Und wenn die Welt voll Teufel wär. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.werden sie staunen . . . So was an Leere . . .“
„Da unten vor dem Hause steht schon solch eine Bassermannsche Gestalt“, sagte, während Lonny abhängte, ängstlich am Fenster die hustende Kriegerwitwe aus dem Schwarzen Kabinett zu der kleinen Frontkämpferfrau mit den kaputten Nerven.
„Ein Bewaffneter?“
„Nein. Ein Gewehr hat er nicht. Es scheint ein Russe zu sein, mit Pelzmütze und blondem Schopf und hohen Stiefeln. Der unheimliche Mensch schaut immer gerade zu uns herauf.“
„Leise! Die Lonny ist schon wieder an der Strippe . . . der lassen ihre Freundinnen heute keine Ruh’!“
„Herrgott — mir geht’s gerad’ so, Bertal“ rief Lonny ungeduldig in das Hörrohr. „Ich kann auch keinen Tausendmarkschein gewechselt kriegen! Wie? Ob man uns nun alle umbringt? Ach — ich hoffe doch nicht! Wir hier beurtei en die Lage optimistischer! Wer denn — wir? Dr. Grimm natürlich! Er ist eben da! Was? So? — Na! — Ja — wenn dein Mann klüger als Dr. Grimm sein will . . . Werner Grimm sagt, seit heute sei erst der Weg zu Wilson frei, und alles würde jetzt gut! Adieu! Grüsse deinen Mann! Nein — grüsse ihn nicht! Jch ärgere mich zu sehr über ihn. Er soll sich erst zu Wilson bekehren! Schluss!“
Lonny Lotheisen sprang von dem Apparat auf. Sie warf einen Blick zur Decke, als wollte sie den lieben Gott um Nachsicht mit allen geistig Armen bitten, lief durch das Zimmer, schlug, sich setzend, ein Bein über das andere, dass sich unter dem kurzen Rock die zarte, schmächtige Wadenlinie fast bis zum Knie abzeichnete, verschränkte die weissen Hände über dem Knie und hob die langen, dunkelblonden Wimpern andächtig zu Werner Grimm empor, der, Abschied nehmend, vor ihr stand und ihr so gleichmütig bestätigte, als spräche er vom Wetter: „Unsere Feinde wären ja verrückt, wenn sie uns niedertrampelten, statt uns auf die Beine zu helfen und tüchtig für die in ganz Europa zerschlagenen Fensterscheiben zahlen zu lassen! Vom Waffenstillstand darf man nichts erwarten. Der nimmt das Schlimmste vorweg. Da rasselt noch der blinde Säbel. Aber wenn sich dann die geistig intakt gebliebenen Europäer unter Wilsons Leitung mit dem Rechenbleistift zusammensetzen . . .“
„Wie wild der Russe auf der Strasse zu uns heraufglotzt“, raunte am Fenster die Kriegerwitwe. „Immer gerade zu uns.“
„Der Kerl ärgert sich, dass wir hier oben stehen! Gott sei dank, dass Dr. Grimm uns die paar Häuser weit bringt.“
Lonnys grosse, kluge Augen, von unbestimmter Farbe, leuchteten still bewundernd zu Werner Grimm empor.
„Sie imponieren mir wirklich, lieber Freund! Wie kriegen Sie es nur fertig, so gelassen zu sein — in dieser Stunde?“
„Wozu sich aufregen? Es kommt alles, wie es kommen musste.“
Er zündete sich seelenruhig eine Zigarette an.
„. . . und wie ich es seit vielen Monaten in der Schweiz voraussah.“
Lonny Lotheisen hatte die willenlose Gewohnheit, alles, was er sagte, in angespannter Aufmerksamkeit, durch ein kurzes, eindringliches Nicken des glattgescheitelten Blondkopfs zu bejahen. Aber sie hob jetzt doch mit einem tiefen Aufseufzen die gefalteten Hände zur Brust.
„Mir ist so feierlich und furchtbar zumute“, sagte sie. „Mir schwindelt! Wohin gehen wir nur?“
„Jedenfalls nicht zugrunde.“ Werner Grimm versenkte sorgfältig seinen Zigarettenrest in den Wassergrund des Aschbechers. „Die Welt ist noch nie untergegangen.“
Er warf aus seinen dunklen verräterischen Augen einen raschen Blick nach den beiden Damen am Fenster. Die kehrten dem Zimmer den Rücken zu und beobachteten besorgt durch die Scheiben die unheimliche russische Schildwache vor dem Tor. Da beugte er sich über Lonny, nahm ihre kühle, weisse Rechte vom Knie, zog sie an seinen dunklen Schnurrbart, küsste sie lange, nicht auf den Handrücken, sondern auf das dünne Handgelenk, legte sie behutsam, wie ein Kleinod, wieder an ihren Platz. „Du bist so schön“, flüsterte er dabei mit erstickter Stimme. „So schön!“ Ein Rot huschte über Lonny Lotheisens schmale Wangen. Sie bat hastig, leise: „Bleib’ doch noch ein bisschen! Lass mich nicht allein!“
Das weiche Murmeln einer heiss verliebten Männerstimme über ihr. Zwei abgrundtiefe, verständnisinnige Augen von oben.
„Was hast du für wunderschönes Haar . . . dein Scheitel leuchtet wie Gold . . . und duftet . . .“
Sie lächelte ihn hingegeben mit halbgeschlossenen Lidern an. Ihre roten Lippen schürzten sich weich, sehnsüchtig, in Erwartung seines Kusses. Da schrillte wieder der Fernsprecher. Lonny Lotheisen kam zu sich, schnellte auf und riss in heller Ungeduld die Muschel ans Ohr.
„Wie? . . . Na — vorläufig leben wir hier noch! . . . Was: Butter? Ich verstehe immer Butter! . . . Ich soll dir Butter borgen? Sag’ mal, Klärchen, du bist wohl ganz toll? . . . Was? Die Türken endgültig kaputt? Österreich löst sich in Wohlgefallen auf? Alle deutschen Bundesfürsten werden abgesetzt? Ja — schrecklich! Aber Butter kann ich dir nicht geben . . .“
Die beiden Freundinnen kamen vom Fenster.
„Lonny . . . wir müssen jetzt fort.“
„Ein Glück, dass uns Dr. Grimm an dem Menschen da unten vorbeigeleitet.“
„Er hat gerade deine Wohnung auf der Pike, Lonny! Es ist sicher ein entsprungener Russe! . . . Na — wir machen uns jetzt draussen fertig.“
Vielsagendes Augenspiel der Damen, während sie, unter sich, auf der Diele Boas und Mäntel anlegten. Ein stilles Lächeln.
„Lange trägt die Lonny nicht mehr Trauer.“
„Sind die beiden eigentlich schon richtig verlobt?“
„Seit acht Tagen!“
„Aber nicht öffentlich?“
„Na — da hätte doch der Oberbefehlshaber in den Marken in seiner Weise dazu gratuliert! Grimm ist doch heimlich in Berlin.“
Die nervöse kleine Frontkämpferfrau lachte still in sich hinein.
„Aber verliebt ist er . . . toll . . . toll . . .“
„Die Lonny erst recht! Die brennt lichterloh!
„Na ja! Die Hat’s jetzt einmal tüchtig gepackt! Aber Werner Grimm — Herrgott ja . . . Ich gönn’s ihm, dass er endlich mal an die Rechte gekommen ist.“
„Er hat wohl in dem Punkt schon viel hinter sich?“
Die kleine Dame nahm die Hutnadel aus dem Mund und knotete sich die Schleierzipfel:
„Der schöne Werner — na — ich danke! Ich hab ihn doch noch als Mädchen gekannt! Wer zählt die Völker — nennt die Namen? . . . Ein paarmal war’s direkt brenzlicht . . . Einfach Damen der guten Gesellschaft unter seinen Schlachtopfern — mir nichts — dir nichts . . . Aber nun rächt die Lonny uns alle an ihm! Nun ist er gefangen! Verschossen bis über die Ohren!“
„Das war er doch wohl schon oft.“
„So noch niemals! Bisher war es bei ihm immer nur grausames Spiel. Nun ist’s Ernst. Nun ist Schluss. Die Lonny ist seine erste und also auch seine letzte Liebe! Na — sie passen ja auch gut zusammen. Geld haben sie beide. Es wird ein schönes Paar.“
Unter dem Kronleuchter im Salon standen Werner Grimm und Lonny. Er hielt den Arm um ihre weiche, biegsame, miederfreie Taille geschlungen. Sie hatte den Kopf zurückgelegt. Die Augen geschlossen. Liess sich von ihm küssen. Hielt ganz still. Sanft wie ein Kind. Mit einem leisen Glück auf den Zügen, einer mädchenhaften Weichheit in den gelösten Linien ihrer schlanken Gestalt. Nur ihr Busen wogte schweratmend auf und nieder. Ein Flüstern zwischen den Küssen.
„Du . . . du . . .“
„Dein Vater will, dass du zu ihm nach Köln gehst, Lonny.“
Ein lächelndes Kopfschütteln, mit gesenkten, langen, seidenen Wimpern.
„Papa ist verdreht!“
„Du