Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig

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Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist - Stefan Zweig


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als ein neugebornes Kind. Sie irrt sich nie in dem Abstand einer Farbe gegen die andere, hingegen vermengt sie deren Benennung, besonders wenn man sie nicht auf die Spur führt, Vergleichungen mit Farben anzustellen, die sie schon kennen gelernt hat. Bei Erblickung der schwarzen Farbe erklärt sie, das sei das Bild ihrer vorigen Blindheit. Diese Farbe erregt auch immer bei ihr einen gewissen Hang zur Melancholie, der sie während der Kur oft ergeben war. Sie brach in dieser Zeit vielfältig in plötzliches Weinen aus. So hatte sie einmal einen so heftigen Anfall, daß sie sich auf ein Sofa warf, mit den Händen rang, die Binde abriß, alles von sich stieß und unter jämmerlichem Klagen und Schluchzen sich so verzweifelt gebärdete, daß Madame Sacco oder sonst jede berühmte Aktrice kein besseres Muster zur Vorstellung der durch den äußersten Kummer geängstigten Person hätte abnehmen können. Nach wenigen Augenblicken war diese traurige Laune vorüber, und sie nahm ihr voriges gefälliges und munteres Wesen gleich wieder an, obschon sie bald darauf in den nämlichen Rückfall aufs neue geriet. Da in den ersten Tagen des sich verbreitenden Rufes von ihrem Wieder-Sehen ein starker Zulauf von Verwandten, Freunden und den vornehmsten Standespersonen geschah, so wurde sie unwillig darüber. Sie äußerte in ihrem Unmut sich einstmals gegen mich: ›Woher kommt es, daß ich mich jetzt weniger glücklich finde als vormals? Alles, was ich sehe, verursacht mir eine unangenehme Bewegung. Ach, in meiner Blindheit bin ich weit ruhiger gewesen!‹ Ich tröstete sie mit der Vorstellung, daß ihre jetzige Bewegung allein von der Empfindung der fremden Sphäre herrühre, darinnen sie schwebe. Sie werde aber so gelassen und zufrieden als andere werden, sobald sie des Sehens mehr gewohnt sein würde. ›Das ist gut‹, antwortete sie, ›denn sollte ich immer bei Ansichtigwerden neuer Dinge eine der jetzigen gleiche Unruhe empfinden, so wollte ich lieber auf der Stelle zur vorigen Blindheit zurückkehren.‹

      Da der neuempfangene Sinn sie in den ersten Stand der Natur versetzte, so ist sie ganz vom Vorurteil frei und benennt die Sachen bloß nach dem natürlichen Eindruck, womit sie auf sie wirken. Sie urteilt sehr wohl von den Gesichtszügen und schließt daraus auf die Gemütseigenschaften. Die Vorweisung eines Spiegels brachte ihr viel Verwunderung; sie konnte sich gar nicht darein finden, wie es zuginge, daß die Fläche des Spiegelglases die Objekte auffangen und sie dem Auge wieder vorstellen könne. Man führte sie in ein prächtiges Zimmer, wo sich eine hohe Spiegelwand befand. Sie konnte sich darin nicht genug satt sehen. Sie machte die wunderlichsten Wendungen und Stellungen vor demselben, besonders aber mußte sie darüber lachen, daß das im Spiegel sich zeigende Bild bei Annäherung ihrer Person gegen sie trat, hingegen bei ihrer Entfernung ebenfalls zurückwich. Alle Objekte, die sie in einer gewissen Entfernung bemerkt, kommen ihr klein vor, und sie vergrößern sich in ihrem Begriffe nach dem Maße, als sie ihr nähergerückt werden. Da sie mit offenen Augen einen Bissen gerösteten Brotes zum Munde führte, schien ihr solcher so groß, daß sie ihn nicht in den Mund bringen zu können glaubte.

      Sie wurde darauf zu dem Bassin geführt, welches sie eine große Suppenschüssel nannte. Die Spaliergänge auf beiden Seiten schienen ihr nebenher zu gehen, und auf dem Rückwege nach den Zimmern glaubte sie, das Gebäude käme ihr entgegen, woran ihr die beleuchteten Fenster besonders wohl gefielen. Des folgenden Tages mußte man, um sie zu befriedigen, sie bei Tageslicht in den Garten bringen. Sie besah alle Gegenstände wieder aufmerksam, aber nicht mit so viel Vergnügen als am vorigen Abend. Sie nannte den vorbeifließenden Donaustrom einen langen und breiten weißen Streifen, sie deutete genau die Orte an, wo sie den Anfang und das Ende des Flusses sah. Die in einer Entfernung von etwa tausend Schritten jenseits des Flusses stehenden Bäume der sogenannten Praterau glaubte sie mit ausgestreckten Händen berühren zu können. Da es ein heller Tag war, konnte sie das freie Sehen im Garten nicht lange aushalten. Sie selbst verlangte, ihre Augen wieder zu verbinden, weil die Empfindung des Lichtes ihrem schwachen Sinn noch zu scharf ist und ihr einen Schwindel verursache. Ist sie nun wieder verbunden, so getraut sie sich ohne Führung keinen Schritt vorwärts zu tun, da sie doch vormals in ihrer Blindheit in dem ihr bekannten Wohnzimmer umhergegangen ist. Die neue Zerstreuung der Sinne verursacht, daß sie beim Klavier schon mehr Nachsinnen beobachten muß, um ein Stück zu spielen, da sie vordem große Konzerte mit der größten Richtigkeit fortspielte und zugleich mit den Umstehenden sich im Gespräch unterhielt. Mit offenen Augen wird es ihr jetzt schwer, ein Stück zu spielen. Sie beobachtet alsdann ihre Finger, wie sie über die Klaviere weggaukeln, verfehlt aber dabei die meisten Claves.«

      Macht diese klare, geradezu klassische Darstellung den Eindruck einer Tatsachenfälschung? Kann man wirklich annehmen, eine ganze Reihe von angesehenen Augenzeugen habe sich so vollkommen narren lassen und den Zeitungen über eine Wunderheilung berichtet, ohne sich, zwei Straßen weit, vom Zustande der vormals Blinden zu überzeugen? Aber eben um des Lärmes willen, den diese magnetische Kur erregt, mengt sich die Ärzteschaft erbittert ein. Denn diesmal ist Mesmer in ihr eigenstes, persönlichstes Gebiet vorgedrungen, und insbesondere der Augenarzt und Starstecher, Professor Barth, bei dem Fräulein Paradies jahrelang vergebens Heilung gesucht hatte, eröffnet einen erbitterten Feldzug gegen die unerwünschte Behandlung. Er behauptet, Fräulein Paradies sei noch als blind zu betrachten, »weil sie die Namen der ihr vorgelegten Dinge oft nicht weiß und häufig verwechselt« – ein psychologisch sehr erklärbarer und sogar wahrscheinlicher Irrtum bei einer jahrelang Blinden, die Gegenstände zum erstenmal wahrnimmt, an sich also gar nicht stichhaltig. Aber die Offiziellen sind in der Übermacht. Zunächst verhindert das Eingreifen der einflußreichen Ärzte Mesmers Absicht, seine bereits auf dem Wege der Heilung befindliche Patientin der Kaiserin Maria Theresia persönlich vorzustellen, und immer heftiger bemühen sich die gereizten Kollegen, Mesmer an der Fortführung der magnetischen Kur zu hindern. Mit welchem Recht? muß man allerdings objektiverweise fragen. Denn selbst im ungünstigsten Fall kann die suggestive Kur bei Fräulein Paradies den toten Sehnerv nicht noch toter machen, eine Blinde nicht noch blinder. Ein Rechtsgrund, dem graduierten Arzt mitten in seiner Behandlung die Patientin zu entziehen, läßt sich also mit bestem Willen aus keinem gesetzlichen Paragraphen ableiten. Und da überdies Fräulein Paradies selbst treu an ihrem Heilhelfer hängt, schlagen Mesmers Gegner einen krummen Weg ein, um ihm das kostbare Versuchsobjekt zu entziehen: sie machen dem Vater und der Mutter Paradies grimmige Angst, wenn ihre Tochter nun wirklich sehend würde, dann ginge die kaiserliche Gnadengabe von jährlich zweihundert Dukaten sofort verloren und sei es vorbei mit der einzigartigen Attraktion einer blinden Klavierspielerin. Dieses Argument des gefährdeten Geldes wirkt augenblicklich auf die Familie. Der Vater, bisher Mesmer vollkommen ergeben, sprengt mit Gewalt die Tür des Hauses, fordert von Mesmer seine Tochter auf der Stelle zurück und bedroht ihn mit gezogenem Säbel. Aber merkwürdigerweise ist es nicht der Arzt selber, der ihre Freigabe verweigert. Im Gegenteil, Fräulein Paradies, an ihren Heilmeister, sei es medial, sei es erotisch, gebunden, erklärt strikt, nicht zu den Eltern zurückzukehren, sondern bei Mesmer bleiben zu wollen. Das erbittert wiederum die Mutter, sie stürzt in maßloser Wut auf das ungehorsame Mädchen los, das lieber zu dem fremden Mann als zu den Eltern hält, prügelt die Wehrlose und mißhandelt sie so fürchterlich, daß sie in Krämpfe fällt. Aber trotz aller Befehle, Drohungen und Schläge gelingt es nicht, das standhafte Fräulein Paradies zu bewegen, ihren Helfer (und vielleicht Liebhaber) zu verlassen. Sie bleibt in der magnetischen Klinik: Mesmer hat einen Sieg erfochten, freilich einen Pyrrhussieg. Denn infolge dieser Aufregungen und Gewalttätigkeiten erlischt der mühsam gewonnene matte Lichtschein. Die Kur muß wieder von vorn anfangen, die verstörten Nerven zu beleben. Aber so lange läßt man Mesmer nicht Zeit. Schon hat die Fakultät die schwersten Geschütze aufgefahren. Sie mobilisiert den Erzbischof, den Kardinal Migazzi, die Kaiserin und den Hof und, wie es scheint, auch die allergewaltigste Instanz des theresianischen Österreichs: die hochberühmte Sittenkommission. Professor Stoerk als Vorsitzender des österreichischen Medizinwesens erteilt im Auftrag der Kaiserin die Parole, dieser »Betrügerei ein Ende zu machen«. So bricht Staatsgewalt die Macht des Magnetiseurs über sein Medium. Mesmer muß sofort die Kur unterbrechen und Fräulein Paradies trotz ihrer verzweifelten Klagen in ungeheiltem Zustand wieder den Eltern ausliefern. Die weiteren Folgen dieser peinlichen Affäre sind mangels einschlägiger Akten nicht eindeutig zu bestimmen. Entweder wurde Mesmer von Amts wegen mehr oder minder dringlich aus Österreich als »lästiger Ausländer« abgeschoben, oder er hatte seinerseits genug von der Wiener medizinischen Kollegenschaft. Jedesfalls, er gibt sofort nach der Affäre Paradies sein prächtiges Haus Landstraße 261 auf, zieht aus Wien weg und sucht sich zuerst in der Schweiz, dann in Paris eine neue Heimat.

      Die


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