Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast

Читать онлайн книгу.

Geschichten vom Pferdehof - Lise Gast


Скачать книгу
Platz ins Tal hinunter, das von hier aus wieder anders aussieht als von Onkels Haus her, aber der Blick ist ebenso wunderbar. Der Platz wird als Schulhof benutzt, er ist teils mit Rasen bewachsen, teils zum Turnen eingerichtet, mit Sprunggrube und Fußballtoren. Eine schönere Lage für eine Schule ist einfach nicht auszudenken.

      Trotzdem war mir beklommen zumute, als ich mit Penny hineinging – man wird als „Neue“ immer so angeguckt, und das macht mich schrecklich verlegen. Ich setzte mich neben Penny, die ihrer sonstigen Nachbarin sofort klarmachte, warum diese sich für die Zeit, in der ich da war, einen anderen Platz suchen mußte. Dann kam der Lehrer, und wir erlebten eine Überraschung.

      „Grüß Gott, meine Lieben“, sagte er – er ist noch jung und sieht freundlich aus, hat einen komischen kleinen Bart wie einen Streifen ums Kinn laufen, vielleicht damit er älter aussieht, sonst könnte man ihn für einen größeren Schüler halten. „Ich freue mich, daß ihr da seid zum neuen Schuljahr. Wir haben heute eine ganz besondere Freude, wir haben nämlich jemanden zu Gast.“

      Schon merkte ich, daß ich rot wurde – jetzt würde er bestimmt auf mich zu sprechen kommen. Um so mehr wunderte ich mich, als er fortfuhr. „Ein paar neue Schüler nämlich, die eine Weile bei uns sein werden. Steht mal auf, ihr Zirkusleute!“

      Ja, das war für mich die große Überraschung. In Hohenstaufen gehen Jungen und Mädchen in eine Klasse – in unserem Gymnasium übrigens auch –, hier aber waren drei Geschwister vom Zirkus in einer, also in Pennys Klasse, obwohl sie natürlich nicht gleich alt sind. Zwei Jungen – den der immer sammeln geht, kannten wir schon ein bißchen, und ein kleinerer – und Marfa. Wirklich, Marfa, der Schlangenmensch, war auch gekommen. Die drei standen auf, und der Lehrer fragte sie nach ihren Namen und ihrem Alter. Dann kam er noch kurz auf mich zu sprechen, aber nur ganz kurz. „Das ist Ursula, Pennys Freundin, die will uns auch mit ihrer Gegenwart erfreuen, und nun setzt euch alle wieder, wir wollen anfangen.“

      Gottlob, das hatte ich hinter mir. Die Kinder, die immer in diese Klasse gingen, sahen nicht mich neugierig an, sondern die Zirkuskinder. In der Stunde, die nun kam, meldete ich mich nicht, und dann war Pause, und wir durften auf den schönen Platz hinauslaufen. Da war das Schlimmste überstanden.

      Jedenfalls für mich. Ich hielt mich an Penny, und sie zeigte mir alles, die Sprunggrube und den Sandkasten für die Kleinen, und wir futterten unser Frühstücksbrot und guckten ins Tal hinunter, in dem noch die Nebel lagen, dicht und weiß, wie der Schaum über einer Badewanne, wenn man aus Versehen zuviel hineingekippt hat. Die drei Zirkuskinder standen miteinander am anderen Ende des Platzes, die zwei Jungen, die Gero und Hanko hießen, und Marfa. Die Dorfkinder aus Hohenstaufen kümmerten sich vorläufig nicht um sie.

      Die nächste Stunde war Mathe, und da meldete ich mich zum erstenmal. Ich kann ganz gut rechnen, und das, was drankam, hatten wir schon gehabt. Auch Marfa meldete sich und der kleinere der beiden Jungen. Der größere saß nur da und starrte den Lehrer an, als wollte er ihn mit den Augen aufspießen.

      „Möchtest du was?“ fragte Herr Körner schließlich, als es ihm anscheinend unheimlich zu werden begann, die schwarzen Augen des Jungen so unentwegt auf sich gerichtet zu fühlen. Der Junge schüttelte den Kopf und starrte weiter.

      „Gell, da glotscht!“ rief ein Hohenstaufer halblaut, und die ganze Klasse lachte. Das ist eine schwäbische Redensart, die nicht böse gemeint ist, aber der Junge – Gero, der größere – fuhr doch zusammen, als alles lachte, und kriegte einen roten Kopf. Von da an sah er auf seine Bank hinunter und rührte sich kein einziges Mal. Herr Körner rief ihn auch nicht auf.

      Wir hatten dann Heimatkunde, und Herr Körner erzählte von den Hohenstaufen, die hier gelebt und regiert haben, und weil so schönes Wetter war, sagte er, wir sollten doch am nächsten Tag wandern. Ein Wandertag ist in jedem Monat vorgesehen. Warum sollten wir nicht gleich damit beginnen, gerade weil wir doch Gäste in der Klasse hätten, die vielleicht daran interessiert wären, die drei Kaiserberge in Wirklichkeit zu sehen und davon zu hören und auf einen oder den andern hinaufzusteigen. Wir waren natürlich sehr dafür, denn vor einem Wandertag bekommt man keine Hausaufgaben auf.

      Zugegeben, es war ganz hübsch in dieser Schule, aber als sie aus war, rannten wir doch, so schnell wir konnten, nach Hause. Der Tag fängt eben erst nach der Schule richtig an, deshalb finde ich immer, man müßte dem, der die großen Ferien erfunden hat, ein großes, großes Denkmal setzen. Aber wer dieser kluge Kopf war, das weiß man natürlich nicht mehr. Wir hatten jedenfalls nichts auf, also Bücher in die Ecke und fertig, hurra!

      Natürlich zog es uns zum Zirkus. Aber erst mußten die Äpfel in die Mosterei gebracht werden, Rupert hatte sich diesen Nachmittag dafür extra freigenommen. Wir wanderten zusammen zu Irene, um uns den Manderl zu holen, und Irene spannte selbst mit ein. Wir hatten den Manderl geputzt und gestriegelt, er sah wunderschön aus. Dann sollte es losgehen.

      Im letzten Augenblick sagte Irene: „Ich fahre doch lieber selbst mit, denn vor dem Wagen ist der Manderl nicht ganz sicher.“ Wie gut! Denn tatsächlich scheute er an der großen Kurve beim Rathaus und sauste los, und Rupert drehte die Bremse zu, während Irene alle Hände voll zu tun hatte mit den Zügeln. Die altmodischen Wagen haben keine Fußbremse, und wenn einem das Pferd durchgeht, kann man nicht erst die Zügel in eine Hand nehmen und mit der anderen an der Bremse leiern. Rupert sagte das, als wir wieder in vernünftigem Tempo fuhren, und Irene gab ihm recht und meinte, das wäre ihr schon lange klar.

      Wie aber abhelfen?

      „Ich komm’ morgen vormittag mal vorbei, wenn die Kinder in der Schule sind. Mit Onkels Arbeit sind wir bis jetzt ganz gut vorangekommen“, versprach Rupert, und Irene lachte und fragte, ob er denn Stellmacher von Beruf sei.

      „Nein, aber in den Semesterferien habe ich mal bei einem ausgeholfen“, antwortete er, und wir waren stolz auf ihn. An Onkel Albrechts Wiesenstück spannten wir den Manderl aber lieber aus, denn dort steht ein Wagen nie sicher; wir suchten Steine und legten sie vor die Räder, und der Manderl durfte grasen. Rupert lud die Säcke auf, und Irene wollte unbedingt helfen. Das ließ er aber nicht zu. Heimzu durften wir alle vier aufsitzen, als die schlimmste Steigung geschafft war. Jetzt fuhren wir im Schritt. Wir erzählten, daß die Zirkuskinder bei uns in der Klasse waren und wohl den ganzen Winter in Pennys Schule gehen würden. „Aber sie tun, als ob sie uns nicht mehr kennen“, sagte ich, „dabei haben wir ihnen doch Geld gebracht für Hafer und Mohrrüben für ihre Pferde. Wiedergekannt haben sie uns bestimmt.“

      „Sie sind halt fremd hier“, sagte Rupert und lächelte Penny an, die neben ihm saß, „als du hier in die Schule kamst, ist es dir sicherlich auch so gegangen.“

      „Ja, und ich war noch dazu ganz allein. Die sind wenigstens zu dritt“, sagte Penny. „Über mich haben sie damals auch gelacht, als ich neu in die Klasse kam. Über Musch lacht keiner. Ich würde demjenigen auch schön heimleuchten!“ setzte sie drohend hinzu.

      Nein, über mich hatte keiner gelacht, darüber war ich froh. Ich hatte Penny, mir konnte nichts passieren.

      Als wir heimkamen, war Besuch gekommen: Pennys Vater. Er ist fast das ganze Jahr über unterwegs und kommt nur, wenn er einmal ein paar freie Tage zwischenschieben kann. Er freute sich sehr, Penny zu sehen. Auch Penny strahlte. Seit sie nicht mehr die Angst haben muß, daß er sie von Tante Trullala und Onkel Albrecht wegholt, freut sie sich besonders, wenn er kommt. Er bringt ihr auch jedesmal etwas Schönes mit. Diesmal war es etwas traumhaft Schönes: ein Westernsattel! Er hätte gehört, daß sie so gern reiten lernen wollte und auch schon ritte, und da hätte er den Sattel in Amerika für sie gekauft.

      Penny war ganz außer sich vor Freude. Na, und ich nicht minder, denn was Penny gehört, gehört mir ja auch ein bißchen mit ... Der Sattel ist tief eingebogen, so daß man ganz sicher sitzt, hat einen Sattelknopf vorn, an dem man sich festhalten kann (die Cowboys wickeln ihr Lasso darum), lederne Steigbügel, in denen die Füße stecken wie in einem Schuh. Sie sind deshalb so, damit der Fuß geschützt ist, wenn die Rinder nahe an das Pferd herankommen. Das Gurten des Westernsattels ist nicht einfach, man muß es erst lernen.

      Wir waren ganz fasziniert und wollten gleich zu Irene laufen, um den Sattel am Manderl auszuprobieren, aber Tante bat uns, erst für sie ins Dorf


Скачать книгу