Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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geschleudert, und als er nun vor Alexander stand, sagte er nichts als: »Jetzt ist es endlich an der Zeit, daß du dich der Makedonier erinnerst.«

      Unwillig erstaunt, als ob er einen ganz fremden Mann vor sich hätte, blickte Alexander Hephästion an und erwiderte keine Silbe.

      Hephästions Körper, von Schweiß bedeckt, zuckte krampfhaft. Das Herz klopfte, als wolle es die Brust zerbrechen. Ihn verlangte es, den vielen Tausenden, die vor den Toren draußen um Einlaß und Gnade winselten, durch seinen Mund Worte zu verleihen; aber er konnte nur stammeln.

      »Freund! Geliebter! Alexander!« rief er aus.

      »Du wirst, Hephästion, morgen bei Tagesanbruch mit dreitausend Schildträgern und zweitausend Bogenschützen gegen Kolonai ziehen,« sagte Alexander kalt. »Sollten sich die Kossäer nicht zum Kampfe stellen, so wirst du sie in ihren Bergen aufsuchen. Es wird nur nachts und morgens marschiert. Megabyzos hat die Wegweiser zu stellen, Nesiotes den Proviant.«

      Hephästions Gesicht glich dem einer Leiche.

      Alexander hing das Schwert um, nahm den Helm und forderte Perdikkas und Ptolemäos durch einen Wink auf, ihm zu folgen. Draußen gab er dem Wache-Obersten noch einige Befehle, dann erst ließ er das Tor aufsperren. Er trat zu den Makedoniern hinaus.

      Und mit einemmal war es, als hätte die angebrochene Dunkelheit die tausendfachen, zehntausendfachen Laute der empörten, gedemütigten, zur äußersten schmerzlichen Ungeduld getriebenen Scharen, als hätte sie ihr Schreien, Toben, Bitten, Jammern, Schluchzen, ihre Beschwörungen, Seufzer, Selbstvorwürfe und Klagen in einem einzigen Atemzug verschluckt.

      Die Stille, die nun eintrat, vibrierte zuerst noch von all diesen Tönen, auch entstand sie nicht ganz jäh, sondern sie pflanzte sich von den Vordersten mit mäßiger Schnelligkeit nach allen Seiten fort; allmählich verklang auch das leiseste Flüstern. Da schien einem jeden der Hauch stehen zu bleiben und das Herz zu stocken. Ihre Augenlider hörten auf, sich zu bewegen, ihre Augensterne erstarrten, und nur ein langer, gieriger Blick suchte Alexander.

      Es war eine so ungeheuerliche Stille, daß das Flattern einiger Vögel, die in ziemlicher Ferne über die äußere Palastmauer flogen, wie etwas Rätselhaftes, Niegehörtes vernommen wurde.

      Die Nacht war ein Trost, Scham erfüllte sie alle. Keiner hätte in solcher Verfassung vom geliebtesten Freund gesehen werden mögen. Es war ihnen zumut, als senke sich das Himmelsgewölbe langsam herunter und laste schwer auf ihren Köpfen. Obwohl eingekeilt in die Masse, links und rechts und vorn und hinten berührt von diesem riesigen Körper, hatte jeder einzelne das Gefühl der Einsamkeit. Sie dachten an ihre Gastmahle, ihre Weiber, ihre Schätze, nur um die Schauer dieser Augenblicke zu verringern.

      Endlich ein erlösender Schrei: »Vergib, Alexander!« Um eine verneinende Antwort, ein bedenkliches Kopfschütteln, eine unschlüssige Gebärde zu verhindern, wiederholten tausende, abertausende Kehlen die Worte. »Vergib, Alexander, vergib!« Die Masse fing wieder an, sich zu bewegen, zog sich noch mehr zusammen, wälzte sich gegen die Terrassentreppe und schob sich dort in die Verengerung wie die erhobene Pranke eines riesenhaften Tieres. Ein ohrenbetäubendes Wirrsal von Rufen der Angst, der Beschwörung, des Gnadeflehens brach aus. Sie fürchteten, Alexander noch immer nicht gewonnen zu haben, und hörten auch dann nicht auf, als er durch eine Handbewegung Ruhe gebot. Die Nächsten warfen sich vor ihm nieder und suchten seine Kniee zu umklammern; mit tränenerstickten Stimmen lallten sie. Ein alter Hauptmann der Ritterschaft drängte sich herzu. »Alexander,« sagte er, »es schmerzt uns, daß dich die Perser küssen dürfen. Niemals hat dich einer von uns Makedoniern küssen dürfen. Und sie, die Fremden dürfen dich küssen. Es schmerzt uns, Alexander.«

      Zitternd tasteten andere nach dem Saume von Alexanders Mantel, um ihn an ihre Lippen zu pressen. Manche beteuerten, sie wünschten auf der Stelle für ihn zu sterben, und schlugen sich wie toll auf die Brust. Andere schluchzten vor sich hin, andere krümmten sich auf der Erde vor ihm …

      Da kam es über Alexander.

      Wenn sie ihm auch die Füße leckten, er sah in ihre Augen. Er sah in ihren Augen den Haß. Aber sie wußten nichts von dem Haß, den sie gegen den Urheber ihrer Demütigung, den Nährer ihrer Schwäche hegten. Da kam das Grauen über ihn.

      Er hatte Hellas und Ionien und Persien und Indien und Babylon und Hyrkanien und Baktrien und Ägypten erobert, und es war ihm nicht genug gewesen. Er wollte Arabien und das innere Libyen und Karthago und Rom und die Länder der Skythen und das Meer der Atlantis haben, und es war ihm nicht genug. Seine Begierde ging nach den Sternen, die Kronen der Erde waren ihm zu wenig, und doch, jetzt ahnte er, daß ein Mensch zu sein mehr bedeute als ein Gott zu sein. Und er trug Verlangen nach dem Menschen, und sein inneres Auge hielt Umschau über den Kreis der Sklaven und Knechte und Söldner und liebebereiten Weiber, und es entdeckte nur Hephästion. Da schauderte er. Er blickte zu Boden. Um seinen Mund zuckte es. Es trieb ihn zurückzueilen, um noch einmal Hephästion zu sehen. Eine niegekannte Bitternis umflutete ihn. Er wünschte, daß dies alles nur ein Traum sein möge, er suchte nach Worten, um das Gefühl zu entkräften. Sein schweifender Blick blieb an der Leiche Phasons haften. Das Bild des Todes in diesem Augenblick überwältigte ihn sonderbar. Er ging hin. Der blutüberströmte Körper ruhte starr auf einem Bett von zufällig hingeworfenen Lederschilden. Er beugte sich, hob den Toten bei den Schultern und küßte die wachskühlen Lippen.

      Ein Jubelschrei, elementarisch tosend, durchschnitt und erschütterte die Luft wie das jäh donnernde Geprassel einer vom Berghang stürzenden Steinlawine. Die Makedonier nahmen diese Handlung für etwas anderes, als sie war. Mit leuchtenden Augen drängten sie sich heran. Diejenigen, denen es gelungen war, seinen raschen brüderlichen Kuß auf Stirn, Haar, Wange oder Schulter zu erhalten, traten mit einem Ausdruck wilder Beseligung aus dem bewegten Kreis. Sie bezauberten wieder andere, die des Glücks noch nicht teilhaftig geworden, daß sie sich in den Menschenwall um Alexander wie in einen feindlichen Heerhaufen warfen. Sie waren berauscht, wenn sie nur mit dem Finger seinen Arm berühren konnten. Endlich griffen sie wieder zu den Waffen und forderten, daß man ins Lager ziehen und das Versöhnungsmahl feiern solle. Die Sklaven wurden sichtbar, allenthalben flammten Fackeln, und nach kurzer Zeit war die Terrasse, der Vorhof, der Platz, die Straßen verödet. Der Lärm verhallte in der dunklen Ferne. Die Wachen schritten langsam ihren vorgeschriebenen Weg und beobachteten das Aufblitzen der rötlichen Sterne. Aus der Stadt schallte traurig hingezogen ein Hornton von einem Tempelturm. Zur Nachtzeit erwachte erst das Land. Gleich dem Leib eines unheimlichen Tieres lag es da und schlug die finster träumenden Augen auf.

      Auch das Innere des Palastes war verödet. In dem gewölbten Gang, der zu den Wohnräumen führte, brannte eine einzige Fackel; sie erhob sich schlank aus einer Schale, welche das herabtropfende Harz auffing. Die bunten Teppiche vor den Eingängen bewegten sich in der Zugluft wie schwere Fahnen. Nur der letzte Raum hatte eine Türe. In der Tiefe dieses Gemachs lag Hephästion auf einem schmalen Ruhebett, den Kopf auf den Arm gestützt. Sein Gesicht zeigte eine Versonnenheit, die die Züge so auseinander dehnte und leblos machte, daß die Augen nur wie zufällig belebte Dinge darin schwammen. Die schwach lodernde Flamme eines Feuerbeckens färbte die Mauerwände rötlich, die schwarzen Arabesken auf dem weißen Grund schienen sich zu regen wie krabbelndes Getier. Die beiden Tragstatuen, Sinnbilder der Fruchtbarkeit, zitterten in dem rastlosen Schattengewoge; jede hielt ein Gefäß, aus dem ein steinerner Strom an ihren plumpen Leibern niederfloß.

      Hephästion senkte den Kopf tief, um unterzutauchen in die Stille. Da hörte er ein Geräusch; auffahrend gewahrte er zwischen den beiden Steinbildern, formlos in dem ungewissen Licht, die Gestalt eines Weibes. Sie rührte sich nicht. Ihre linke Hand hielt noch die Türe fest.

      Es war Drypetis. Ihr schmaler Kopf mit dem langen Kinn der verdorbenen Rassen war halbabgewandt, als sei auch sie ergriffen von dem Schweigen, das im Palast und in den Höfen lagerte. Es war kein anderes Geräusch zu hören als aus unbestimmter Richtung das schläfrige Plätschern eines Brunnenwassers.

      »Seit wann verlassen die Frauen eigenmächtig ihre Wohnungen?« fragte Hephästion.

      Drypetis antwortete nicht. Die grauen Augen wandten sich nicht vom Feuerbecken. Plötzlich stürzte sie vor Hephästion auf die Knie und packte seine widerstrebende


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