Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig
Читать онлайн книгу.zu sein gewünscht habe, und dann wird es Zeit sein, niemanden als mich selbst über das, was ich zu tun habe, um Rat zu fragen. Wenn ich anders handelte, so würde der tierische Magnetismus wie eine Mode behandelt werden. Jeder würde damit zu glänzen und mehr oder weniger, als wirklich ist, darin zu finden suchen. Man würde ihn mißbrauchen, und sein Nutzen würde in ein Problem ausarten, dessen Auflösung vielleicht erst nach Jahrhunderten stattfände.«
Ist dies die Sprache eines Scharlatans, das Flunkern oder Faseln eines unredlichen Menschen? Allerdings, ein beschwingter Unterton klingt schon in dieser Verlautbarung des bisherigen Bittstellers mit: Mesmer spricht zum erstenmal die Sprache des Erfolges. Denn bereits in diesen wenigen Monaten hat seine Methode der suggestiven Behandlung von Nervenleiden wichtige Anhänger und einflußreiche Bundesgenossen gefunden, vor allem ist Charles Deslon, der Leibarzt des Grafen d’Artois, öffentlich mit einer Broschüre an seine Seite getreten. Mit ihm ist der Weg zum Hofe endgültig gebahnt, gleichzeitig wirbt eine Palastdame der Königin Maria Antoinette, durch Mesmer von einer Lähmung genesen, bei ihrer Herrin für ihren Helfer. Der hohe Adel, Madame von Lamballe, der Prinz von Condé, der Herzog von Bourbon, der Baron Montesquieu und insbesondere der Held des Tages, der junge Marquis von Lafayette, bekennen sich leidenschaftlich zu seiner Lehre. Und so beginnt trotz der feindseligen Haltung der Akademie, trotz des Mißerfolgs in Wien, auf Befehl der Königin die Regierung direkt mit Mesmer zu verhandeln, um den Urheber solcher weittragenden Ideen an Frankreich zu fesseln; der Minister Maurepas bietet ihm in höherem Auftrag ein lebenslängliches Gehalt von zwanzigtausend Livres an, ferner zehntausend Livres für Wohnung, freilich erst auszahlbar, sobald drei für den Staat ausgebildete Schüler den Nutzen der Magnetotherapie anerkennen würden. Aber Mesmer hat es satt, sich abermals und abermals mit dem engstirnigen Vorurteil der Fachgelehrten herumzuschlagen, er läßt sich auf keine Verhandlungen mit Wenn und Aber mehr ein, er nimmt keine Almosen. Stolz lehnt er ab: »Ich kann mich mit einer Regierung nie in einen Vertrag einlassen, wenn nicht zuvor die Richtigkeit meiner Entdeckung ausdrücklich auf eine unverwerfliche Art anerkannt wird.« Und so stark ist Mesmer, der aus Wien ausgewiesene, in Paris nach zwei Jahren magnetischer Kuren schon geworden, daß er als Drohung aussprechen kann, er werde Paris verlassen, und in diesem Sinn der Königin ein Ultimatum stellt: »Ausschließlich aus Respekt für Ihre Majestät biete ich Ihr die Gewißheit, meinen Aufenthalt in Frankreich bis zum 18. September zu verlängern und bis zu diesem Datum meine Kuren allen jenen Kranken angedeihen zu lassen, die mir weiterhin Vertrauen schenken. Ich suche, Majestät, eine Regierung, die die Notwendigkeit anerkennt, nicht leichtfertig in die Welt eine Wahrheit einführen zu lassen, die durch ihren Einfluß auf die menschliche Physis Veränderungen hervorbringt, welche von Anfang an durch rechtes Wissen und die rechte Kraft kontrolliert und in einem wohlwollenden Sinne gelenkt werden müssen. In einer Sache, die die ganze Menschheit angeht, darf das Geld in den Augen Ihrer Majestät nur in zweiter Linie in Betracht kommen; vierhunderttausend oder fünfhunderttausend Franks zu einem solchen Zwecke angewandt, haben nichts zu bedeuten. Meine Entdeckung und ich selbst müssen mit einer Großzügigkeit belohnt werden, die des Monarchen würdig ist, an den ich mich binde.« Dieses Ultimatum Mesmers wird nicht angenommen, wahrscheinlich infolge des Widerstandes Ludwigs des Sechzehnten, dessen normalnüchterner und sparsamer Sinn sich gegen alle phantastischen Experimente auflehnt. So macht Mesmer Ernst; er verläßt Paris und begibt sich auf deutsches Reichsgebiet, nach Spa.
Aber eine andere ist diese herausfordernde Selbstverbannung als jene aus Wien, die einer Flucht oder Ausweisung verzweifelt ähnlich sah. Wie ein Potentat, wie ein Prätendent verläßt er das Reich der Bourbonen, und ein ganzer Schwarm begeisterter Anhänger begleitet den verehrten Meister in sein freiwilliges Exil. Noch mehr aber bleiben in Paris und Frankreich zurück, um dort für ihn zu wirken. Allmählich erreicht die allgemeine Entrüstung, daß man einen solchen Mann wegen der Intrigen der Fakultät gleichgültig aus Frankreich habe ziehen lassen, wahre Fiebergrade. Dutzendweise erscheinen Schriften zu seiner Verteidigung. Zu Bordeaux predigt von der Kanzel herab der Pater Hervier in offener Kathedrale das Dogma des Magnetismus; Lafayette, knapp vor der Abreise nach Amerika, teilt Washington als Wichtigstes mit, daß er den Amerikanern außer Gewehren und Kanonen für den Unabhängigkeitskampf noch die neue Lehre Mesmers bringe (un docteur nommé Mesmer, ayant fait la plus grande découverte, a fait des élèves, parmi lesquels votre humble serviteur est appelé un des plus enthousiastes … Avant de partir, j’obtiendrai la permission de vous confier le secret de Mesmer, qui est une grande découverte philosophique). Und geschlossen stellt sich die Freimaurerei, die auch in der Wissenschaft alles Neue und Revolutionäre genau wie in der politischen Sphäre verteidigt, hinter ihren Bruder. So erzwingen gegen die Regierung, gegen den König, gegen das medizinische Kollegium, gegen die Akademie diese begeisterten Anhänger Mesmers Rückkehr nach Paris unter den von ihm gestellten Bedingungen: was der König Mesmer verweigert, bieten ihm nun Adel und Bürgerschaft aus eigener Kraft. Eine Reihe seiner Schüler, an der Spitze Bergasse, der bekannte Advokat, gründen eine Aktiengesellschaft, um dem Meister die Möglichkeit zu gewähren, eine eigene Akademie gegen die königliche zu eröffnen; hundert Anhänger zeichnen je hundert Louisdors, »pour acquitter envers Mesmer la dette de l’humanité«, wogegen sich Mesmer verpflichtet, sie in seiner Wissenschaft auszubilden. Kaum aufgelegt, sind die magnetischen Aktien schon vergriffen, in zwölf Monaten bereits 340 000 Livres gezeichnet, bedeutend mehr, als Mesmer ursprünglich verlangt hatte. Außerdem schließen sich seine Schüler in jeder Stadt zu einer sogenannten »Harmonischen Gesellschaft« zusammen (Société de l’Harmonie), und zwar je eine in Bordeaux, in Lyon, Straßburg, Ostende, eine sogar in den Kolonien, in San Domingo. Im Triumph, gebeten, beschworen, gefeiert und begrüßt, ein ungekrönter Herrscher eines unsichtbaren Geisterreichs, kehrt Mesmer wieder nach Frankreich zurück. Was ihm ein König verweigert, hat er sich aus eigener Kraft geschaffen: Freiheit der Forschung, Unabhängigkeit des Daseins. Und wird die offizielle, die akademisch eingeschworene Wissenschaft ihm den Krieg erklären, nun ist Mesmer bereit.
Mesmeromanie
Mesmer, der alle Erregungszustände mit seiner magnetischen Methode zu beschwichtigen verspricht, bringt zunächst selbst eine neue Erregungskrankheit nach Paris: die Mesmeromanie. Seit Jahrzehnten hat nichts den Faubourg Saint-Germain, jene gute Gesellschaft von damals und immer, die sich in ihrem Luxus langweilt, dermaßen in Leidenschaft, ja sogar in einen Paroxysmus der Begeisterung versetzt, wie die magnetische Heilpraxis. Mesmer und der Magnetismus werden in wenigen Monaten in Paris la grande mode, le dernier cri. Vor seiner luxuriösen Wohnung auf der Place Vendôme stehen von Morgen bis Abend die Karossen und Kabrioletts des Adels; es warten Lakaien in den Hausfarben der ersten Familien Frankreichs bei den wappengeschmückten Tragsesseln; und da die Ordinationsräume sich für so unerwarteten Andrang als zu eng erweisen und nur drei große Gesundheitszuber für die gut zahlenden Patienten zur Verfügung stehen, mietet man sich schon Tage vorher einen Platz am Baquet voraus, so wie heute eine Opernloge zu einer Première. Da aber Philanthropie gleichfalls zur Zeit Mode ist, stellt Mesmer auch Baquets – freilich kleinere – für die minder Begüterten auf, denn jeder, reich oder arm, soll dieses Heilmittels der »Harmonie« teilhaftig werden. Einzig Kranke mit offenen Wunden, zweifellose Epileptiker, Geisteskranke und Verstümmelte schließt er von der Kur aus, redlich damit bekennend, daß er nur von den Nerven her Besserung im Gesamtbefinden erzielen, nicht aber die Struktur des Organismus durch ein Wunder ändern könne.
In diesen magnetischen Räumen und bald auch in einem eigenen Palais, dem Hôtel Bouillon in der Rue Montmartre, das sich Mesmer als Klinik einrichtet, drängen sich nun fünf Jahre lang Patienten aus allen Ständen, wirkliche und eingebildete Kranke, Neugierige und Snobs jedes Standes. Jeder neugierige Pariser – und welcher Pariser der guten Gesellschaft wäre es nicht? – muß unbedingt einmal das mirakulöse Fluidum an sich selbst erprobt haben, und man rühmt sich dann in den eleganten Salons dieser nervenprickelnden Sensation etwa mit derselben dilettantischen Oberflächlichkeit, wie man heute beim Five o’clock tea von der Relativitätstheorie oder der Psychoanalyse spricht. Mesmer ist Mode, und seine von ihm sehr ernst gemeinte Wissenschaft wirkt darum auf die Gesellschaft nicht als Wissenschaft, sondern als Theater.
Daß tatsächlich etwas beabsichtigt Theatralisches in