Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig

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Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist - Stefan Zweig


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sich über dieses wunderträchtige Fluid endgültig zu äußern; nur in siebenundzwanzig Leitsätzen deutet er vage eine erste Theorie des animalischen Magnetismus an. Doch er weigert sich beharrlich, die anderen zu belehren, solange er fühlt, daß er das Geheimnis der eigenen Wirkung erst selbst erlernen muß.

      Der Roman des Fräuleins Paradies

       Inhaltsverzeichnis

      In gleichem Maße, wie Franz Anton Mesmer in Wien an Ruhm gewinnt, verliert er an Beliebtheit. Die ganze geistige Gesellschaft, die Gelehrten und Professoren haben ihn gern gehabt, den vielwissenden, dabei gar nicht ehrgeizigen, den reichen und überdies gastfreundlichen, den umgänglichen und niemals hochmütigen Mann, solange er als unschädlicher Dilettant mit neuen Ideen spielte. Nun, da es Mesmer Ernst wird und seine neuartigen Heilkuren Sensation erregen, spürt er auf einmal bei seinen ärztlichen Berufsgenossen einen erst geheimen und allmählich offenen Widerstand. Vergebens, daß er seine einstigen Kollegen in seine magnetische Klinik bittet, um ihnen zu beweisen, daß er nicht mit Quacksalbereien und Alfanzereien, sondern mit einem begründeten System operiere – keiner der geladenen Professoren und Doktoren will sich mit den sonderbaren Heilungsphänomenen ernstlich auseinandersetzen. Diese Art Therapie mit bloßen Fingerspitzen ohne klinische Eingriffe, ohne Medikamente und ordinierte Mittel, dieses Manipulieren mit Zauberstäbchen und magnetischen Zubern erscheint ihnen, man kann es verstehen, nicht sehr seriös. Bald spürt Mesmer eine scharfe Zugluft von rückwärts im Nacken. »Die Kälte, mit der man meine ersten Ideen hier aufnahm, setzt mich in Erstaunen«, schreibt er in jenen Tagen nach München. Er hatte redlich gehofft, bei den großen Gelehrten seiner neuen Heimatstadt, bei seinen früheren wissenschaftlichen Freunden und Musikpartnern wenigstens Einspruch oder Diskussion zu finden. Aber die einstmals so kollegialen Academici sprechen gar nicht mit ihm, sie spotten und höhnen nur, überall begegnet er einem Von-vornherein-Ablehnen, das ihn erbittert. Im März 1776 berichtet er abermals an den Sekretär der kurbayerischen Akademie der Wissenschaft, seine Idee sei in Wien »wegen ihrer Neuheit fast allgemein Verfolgungen ausgesetzt«, und zwei Monate später verstärkt er diese Klage: »Ich fahre noch immer fort, physikalische und medizinische Entdeckungen in meinem Fach zu machen, aber der Erwartung, mein System erläutert zu sehen, kann ich um so weniger dermalen Genüge leisten, als ich mich hier mit der niederträchtigsten Schikane unaufhörlich herumbalgen muß. Man erklärt mich hier für einen Betrüger und alle, die mir glauben, als Narren – so geht es der neuen Wahrheit.«

      Das unabänderliche Schicksal des Zufrühgekommenen hat ihn ereilt: der unsterbliche Konservativismus der Fakultäten wittert und befeindet in ihm erbittert eine nahende Erkenntnis. Unter der Hand beginnt in Wien ein geheimes konzentrisches Kesseltreiben gegen die magnetischen Kuren: in französischen und deutschen Zeitschriften erscheinen – selbstverständlich ohne Unterschrift – aus Wien gesandte Aufsätze, die Mesmers Methode lächerlich machen. Aber noch muß der Haß durch Hintertüren gehen, denn für einen offenen Angriff bietet Mesmers persönlich untadeliges Verhalten keinen rechten Angriffspunkt. Ihn Schwindler, Ignoranten, einen unzuständigen Kurpfuscher zu nennen, geht nicht an bei einem Doktor zweier Fakultäten, der seit mehr als einem Jahrzehnt die Unterschrift von Autoritäten wie Van Swieten und Van Haen auf seinem ärztlichen Diplom trägt. Wegen geldgieriger Beutelschneiderei vermag man ihm gleichfalls keinen Strick zu drehen, weil dieser reiche Mann den Großteil seiner Patienten vollkommen kostenlos behandelt. Und am allerpeinlichsten: nicht einmal als Großmaul oder Windbläser kann man ihn diskreditieren, denn Mesmer übersteigert nicht im geringsten die Tragweite seiner Entdeckung. Niemals behauptet er (wie etwa später Mary Baker-Eddy mit der Christian Science), eine Universaltherapie gefunden zu haben, die jede andere medizinische Behandlung überflüssig mache; sorgfältig einschränkend stellt er fest, daß sein animalischer Magnetismus direkt nur bei Nervenkrankheiten helfe und allenfalls erst auf indirektem Wege ihre körperlichen Folgeerscheinungen beeinflussen könne. So fordert es einigermaßen Geduld für den heimlich angesammelten Unmut seiner Kollegen, dem verhaßten Neuerer ein Bein zu stellen.

      Endlich ergibt sich die langgesuchte Gelegenheit. Die Entscheidung bringt die Episode des Fräuleins Paradies, ein kleiner Roman und ohne Mühe in ein wirkungsvolles Drama zu verwandeln, denn selten war in einer Krankheitsgeschichte die Szene derart effektvoll gestellt. Maria Theresia Paradies, ein hochtalentiertes junges Mädchen, gilt seit ihrem vierten Lebensjahr durch eine Lähmung der Sehnerven als unheilbar erblindet, und ihre besondere Begabung im Klavierspiel macht sie in Wien allbekannt. Die Kaiserin hat höchstpersönlich ihre Patenschaft übernommen. Sie bewilligt den Eltern des musikalischen Wunderkindes eine Pension von zweihundert Golddukaten und läßt es außerdem auf ihre Kosten weiter ausbilden; späterhin hat Fräulein Paradies viele Konzerte gegeben, eines sogar in Mozarts Gegenwart, und eine große Anzahl ihrer unveröffentlichten Kompositionen liegen noch heute in der Wiener Bibliothek.

      Dieses junge Mädchen wird nun zu Mesmer gebracht. Vordem hatten sie bereits erste Augenärzte Wiens, der bekannte Starstecher Professor Barth und der Hofmedikus Stoerk, jahrelang schulmäßig ohne Resultat behandelt. Aber gewisse Anzeichen (konvulsivisches Zucken in den Augen, die dann immer aus den Höhlen hervortraten, ein Milz-und Leberleiden, das irrsinnsähnliche Anfälle hervorrief) lassen vermuten, daß die Blindheit des Fräuleins Paradies nicht auf einer Zerstörung des Sehnervs beruhte, sondern bloß auf einer seelisch bedingten Verstörung. Versuchsweise führt man sie zu Mesmer, der bei ihr eine Erschütterung der allgemeinen Nervenkonstitution feststellt und deshalb ihren Fall als einen durch seine Methode möglicherweise heilbaren erklärt. Um genau die Fortschritte seiner magnetischen Kur überwachen zu können, nimmt er das junge Mädchen in sein Haus, wo er es kostenlos gleichzeitig mit zwei anderen Patientinnen magnetisch behandelt.

      Bis zu diesem Punkt stimmen alle zeitgenössischen Berichte tadellos überein. Aber eine vollkommene Gegensätzlichkeit klafft von jetzt an zwischen den Aussagen Mesmers, der behauptet, ihr das Augenlicht beinahe vollkommen wiedergegeben zu haben, und denen der Professoren, die jedwede angebliche Besserung als Gaukelei und »Einbildung« ableugnen. (Dieses Wort »Imagination« spielt von nun ab eine entscheidende Rolle bei allen akademischen Beurteilungen Mesmers.) Selbstverständlich wird es heute, nach hundertfünfzig Jahren, nicht leicht fallen, zwischen zwei so schroff gegensätzlichen Behauptungen zu entscheiden. Für die Ärzte spricht, daß Maria Theresia Paradies auch späterhin nie mehr ihr Augenlicht erlangte, für Mesmer dagegen nebst der Zeugenschaft der Öffentlichkeit jener handschriftliche Bericht, den der Vater der jungen Blinden verfaßte und der mir zu anschaulich erscheint, als daß man ihn glattweg als erfunden abtun könnte. Denn ich kenne wenige Dokumente, die psychologisch dermaßen aufschlußreich die erste Entdeckung der Lichtwelt durch einen von seiner Blindheit allmählich geheilten Menschen schildern, und es würde einen größeren Dichter und Psychologen erfordern als den alten Hofsekretär Vater Paradies oder eine so unpoetische Natur wie Mesmer, um derartig subtile und seelenkundige Beobachtungen erfinden zu können. Der Bericht lautet im wesentlichen: »Nach kurzer, kräftiger, magnetischer Behandlung Herrn Doktor Mesmers fing sie an, die Konturen der ihr vorgestellten Körper und Figuren zu unterscheiden. Der neue Sinn war aber so empfindlich, daß sie diese Dinge nur in einem sehr dunkeln, mit Fensterläden und Vorhängen wohlverwahrten Zimmer erkennen konnte. Wenn man bei ihren, schon mit einer fünffach übereinander gelegten Binde verhüllten Augen mit einem angezündeten Licht nur flüchtig vorüberfuhr, so fiel sie, wie vom Blitz gerührt, schnell zu Boden. Die erste menschliche Figur, die sie erblickte, war Herr Dr. Mesmer. Sie betrachtete ihn und die verschiedenen schwankenden Bewegungen seines Körpers, die er vor ihren Augen, sie zu prüfen, machte, mit vieler Aufmerksamkeit. Sie entsetzte sich einigermaßen darüber und sprach: ›Das ist fürchterlich zu sehen! Ist das das Bild des Menschen?‹ Man führte auf ihr Verlangen einen großen Hund im Hause vor, der sehr zahm und immer ihr Liebling war, sie besah ihn mit gleicher Aufmerksamkeit. ›Dieser Hund‹, sagte sie hierauf, ›gefällt mir besser als der Mensch; sein Anblick ist mir weit erträglicher.‹ Vorzüglich waren ihr die Nasen in den Gesichtern, die sie sah, sehr anstößig. Sie konnte sich darüber des Lachens nicht enthalten. Sie äußerte sich darüber folgendermaßen: ›Mir kommt es vor, als wenn sie mir entgegendrohten und meine Augen ausstechen wollten.‹ Seitdem sie mehrere Gesichter gesehen, gewöhnt sie sich besser daran.


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