Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast

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Geschichten vom Pferdehof - Lise Gast


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der Menschheit.“

      Die Abzweigung war gekommen, und Pölze lenkte nach rechts. Sie merkte selbst, wie sie sich entspannte: Dies waren die richtigen Wege für solch ein Gefährt. Ein wenig rumpelte es; Berti strampelte vergnügt mit den herabhängenden Beinchen. Am Waldrand angekommen, parierte Pölze durch, gab Bertram die Zügel hinüber und sprang vom Wagen. Sie hatte Brombeeren entdeckt.

      „Da, die kannst du gleich essen und dich herrlich damit beschmieren“, sagte sie und füllte gleichzeitig Bertis vertrauensvoll hingereichte kleine Faust, „ganz, ganz frisch, ach, und so herrlich süß! Probier du auch mal eine Beere, großer Berti –“ Sie schob ihrem Mann eine besonders dicke Beere zwischen die Lippen.

      „Und Pilze gibt’s auch.“

      „Jetzt werden keine Pilze gesucht!“ rief Bertram in komischem Entsetzen. „Nein, Pölze, damit fängst nicht erst an!“ Er kannte seine junge Frau. „Wir wollen doch zum Rosenhof fahren und nicht jetzt loslaufen und uns von einem Pilz zum andern locken lassen. Wie hat der Wolf zu Rotkäppchen gesagt? ‚Aber geh nicht vom Weg ab ...‘“

      „Unsinn, das hat die Mutter gesagt.“

      „Woher denn, die Großmutter zum Jäger, und Jäger gehen mit Vorliebe vom Pfad der Tugend ab. Weißt du das nicht? Ihre Schutzpatronin ist die keusche Diana, aber sie selbst ...“

      „Moment, das sind ja nette Geständnisse. Wo haben wir uns in Liebe gefunden, erinnerst du dich? Ich habe in Erinnerung: bei einer Treibjagd auf dem Rosenhof. Du warst selbst Teilnehmer und mußt es also wissen.“

      „Ich? Wie kommst du denn darauf?“

      Pölze war wieder aufgesprungen und hatte ihm die Zügel abgenommen. Schnick und Schnack fielen in Trab. In der Ferne tauchte ein Dach auf. Bertram, froh ob der Ablenkung, deutete darauf.

      „Dort werden wir Rast finden, für eine halbe oder eine ganze Stunde. Der Wirt hat einen eingefriedeten Grasgarten hinter dem Haus. Hast du keinen Appetit auf heiße Milch?“

      „O ja.“ Sie hielten, Pölze hob Berti heraus und ließ ihn laufen, während sie mit Bertram zusammen die Ponys ausspannte. Und dann saßen sie in der Sonne vorm Haus, in altmodischen Korbsesseln, die immerzu quietschten und stöhnten, wenn man sich ein bißchen bewegte, aßen selbstgeernteten Honig auf dunklem Brot und tranken Milch dazu, und dann rauchte Bertram, was er sehr selten tat, eine Zigarre.

      Es war ein Ferienidyll von bemerkenswerter Vollkommenheit.

      „Auf der ganzen Welt“, meinte er nach langem Schweigen, „gibt es zur Zeit einen einzigen Menschen, den ich beneide, und das ist Bertram Werth. Übrigens, da fällt mir ein, ich habe vergessen, Jupp zu sagen ...“ Er erhob sich und ging ins Haus. Pölze blinzelte und schloß dann die Augen. Sie schlief ein, schnell wie ein Kind, und wachte aus tiefster Versunkenheit erst auf, als Bertram sie sachte an der Schulter rüttelte.

      „Wach auf, Pölze, ich würde dich gern schlafen lassen, aber ... kannst du nicht aufwachen?“

      „Ja, ja.“ Es klang traurig und widerwillig, als wollte sie nicht aus dem Traum gerüttelt werden, dem Traum, den sie, wachend oder schlafend, so hatte träumen dürfen: Bertram einmal ganz allein für sich zu haben. Nachgeholte Hochzeitsreise – ach ja. Es war, als ahnte sie, was kam.

      Nein, sie ahnte es nicht, jedenfalls nicht bewußt. Keiner hatte das geahnt.

      6

      Ich muß heim, Pölze, ganz schnell“, sagte Bertram eindringlich, als sie halbwegs wach und wahrnehmungsfähig war. „Es ist nötig, leider. Dem Wachmann ist einer durchgebrannt, hinten, an der Winterweide.“

      Dies war ein Stück Land, das so hieß, weil man die Ponys auch im Winter dort im Freien lassen konnte – Wald und Gestrüpp waren vorhanden, wo sie sich schützen konnten, und außerdem hatte Bertram noch einen Schuppen bauen lassen, der, an drei Seiten geschlossen und nur an der windgeschützten offen, einen idealen Untertritt für die Ponys bildete. Dort bewahrte man auch die Halfter auf, um sie zur Hand zu haben, wenn man einmal herauskam und reiten wollte. Die Winterweide lag etwa drei Kilometer vom Haus entfernt.

      Dies alles wußte Pölze natürlich, und sie sah es deutlich vor sich, während Bertram fortfuhr. „Er hat auch das Koppeltor aufgeschoben, ja, ob absichtlich, damit ein rechtes Durcheinander entsteht, wenn wir erst die anderen Isländer einfangen, oder aus Versehen oder in der Eile, wer weiß es? Jedenfalls sind alle weg.“

      „Wieso aus Versehen?“ fragte Pölze, jetzt hellwach.

      „Tja!“ Bertram hob ein wenig die Schultern. „Es kann sein, er hat sich einen der Isländer gegriffen und ist damit davon. Die Kopfstücke sind doch im Schuppen, wenn auch innen unterm Dach versteckt. Trotzdem ist es leichtsinnig von uns, daß wir das so halten und immer so gehalten haben. Bisher passierte nie etwas. Aber man kann es direkt als Einladung zum Pferdediebstahl bezeichnen. Wir müssen das künftig anders machen.“

      „Hoffentlich nicht Jörp“, dachte Pölze inbrünstig und fragte dann: „Und alle sind weg?“

      „Anscheinend. Ein paar kamen auf den Hof, sagte Jupp, die haben sie sich natürlich gleich gegriffen.“

      „Welche, weißt du nicht?“

      „Nein. Ich wollte nicht ewig telefonieren, und –“

      „Fahren wir nun wieder heim?“ fragte Pölze zaghaft. Bertram sah sie an, schüttelte dann jedoch den Kopf, nachdem er ein Weilchen überlegt hatte.

      „Ich glaube nicht. Weißt du was, fahr du weiter! Was sollst du jetzt in Niederwerth? Es ist sogar besser, du bist fort. Es ist immerhin ein bißchen unheimlich zu wissen, daß sich da einer herumdrückt ... Aber wir werden ihn schon bekommen und dingfest machen. Weit kommt der nicht! Schließlich aber muß ich dabeisein, wenn sich das abspielt, verstehst du.“

      „Klar, das sehe ich ein.“ Sie dachte und sagte nicht, wie andere Frauen jetzt vielleicht getan hätten: „Und wenn du nicht zufällig angerufen hättest?“ Sie dachte nur: „Das muß in Ordnung kommen.“ Und daß es für Jupp allein schwieriger sein würde, wußte sie nur zu gut.

      „Aber wie willst du zurück?“

      „Der Wirt fährt mich, ich sprach schon mit ihm. Er hat einen Wagen. Wir sind schnell in Niederwerth, und du fährst inzwischen weiter. Es ist ja alles genau in die Karte eingezeichnet, jeder einzelne Weg, mit Rotstift markiert. Sobald die Sache in Ordnung ist, komme ich mit Jupps Wagen nach oder mit dem meiner Schwester. Einverstanden?“

      „Natürlich. Da mache ich die Hochzeitsreise eben allein. Ach Bertram ... Aber Hauptsache, ihr bekommt ihn bald und ohne Zwischenfälle. Gib acht auf dich, Bertram, du, ja? Mach’s gut.“

      Das mußte sie schon noch sagen. Bertram lächelte ihr zu, ehe er die Autotür zuzog. Sie sah dem immer kleiner werdenden Wagen nach, bis sie ihn nicht mehr erkennen konnte.

      Dies alles war schnell und ohne zu großen Wortwechsel über die Bühne gegangen. Pölze stand nachdenklich da, die Hände in den Taschen ihrer weiten Jacke, und sah vor sich hin. Als sie sich umwandte, blickte sie geradewegs in das entsetzte Gesicht der Wirtsfrau.

      „Müssen Sie jetzt ganz allein weiter mit den Pferden?“ fragte sie, und es klang, als meinte sie nicht „mit den Pferden“, sondern „mit den wilden Bestien“. Sie hatte wohl einiges am Telefon gehört und sich mancherlei zusammengereimt.

      „Es sind keine Bengali-Tiger“, antwortete ihr Pölze und lachte. – „Und wenn es welche wären, und Bertram vertraute sie mir an, so führe ich mit Bengali-Tigern“, dachte sie. Bei dieser Vorstellung mußte sie lachen. – „Und allein bin ich auch nicht. Ich habe doch meinen großen Sohn bei mir.“ Sie hob Berti auf, der im Sand gespielt hatte, und stellte ihn auf die Beine.

      „Berti ist sehr weit für sein Alter und ein ausgezeichneter Schutz für seine Mutter, nicht wahr, mein Schatz?“ Es war gut, vor dieser Frau die Gelassene zu spielen. Im Grunde hatte es sie


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