Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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die Besiegten, das Schwert des Siegers führend, die Fremdlinge, eingereiht in den festen Kern der heimatlichen Truppe, in die Edelscharen, ja sogar in die Leibschar Alexanders!

      Am fünften Tage kamen die Perser. Um die Mittagszeit trafen sie ein, in wohlgeordneten Scharen zogen sie von den nördlichen Bergen herab. Es waren stille tapfere Jünglinge, die meisten kaum dem Knabenalter entwachsen. Sie waren von dunkler Hautfarbe, das dunkelbraune Haar trugen sie schlicht, und sie hatten nicht viereckige Köpfe wie die Griechen und Makedonien sondern ihr Schädel war von feinem Ei-Oval mit mäßig hohen Stirnen, großen, langlidrigen Augen von phlegmatisch leidvollem Ausdruck und bogengewölbten Brauen. Ihre Hände und Füße waren überaus klein, frauenhaft zart die Gelenke, anmutig und beweglich die Gestalt. Sie wurden von den Makedoniern mit Hohn und Erbitterung empfangen; ein älterer Rottenführer, der ein wenig über vergangene Zeiten Bescheid wußte, erinnerte seine Freunde an jenen Spartanerkönig, der einst vor der Schlacht die gefangenen Perser den Soldaten nackt zur Schau stellte, damit sie einen solchen Gegner verachten lernten.

      Am Abend versagte ein großer Teil des Makedonierheeres den Gehorsam. Sie verließen ihr Lager, durcheilten die Söldnerstadt und verbanden sich mit Phason und seinen Edelscharen, die unter den Mauern von Opis lagen. Schweigend zogen sie durch die Tore und gegen den Palast. Dort verlangten sie mit fortgesetzten dumpfen Rufen nach Alexander. Sie wußten, daß Alexander, der mit der Stromflotte den Tigris herauffuhr, noch nicht angekommen war, aber sie betäubten einander dadurch, daß sie seinen Namen in die Luft schrien. Phason, der Erbittertste von allen, pochte mit seinem Schwertknauf im Takt ihres Gelärms an das bronzene Haupttor des Palastes.

      Nun erschien Hephästion mit den Leibwächtern Seleukos und Peithon. Während er heruntereilte, blieben die andern bestürzt am Rande der äußeren Terrasse stehen. Ihr beruhigendes Winken, ihre stockenden, drohenden Reden, das fürstliche Ansehen ihrer hohen Gestalten, – nichts half. Gräßliches Geschrei unterbrach sie, brennende Fackeln wurden emporgeworfen, ununterbrochen gellte, donnerte, kreischte es empor: Alexander! Alexander! Immer von neuem der einzige Name. Sie klatschten die Hände zusammen, stampften auf den Boden und stießen johlende Pfiffe aus.

      Hephästion fand verschlossene Ohren. Seine Stimme verhallte im Getöse. Er ging unter ihnen umher, redete den Einzelnen ins Gewissen, erreichte auch durch seine warmen, männlichen Worte, daß der eine oder der andere stutzig wurde und für eine Weile schwieg, aber wenn er nur den Rücken wandte, stürzten sie sich mit verdoppelter Wildheit in den Strom der allgemeinen Leidenschaft. Hephästion spürte wohl, daß er seine Kraft umsonst vergeude; was er zu halten wähnte, entwand ihm der nächste Augenblick, je größer sein Bemühen wurde, je heftiger tobte der Aufruhr. Sie reckten ihm die Fäuste entgegen, sie heulten auf ihn ein, sie erschlugen ihm die Worte im Mund. Erst als er sich zurückzog, aufs äußerste erschöpft, wurden sie ruhiger. Man brachte ihm die Nachricht, daß sich die Rundschildner und die Silberschildner gleichfalls erhoben hätten. Er schickte reitende Boten zum Tigris, um Alexander, der jede Stunde eintreffen mußte, zur Eile zu drängen.

      Hephästion ging nicht ins Haus. Obwohl er der Ruhe sehr bedurfte, schritt er unablässig auf der Höhe der Terrasse auf und ab, den entflammten Sternenhimmel über sich, gierig die kühle Nachtluft einsaugend. Stunde auf Stunde verrann ihm in gramvoller Gedankenlosigkeit. Seine wunden Sinne vermochten nur vorüberrasende Bilder zu erfassen: die zerstörte Welt, aus unzählbaren Rissen blutend, den Himmel, gleich dem brennenden Dach eines Zeltes, die Städte, in Dampf und Nebel über Feuerlöchern schwankend, und augenloses Getier, das durch die Finsternis flatterte und entsetzliche Laute ausstieß. Sein Gemüt war aufgepeitscht durch die fortdauernden Erregungen, die Nächte ohne Schlaf, das immerwährende Bereitstehen zum letzten Kampf, die Angst vor dem Ungefähr. Die Organe des Körpers, geschwächt durch die Kälte der Gebirge, die Glut der Wüste, die Miasmen der Sümpfe, durch Wunden und Entbehrungen, versagten den Dienst; zerrissen war jedes herzliche Band, der Glaube erschüttert, die göttlichen Symbole nichtssagende Zeichen geworden, auf nichts gestellt war man, das Alltägliche hatte keine Bedeutung mehr, Sicherheit war nur im Tod.

      Die Nacht war dunkel und schwül. In der Finsternis standen schwer die Häuser von Opis. Die Bewohner hatten die Türen verrammelt; von den flachen Dächern herab forschte bisweilen ein stilles Augenpaar in dem wechselnden Gewühl der Fremdlinge. Hunde rannten scheu über die gepflasterten Straßen und suchten Speiseabfälle.

      Aus dem Hain des Mondgottes kam eine Prozession weißgekleideter Priester. Acht Hierodulen trugen das verschleierte Götterbild voran. Auf einem weiten Platz, in dessen Mitte eine schwarze Säule stand, bildeten die Priester einen Kreis. Schweigend blickten sie empor gegen den Mond, dessen halbe Scheibe süßlich rot gefärbt war durch die schwälenden Ausdünstungen der Erde. Die acht Frauen warfen ihre Gewänder ab, entfesselten das Haar und tanzten mit gemessenen, ja gespreizten Bewegungen ihrer mondglänzenden Glieder. Sie bogen den Kopf zurück, so daß ihre Brüste sich voll und sehnsüchtig dem Gestirn entgegenspannten. Die Priester erhoben die platt zusammengedrückten Hände und stimmten einen langsamen Gesang an.

      Viele Makedonier waren Zeugen des Schauspiels. Ihnen schauderte vor dieser Stunde. Unheimlich war ihnen das Land. Verzweifelt kehrten sie ins Lager zurück. Und da der Morgen graute, hieß es, Alexander sei angekommen. Die Hoffnung rötete ihre übernächtigen Gesichter. Immer neue Leute kamen und bestätigten die Wahrheit der Kunde.

      Nun begann ein gewaltiges Wandern. Von einer einmütigen Aufwallung ergriffen, zogen alle Makedonier durch die Tore in die Stadt und vor die Anhöhen des Palastes. Dort blieben sie, Mann bei Mann, die Tausende, in geduldigem Schweigen, bis die Sonne aufging. Ohne ein Zeichen des Überdrusses warteten sie, bis es Alexander gefallen würde zu kommen. In keinem einzigen Gesicht lag Trotz oder Unbotmäßigkeit. Ein schwaches, langhallendes, langsam erzitterndes Gemurmel erhob sich, als die Sklaven das Haupttor öffneten und Alexander heraustrat, – allein.

      Er trug den schönen Helm aus Samos, ein zugegürtetes Oberkleid von sizilischer Arbeit, den linnenen Doppelpanzer von der Beute bei Issos und den prächtigen Reitrock, den ihm die Stadt Rhodos geschenkt hatte.

      Er ging mit schnellen Schritten zum Rand der Terrasse. Die Makedonier drängten ihm stürmisch entgegen, so daß Hunderte auf einmal die breite Treppe besetzt hatten und die Nachdrängenden Kopf an Kopf standen, die Augen mit dem Ausdruck gespanntester Erwartung auf Alexanders Gesicht gerichtet.

      Ungeachtet der auf dem Wasser verbrachten Nacht, war kein Zeichen der Mattigkeit in seinen Zügen. Er schien frisch, beweglich, belebt. Zuerst sah er sich seine Leute an. Die Musterung dauerte nicht lange, obwohl jedem einzelnen dabei zumut war, als nähme er ihm das Herz aus der Brust, um es zu betrachten und abzuwägen. Dann begann er ganz vertraulich zu reden, und zwar nur zu den Vordersten, wobei er seine Stimme wenig erhob und sich benahm, als ob er die friedlichste Unterhaltung führe. Er stellte sich, als hätte er ihnen etwas Erfreuliches mitzuteilen. »Erinnert euch, daß ihr in Indien schlachtenmüde wart und zurückkehren wolltet,« sagte er. »Damals konnte ich euch nicht entlassen, denn ich konnte euch nicht entbehren. Heute liegt es anders. Asien ist beruhigt, und bis zum nächsten Frühjahr will ich nichts Neues unternehmen. Ich will also diejenigen, die über fünf Jahre bei mir sind, nach Hause schicken. Jeder bekommt ein Geschenk von –«

      Weiter kam Alexander nicht. Die, zu denen er gesprochen hatte, wandten sich nach rückwärts, und wie der Sturmwind flogen seine Worte von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr.

      Ein ungeheurer Tumult, ein wildes, ungeheures Geschrei brach aus. Alexander trat zurück. Mit bleichen Stirnen, ausgestreckten Armen, geöffnetem Munde drängten sie nach. Eine Flut von Schreien, Verwünschungen, Flüchen, Jammerlauten, Klagen und Hohnreden gurgelte empor. Sie rissen ihre Schwerter heraus und fuchtelten damit durch die Luft. »Verräter!« schrien sie Alexander zu. »Deine Veteranen willst du dir vom Halse schaffen« heulten sie. »Barbaren sollen deine Füße küßen.« – »Hat uns ausgenutzt und ausgedrückt und jetzt wirft er uns in den Dreck.« – »Wir sind unbequem, man hat Angst vor uns …« – »Verräter! Verräter!« –

      Die Wachen stürzten aus dem Palast.

      Unbeweglich dastehend, die Arme über der Brust verschränkt, hörte und sah Alexander zu. Das Gebrüll und Getöse erschreckte ihn nicht, seine Wimpern zuckten nicht einmal bei dem orkanartigen


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