Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast
Читать онлайн книгу.„Er kommt mir nach, sobald alles in Ordnung ist, vielleicht schon heute nachmittag.“
„Wollen Sie da nicht solange hierbleiben?“ bot die Frau ihr an. Es war gut und mütterlich gemeint. Pölze schüttelte den Kopf.
„Danke, nein. Er sagte, wir sollten fahren, und da fahren wir. Berti und ich. Mit dem Wagen holt er uns überall noch ein.“
7
Kornelia – entschuldige! Kann ich dich bitte einen Augenblick sprechen?“
Bertram sah, daß er recht ungelegen kam. In der Reithalle standen drei Herren und sahen mit kritischen Augen zu, wie Kornelia einen der schlankeren, eleganteren Isländer vorritt, einen Rappen ohne Abzeichen, äußerlich sehr hübsch, aber kaum angeritten, wie Bertram sofort merkte. Kornelia versuchte das so gut wie möglich zu verdecken. Sie wußte, wie kindlich unbedacht die Isländerponylieferanten manchmal sind: Bestellt man zugerittene – dort sagt man „eingebrochene“ – Ponys, so kann es einem passieren, eins zu bekommen, das im ganzen Leben den Sattel bisher zwei Stunden und nicht länger trug. Bei dieser Gola schien es so zu sein.
„Was gibt’s denn?“ fragte sie, an ihn heranreitend.
„Ich brauche dich – und Tina“, sagte Bertram eindringlich und informierte sie kurz. „Natürlich ist die Polizei benachrichtigt, um den Gefangenen aufzuspüren, mir aber geht es um die Pferde. Sechs Isländer fehlen noch, sagte Jupp am Telefon – Jupp vertritt mich –, und Kronos. Ob sich der Gefangene für seine Flucht nun Kronos oder einen Isländer genommen hat – jedenfalls nur eins. Wir müssen aber auch die anderen finden. Mit Tina hättest du eine große Chance mehr als wir. Kommst du mit?“
„Natürlich. Sofort“, sagte Kornelia und warf beide Beine gestreckt nach hinten. Sie landete mit einem Sprung neben Bertram. „Bist du mit einem Wagen hier? Oder soll ich rüberreiten?“
„Mit einem Bekannten, ja. Er fährt uns nach Niederwerth. Danke, daß du mitkommst.“
Zwei Minuten später wußte Habermann Bescheid, Kornelia hatte sich verabschiedet. Tina sprang ins Auto, Kornelia kroch hinterher, und ab ging die Fahrt.
„Den Isländern macht es selbstverständlich nichts aus, wenn sie nicht sofort gefunden werden“, sagte Bertram unterwegs, „sie sind ja immer draußen und richten um diese Jahreszeit auch keinen erheblichen Schaden an. Aber Kronos. Er steht sonst nachts im Stall, er war zufällig ausnahmsweise mit den Ponys auf der Weide.“
Kornelia nickte. Sie war in Reithose und Jacke, wie sie von Gola gesprungen war, und lief sofort zum Pferdestall, als sie in Niederwerth ankamen.
„Komm, Tina, hier!“ Sie führte ihn in Kronos’ Stand, ließ ihn schnuppern, forderte ihn auf: „Such verloren, guter Hund, such verloren ...“
Bertram hatte inzwischen mit Jupp gesprochen, der am Hoftor auf sie gewartet hatte.
„Drei der noch ausstehenden Isländer sind da, fehlen also noch drei“, berichtete er, zu Kornelia in den Stall tretend, „ich habe sie hier hereingestellt.“
„Jörp und Blesa – darf ich Jörp nehmen, Onkel Bertram?“ fragte Kornelia, die diese Stute besonders liebte. Bertram nickte. Sie sattelten nicht erst, nahmen nur ein paar Stallhalfter mit.
Es wurde ein wilder Ritt. Tina, die Witterung aufgenommen hatte, setzte in gezielten, weiten Sprüngen davon, Kornelia und Bertram hinterdrein. Die Voraussetzungen für solch einen Querfeldeinritt waren ja die allerbesten; im Herbst richtet man keinen Schaden auf Feldern und Wiesen an, und der Untergrund ist so, daß man fast überall galoppieren kann. Das war gut. Tina legte ein unheimliches Tempo vor, und die Isländer ließen sich von ihr anstecken.
„Du, Onkel Bertram, die weiß genau, worum es geht!“ rief Kornelia einmal halblaut, als sie auf eine Rübenmiete zuhielten. Bertram meinte das auch. Tina lief nicht irgendwohin, um Kronos zu suchen, sondern verfolgte einen Plan. Jetzt umrundete sie die Miete und wurde auf der andern Seite wieder sichtbar. Bertram ließ seinen Isländer hinaufspringen und auf der anderen Seite wieder herunter, um abzukürzen und den Hund nicht aus den Augen zu verlieren. Natürlich dachte er, Kornelia würde es genauso machen.
Sie hatte auch die Absicht. Aber Jörp schien das unbequem zu finden. Sie setzte zum Sprung an – Bertram blickte sich zufällig gerade um, da erblickte er Pony und Reiterin genau in der Luft. Jörp war ab-, aber nicht auf die Miete aufgesprungen, sondern hatte sie kurzerhand einfach überflogen.
„Na, ob Kornelia den Sprung aussitzt –“ dachte Bertram leicht besorgt. Wie schnell man doch denken kann! Schon jagten sie wieder Seite an Seite.
„Dort!“ rief Kornelia und deutete leicht seitwärts. Man sah Pferde – sie kniffen die Augen zusammen, ritten jetzt genau gegen das Licht. Die fehlenden Isländer, wahrhaftig!
„Tina! Zurück! Tina! – Daß sie sie uns nicht aufjagt –“, japste Kornelia. Tina aber schien wirklich zu begreifen, um was es ging. Sie fuhr nicht wie eine Wilde zwischen die Ponys, die an einer Mohrrübenmiete scharrten, sondern umkreiste sie abwartend, bis die beiden Reiter heran waren. Bertram saß ab, legte ihnen – es waren nur zwei, Rodi fehlte also immer noch – die Stallhalfter um und sagte:
„Am besten, ich bringe sie zur Mühle, das ist nicht weit, und lasse sie vorläufig dort. Du suchst mit Tina weiter, Rodi muß noch gefunden werden – und Kronos. Wie wir uns verständigen? Am besten so: Jeder von uns ruft zu Hause an, wenn irgend etwas auszurichten ist. Auf diese Weise bekommen wir Bescheid voneinander. Sobald etwas Wissenswertes passiert, reiten wir ins nächste Dorf und telefonieren, sowohl du als auch ich.“
„Machen wir.“ Kornelia winkte ihm zu, während sie Jörp anspringen ließ. Tina zog bereits wieder in weiten Sprüngen vor ihr übers Feld ...
8
Pölze merkte schon eine Weile, daß sie falsch gefahren sein mußte. Wahrscheinlich hatte sie eine Abzweigung übersehen. Nun, dann nahm sie eben die nächste, so kam sie schon wieder auf den richtigen Weg. Wenn sie Birkelbach erreicht hatte, wollte sie daheim anrufen, dann erfuhr sie vielleicht schon, daß der Gefangene erwischt und sichergestellt war. So jedenfalls redete sie sich ein.
Im September sind die Tage kurz. Sie hatte nicht darauf geachtet und befand sich plötzlich in einer ziemlich schnell herabsinkenden Dämmerung. Nanu? Das Dorf, in dem sie übernachten wollte, ließ auf sich warten. Freilich, vorhin hatte sie eine Pause eingelegt, weil Berti einfach nicht mehr still sitzen konnte. Das war nicht eingerechnet gewesen. Sie versuchte, die Karte zu erkennen, und ihrer Meinung nach mußte Birkelbach unmittelbar kommen. Sie fuhr zur Zeit im Wald, da ist es ja dunkler als auf freiem Feld. Sie spähte nun ziemlich sehnsüchtig nach vorn: Sah man nicht bald Lichter, die menschliche Ansiedlungen ankündigten?
Während sie den Hals reckte, war ihr, als hörte sie hinter sich Hufschlag. Sie horchte – nichts. Die Wege hier waren unterschiedlich in ihrer Beschaffenheit, manchmal weich, so daß sie auch die Hufe ihrer Isländer nicht aufsetzen hörte, manchmal sehr unangenehm, nämlich mit Bauschutt und Ziegelbrocken aufgefüllt, die man hier in die größeren Vertiefungen geworfen hatte, wie das üblich ist. Dort hörte man natürlich jeden Schritt. Pölze, die jetzt ziemlich müde war, glaubte, sich geirrt zu haben, als sie plötzlich ein Wiehern hinter sich vernahm. Und nun wurde sie sehr wach.
Nein, Lichter waren noch nicht zu erspähen. Sie fuhr hier allein im Wald, auf einem Weg, auf dem sicher tagelang kein Mensch ging oder fuhr. Und hinter ihr war jemand, jemand zu Pferde.
Sie fühlte, wie ihre Kopfhaut eiskalt wurde, und sie hatte den Eindruck, als stellten sich ihre Haare einzeln auf. Über ihren Rücken lief es, als streiche jemand mit einer eisigen Hand darüber entlang. Himmel, sie, Pölze Werth, fürchtete sich. Gab es denn das?
Sie faßte die Zügel fester, ließ die Peitsche durch die Luft pfeifen und schnalzte mit der Zunge. Vorwärts – obwohl das ja wenig Sinn hatte. War ein Reiter hinter ihr, der ihr übelwollte – der Reiter, und sie wußte genau, an wen sie dachte, dann half alles schnellere