Habt ihr vielleicht Schiffe gehabt? Nicht ein Baumstamm aus euerm Land schwamm auf dem Meer. Habt ihr vielleicht kostbare Gewänder gehabt, blauseidene Zelte? und silberne Nägel in den Schuhen? und Essenzen zum Bad? und Sklaven und geschmückte Weiber und Liebesknaben und goldene Trinkschalen und edelsteinbesetzte Armbänder und Schwerter mit goldenen Ornamenten? In stinkenden Hütten unter der Erde habt ihr gehungert, unter dürren Fellen habt ihr gefroren. Und die Herrlichkeiten von Tyros, die Perlen des Dareios, die Schätze der Königsgräber, das Gold und die Geräte der Tempel, habe ich sie vielleicht? Was ist mir geblieben als ein Fetzen Purpur? Ihr wart die Besitzer, ihr die Statthalter, ihr die Heerführer, und ich, ich habe nur die Brust voll Qual. Ich esse schlechter als ihr, ich schlafe schlechter als ihr. Hat einer mehr erduldet als ich? Wer Narben hat, entblöße sie. Auch ich will kommen und meine Narben zeigen. Kein Glied an meinem Körper ist ohne Wunde geblieben. Von Schwert und Dolch und Steinwurf und Katapultenpfeil und Lanze und Keule bin ich getroffen worden. Ich habe eure Schulden bezahlt, ich war gütiger als ein milder Geist. Wer gestorben ist, ruhmvoll war sein Ende, denn fliehend fand unter mir keiner den Tod. Und nun geht, ich rate euch, verlaßt das Land. Ich habe mich den Asiaten anvertraut. Ich habe ihnen das Recht des Kusses gegeben. Ich habe persische Silberschildner, persische Edelscharen, eine persische Leibwache, ich brauche euch nicht mehr. Lebt wohl und erzählt zu Hause, daß wir in Frieden voneinander gegangen sind.«

      Diese Worte hatten eine furchtbare Wirkung. Zuerst erhob sich ein Murmeln, weithin rollend wie von Gewittern, ein Ächzen wie von zahllosen Sterbenden, dann ein Geschrei maßloser Verzweiflung. Die Herolde wurden zu Boden geworfen, die Tribüne samt dem Rhetor überrannt und zertreten. Die Silberschildner liefen nach der Stadt, blindlings folgten alle, von einem und demselben Drang urplötzlich bis ins Innerste bewegt. Atemlos sausten sie durch drei Tore zu gleicher Zeit, liefen keuchend durch die Tempelstraße, die Straße der Kaufleute und die Straße der Gerber, atemlos langten sie vor der Terrasse an, sprangen hinauf und wollten in den Palast dringen.

      Aber die Tore waren verschlossen. Unzählige Fäuste hieben dröhnend darauf los. Umsonst; man hatte ihr Kommen bemerkt und Vorkehrung getroffen. Sie suchten zu den oberen Rundöffnungen zu gelangen, indem drei oder vier einander auf die Schultern stiegen. Doch die Speere der persischen Wachen starrten ihnen entgegen. Ein großer Teil hockte alsbald apathisch auf den Stufen der Terrasse. Die Straßen unten waren angefüllt mit Makedoniern. Gelb und schwül brütete die Sonne auf den Köpfen und Helmen.

      Da erschallte ein Klirren vor dem Haupttor. Einige Soldaten hatten Schwerter und Schilde hingeworfen, um sich waffenlos zu zeigen und ihre Reue glaubwürdig zu machen. Das Beispiel wirkte entflammend. Die Scharen strömten herauf. Einer um den andern legte die Waffen nieder: Schwerter, Dolche, Schilde, Lanzen, ja sogar die Helme. Es wuchs und türmte sich eine kolossale Waffenpyramide. Viele traten vor das Tor des Palastes und flehten mit aufgehobenen Armen laut um Zutritt. Bald standen Tausende im Knäuel, schrien jammervoll um Einlaß, um Vergebung, klagten sich an und versprachen Gehorsam. Nur sehen solle sie Alexander, nur einmal möge er noch zu ihnen reden.

      Nichts rührte sich im Palast. Gleichgültig ragten die weißen Mauern. Die Dämmerung kam. Das Flehen und Weinen wurde ungestümer. Die Makedonier erboten sich, die Urheber des Aufruhrs auszuliefern. Es war, als ob sie im Eisentor selbst die Ohren Alexanders vermuteten, so unmittelbar und leidenschaftlich gaben sie sich. Phason drängte sich vor. Er bekannte sich am schuldigsten. Er hob ein kurzes Schwert vom Boden auf, stützte es mit dem Knauf gegen die Mauer, schloß die Augen und drängte mit fanatischer Langsamkeit die eigene Brust in den Stahl. Mit leisem Schmerzengewimmer brach er zusammen. Das Blut färbte seine Gewänder.

      In demselben Augenblick wurde das Tor geöffnet.

      Von einigen Fackelträgern begleitet erschien Alexander im Dunkel der Halle.

       Hephästion

       Inhaltsverzeichnis

      Alexander hatte am Morgen mit Eumenes die neuen Steuer-Erlässe für Syrien beraten, und dieser hatte sie dann in Gegenwart Alexanders seinen Schreibern diktiert. Von Zeit zu Zeit kamen Boten mit Nachrichten aus dem makedonischen Lager. Die Führer, die nicht am Aufruhr teilgenommen, gingen bedrückt in den Wandelhallen des Palastes umher; ihr Herz zog sie hinaus. Mit verdachtvollen Blicken beobachteten sie die Gruppen der persischen Fürsten, und die meisten unter ihnen waren fester von Verrat umstrickt, wenn sie auch treu in ihren Handlungen geblieben waren, als die zu offenen Empörern gewordenen Söldner. Aber sie brauchten den Glanz des königlichen Lagers, die Gunst, die wohliges Genießen schuf, brauchten den rechtmäßigen Besitz ihrer Titel und Reichtümer. Alexander war ihnen das Auge ihrer schlaffen Behaglichkeit, das Hirn, das für sie dachte, die bewegende Kraft über ihrer süßen Ruhe, die Leiter ihrer wilden Hoffnungen. In ihren Wurzeln war noch nicht das Hinzehren zur Heimat erstorben. Im Geist unterhielten sie sich mit Alexander, wie es das Gewissen und die Ehrlichkeit verlangten. Demütige sie nicht, demütige uns nicht bis zum äußersten, sagten sie; willst du denn, daß die Welt, daß die Sicherheit der Millionen, willst du, daß alles nur an deinem Atem hängt, Alexander? Bedenke, auch du trägst ein Herz von Fleisch in der Brust, nicht anders als bei andern Menschen rollt das Blut; du kannst sterben; soll der ungeheure Bau auf einer einzigen Säule ruhen und in Schutt zerfallen, wenn sie bricht? Also erniedrige sie nicht zu sehr, die aus demselben Erdreich stammen wie du …

      Wie um das Verschweigenmüssen ihrer Empfindungen zu entschuldigen, sprachen sie davon, wie gut es stets den Wahrsagern und wie übel den Wahrheitssagern ergangen war, und noch kühner waren ihre Gedanken in den schwarzen Stunden dieses Tages: keine Brücke führt mehr nach der Heimat, Asien wird uns vernichten, wie eine Schlange wird uns Asien umringeln, die Völker können sich nicht rächen für das vergossene Blut, aber Asien wird den Arm erheben, auch über ihn wird es kommen, auch ihn wird der finstere Rachen schlucken, schon reißt Babylon das Maul auf, schreit und weint nur, Makedonier, ihr habt Grund, heute ist der Tag, an dem die Ehre stirbt und das hellenische Auge bricht, heute ist der Tag vor der Nacht. Solcher Art aufgewühlt, gingen die Führer in den weiten Wandelhallen umher und erwarteten den Abend.

      Es traf noch eine schlimme Botschaft ein. Einwohner und Soldaten kamen aus der Gegend von Ekbatana, erschöpft, verhungert, krank, verwundet. Das wilde Gebirgsvolk der Kossäer hatte sich empört, hatte die Besatzungen der Städte niedergemacht, und im oberen Land waren alle Tempel in Flammen und alle Dörfer verwüstet.

      Je mehr die Welt um Alexander ins Kochen kam, je stiller, je starrer, je schweigsamer wurde er selbst. Je mehr Gefahren sich dann erhoben, je mehr vermochte er durch sie hindurch und hinter sie zu schauen. Während alle andern im Dunst der Erlebnisse lebten, stand er über den Nebeln. Da kam eine Traumklarheit über ihn, die ihn fähig machte, den dunklen Fleck in der ergebensten Brust zu sehen, und das menschliche Herz hatte keine Geheimnisse mehr; ihm selbst aber erstarb das menschliche Gefühl. Er vergaß Essen und Trinken, er bedurfte nicht mehr des Schlafs und der Ruhe, nichts konnte ihn überraschen, nichts ihn erschrecken, und ob Königreiche zerschmettert wurden, erregte ihn nicht mehr als das Fallen der Würfel beim Spiel. Aber es jauchzte auch nichts in ihm, die erhabene Kraft drang nicht in sein Bewußtsein, nachtwandlerisch war sein Wort und seine Gebärde, die Fäden, die er hielt, glitten wie von selbst durch seine Finger.

      In der Stunde, als die Makedonier vor den Palast stürmten und ihr gräßliches Bittgeschrei alle Räume durchschallte, waren Perdikkas und Ptolemäos bei Alexander. Er machte keine Anstalten, sich den Flehenden zu zeigen, sondern beriet gleichmütig mit den beiden Leibwächtern über die Maßregeln gegen die Kossäer und welchem von den Führern, die er entbehren konnte, der Kriegs-und Rachezug anzuvertrauen sei.

      Da stürzte Hephästion


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