Nichts bleibt, mein Herz, und alles ist von Dauer. Lise Gast
Читать онлайн книгу.die Seidenraupenzucht hier eingeführt.«
Sie gingen über die Himmelbrücke in den Park hinein und stiegen die Terrassen hinauf zum Schloß. Die schön gepflegten Wege schwangen auseinander und wieder zusammen, Bronzefiguren zierten kleine Wasserbecken. Hier ein Knabe mit einem Delphin, dort einer mit einer Schildkröte. Und jetzt der große Platz vor dem Schloß, mitten darauf ein Wasserbecken, auf dessen Rand steinerne Frösche hockten. Laubengänge und verschwiegene Bänke, fast verhüllt, auf stille Besucher wartend. Treppen, die man leicht und beschwingt emporging, der Blick vom Schloß über das Dorf bis zu den Bergen hinüber, die duftblau am Horizont standen. Rings um das Schloß führte ein Weg zum Rosengarten und zur Siegessäule. Martin und Regine schwiegen miteinander, Worte wären zuviel gewesen. Hier sollten einmal ihre Kinder und Enkel gehen, wenn Gott ihnen das gewähren wollte. Martin hatte einen sehr guten Arbeitsvertrag erhalten, den hatte er abgewartet, ehe er Regines Eltern offiziell um die Hand ihrer Tochter bat. Er erzählte jetzt davon, und Regine versteckte ihr Gesicht an seiner Schulter.
Am Sonntag fand das Festessen statt. Der Tisch war aufs schönste geschmückt, Silber und Kristall glänzten, und der Vater hielt eine Rede, zu der er sich erhob. Regine sah vor Verlegenheit in ihren Schoß, Martin entgegnete mit Wärme und Anstand. Kaum hatte er geendet, als es klopfte und Marie, die diesjährige Küchenfee, mit einem Telegramm hereinkam.
»Ich sullts halt glei abgeba, hot er gesaot«, murmelte sie entschuldigend. Der Vater nahm es ihr ab. Aber es war an Martin gerichtet. Martin entfaltete es – las es für sich und dann halblaut vor. Sein Vater war gestorben.
Alle schwiegen.
Später hieß es, dies sei geschehen, weil es dem alten Herrn das Herz gebrochen habe, daß Martin eine Katholikin heiraten wollte. So erzählte man es in Martins Verwandtschaft. Jetzt war davon noch keine Rede.
»Da mußt du wohl gleich wieder fort?« flüsterte Regine, nachdem alle Martin ihr Beileid ausgesprochen hatten. Sie weinte. Martin legte seine Hand auf die ihre.
Die Mutter sprach dann ein paar freundliche Worte. Niemand hatte von ihr eine Tischrede erwartet, aber es tat gut zu hören, wie sie mit dem Herzen mitfühlte. Der Vater stand auf und holte das Kursbuch. Zum Glück ging der nächste Zug erst am Abend.
»Wir können also noch in Ruhe beieinandersitzen bis dahin«, sagte Martin, »laßt euch den schönen Tag nicht verderben.«
Sie gaben sich alle Mühe, einer wie der andere. Regine hatte ihre Kochkünste zeigen wollen und sozusagen künstliche Eier zubereitet. Es waren zwar richtige Hühnereier, aber ausgeblasen und mit einer cremigen Mayonnaise gefüllt. Nun achtete niemand darauf, nur der Vater sagte grimmig, als er das dritte aufschlug: »Wieder eins ohne Dotter!«
Da mußten alle lachen, und der Bann war gebrochen. Beim Kaffee danach wurde schon wieder munter geschwatzt; es wurden Pläne gemacht für die Hochzeit im Mai, es wurde auch gelacht, obwohl man sich dessen ein bißchen schämte. Regine zeigte sich tapfer der raschen Trennung gegenüber, sie tröstete sich damit, daß Martin im Mai nicht ohne sie abfahren würde. Trotz allen Kummers war es ein harmonischer Nachmittag, und Martin fuhr freundlich winkend ab, nachdem er Regine nun richtig und liebend geküßt hatte.
»Jetzt dürfen wir es ja«, sagte er leise, als er merkte, daß Regine verschämt nach dem Bahnbeamten guckte, der mit seiner roten Mütze auf dem Kopf darauf wartete, das Zeichen zur Abfahrt des Zuges zu geben. Er war ein Patient ihres Vaters und kannte sie natürlich. Aber die Verlobung war im Dorf längst bekannt.
»Wie isses denn, richtig verlobt zu sein? Ich meine, so wie du, mit Ring und rumgeschickten Anzeigen und so«, fragte Lore Dempe eines Tages. Sie saßen im Laden, der geschlossen war. Sie hatten noch kein Licht gemacht. Die ›aahle Dempen‹ saß hinter der Kasse, Regine und Lore hockten an der Seite, je auf einem Sack. Die Säcke mit ungebranntem Kaffee, mit Erbsen und Linsen lehnten am Ladentisch. Vorhin war jemand mit einem Brett oder einem Stock an der heruntergelassenen Jalousie entlanggefahren. Das hatte ein schnarrendes Geräusch gegeben – da waren alle drei vor Schreck hochgefahren.
»O diese bösen Bubenhände«, seufzte Frau Dempe. Friederike kroch in den Winkeln des Ladens herum.
»Schön, aber auch nicht schön«, sagte Regine. »Wenn er schreibt, ist’s schön, aber sonst wartet man nur. Und wenn ich denke, ich warte ja darauf, daß ich hier fortmuß, – dann ist es noch schlimmer.«
»Ja, da hab’ ich es besser«, sagte Lore, »ich brauch’ nicht fort. Josef übernimmt den Laden hier.«
Josef Kirchner, ihr Verehrer, war Kaufmann.
Natürlich wußte man im Doktorhaus darüber Bescheid, aber Vater hatte sofort gesagt: »Na, der liebt den Laden und nicht die Lore.«
Regine fand es gräßlich, so zu denken. Und doch verglich sie gleichzeitig in Gedanken Josef mit ihrem Martin. Da tat ihr die Freundin leid. Sie war erleichtert, als Friederike, die sich langweilte, jetzt anfing zu quengeln. Sie wollte nach Hause.
»Bringst du uns noch ein Stück?« fragte sie Lore. Untergehakt bummelten sie die Dorfstraße hinunter.
Es war ein lauer Abend. Sie gingen mitten auf der Straße. Auf dem Fußgängersteg kam ihnen eine kleine Gestalt entgegen, die Gustel, wie sie errieten. Sie ging mit eiligen Schritten, den Kopf vorgebeugt, am Staketenzaun entlang und rannte gegen den Lichtmast, der seit einiger Zeit hier stand. Auch auf die Dörfer kam jetzt Elektrizität, was vor allem Regines Vater sehr freute.
Rums, machte es. Die beiden jungen Mädchen erschraken, mußten aber heftig lachen, als sie hörten, wie die Gustel murmelte: »Ach entschuldigen Sie, Herr Generaldirektor!«
Warum sie den Lichtmast ausgerechnet für diesen hohen Herrn hielt, war unerfindlich. Regine lachte noch, als sie die Messingklingel an der Tür des Doktorhauses zog.
Lore war umgekehrt. Regine trat in die Eßstube, wo ihre Mutter zu sitzen pflegte – nein, nicht allein. Auf dem Stuhl, vor ihrem Platz am Fenster, stand etwas, was Regine lauthals aufjuchzen ließ: Friederikes kleines Schaukelpferd. Da stand es, so gut repariert, daß es kaum auffiel, neue Beine eingeschraubt, tipptopp in Ordnung. Es war nun nicht mehr so hell wie früher, sondern, von liebevollen Kinderhänden glatt gestrichen, dunkler geworden, aber mit dem gleichen ausdrucksvollen Kopf. Die Mutter war sehr gerührt.
»Nun brauchen wir es Vater nicht zu erzählen.«
Aber die beiden Frauen erlebten eine Überraschung. Friederike hatte das kleine Schaukelpferd natürlich auch gesehen, sie stürzte sich aber nicht, wie man hätte annehmen sollen, auf ihr bisher so geliebtes Spielzeug, sondern blieb mit funkelnden Augen davor stehen.
»Das will ich nie mehr haben«, stieß sie hervor, »das könnt ihr behalten. Ich will kein Pferdel mehr – macht damit, was ihr wollt –« Sie drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Als Regine später nach ihr schaute, fand sie die Kleine im Bett liegen, schlafend, das Gesichtchen tränenverschmiert. Merkwürdig. Sie ging zur Mutter zurück.
»Mutter«, sagte sie nach einer kleinen Weile, als sie berichtet und dann geschwiegen hatte. »Wenn wir, Martin und ich, einmal Kinder haben sollten – gibst du es uns dann?«
»Wollt ihr denn Kinder?« fragte die Mutter sacht. Über so etwas sprach man in den Familien nicht. Regine war froh, daß es dunkel war. Kinder. Sich Kinder wünschen, Kinder bekommen – dies alles war ein Kapitel, über das man nicht sprach. Nicht Mutter, nicht Vater, nicht einmal hier, in einem Arzthaus.
»Na ja – Lore sagte –« Regine verstummte.
»Was sagte denn Lore?« fragte Mutter geniert.
»Sie sagte – ich meinte, ob sie glaube, daß sie Kinder bekäme.« Regine brach ab, sich des Unpassenden dieses Satzes bewußt.
»Na? Was –«
»Sie sagte: ›Hach, das wär’ gelacht!‹« gestand Regine und war erleichtert, als sie die Mutter lachen hörte. Mutters halblautes, zärtliches Lachen, das sie so liebte; aber bei solch einem heiklen Thema ...
Sie entfloh, sobald es ging, in ihr Zimmerchen hinauf. Die Mutter blieb zurück.