Die Liebe, die uns rettet. Walther von Hollander

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Die Liebe, die uns rettet - Walther von Hollander


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Professor Stössler, Gattin des Internisten, mit halblangen Locken über dem Empirekleide ... eine ganze Galerie Frauen der gleichen Zeit und aus drei Zeitaltern, besonders, wenn man noch die ganz jungen Dinger mitrechnet, Lisa Meimberg, eine Kusine des Bräutigams, Abiturientin, mit zwei Zöpfen über der Schulter, Klotilde von Löpel, eine Nichte der Tante Schreiner, mit getufftem Blondhaar, das wie Schaum über dem Kopf steht (sie ist Schauspielerin, hat eben einen Film mitgemacht, als dritte von neun Mädchen einer Ballettschule, musste zu Willy Fritsch sagen: „Gute Nacht, lieber Egon!“).

      Das Fest wird nun wirklich lustig, nachdem alle Damen in die rechte Beleuchtung gesetzt waren und nachdem man ein paar Frösche durch die Büsche hat knallen lassen, damit alle wieder in den Tanzraum zurückgehen. Aber es geht alles wie auf andern Festen auch.

      Gegen ein Uhr geht Barbara, ein wenig müde, durch die Zimmer. Weppen spricht gerade wieder über die Eifersucht und dass Meimberg jedem Zigeuner den Hals umdrehen wird, der sich Barbara nähern sollte (Warnung also an alle Zigeuner!), Otto Schreiner trägt dem Amtsrichter Wehmeyer seine Ansichten über die Wertewährung vor und ob ihm der Amtsrichter vielleicht sagen kann, wie die Neger in die Lage zu versetzen sind, Schreinersche Nadeln zu beziehen. Pritzke, der Oberst, tanzt mit der Amtsrichterin den Walzer seiner Jugend, schwungvoll, mit wippenden Knien und riesigen Schritten, Kleesand sagt den jüngsten Damen aus der Hand ihren Charakter, den er im Laufe des Abends aus ihrem Benehmen erfasst hat, der Professor spricht mit dem Internisten Stössler über einen interessanten Fall von Spinallähmung, die Brettwitz hat endlich ihren Ahnenstreit mit der Tante Anna, geborenen Löpel, begonnen ...

      Barbara setzt sich einen Augenblick ins Halbdunkel, in den Sessel hinter das Klavier. Sie hat unter aller Zufriedenheit wieder diesen leisen Druck verspürt. Sie wünscht sich, dass dies ganze Fest schnell zu Ende gehen soll. Sie merkt, sie hat schon Abschied genommen, alles hinter sich gelassen. Sie will in ihr neues Leben hinein. Jetzt gleich. Schade, dass sie ihren Alfred nicht unter den Arm nehmen kann und mit ihm in die neue Wohnung ziehen. Jetzt, in dieser Sekunde. Sie hat eigentlich gar keine Lust wegzureisen. Eine Heirat ist eine Reise an sich, weiter als irgendeine Reise, wenn es einem Ernst ist.

      Nun setzt sich Kleesand ans Klavier. Er ist ein grossartiger Spieler. Und an diesem Abend führt er seine Glanznummer vor, berühmte Klavierspieler, parodiert an Chopins Nocturne As-Dur. Edwin Fischer, Gieseking, Elly Ney, Eduard Erdmann. Das Klavier schüttert und flüstert. Die Gäste schreien vor Lachen.

      Barbara sieht ängstlich zu ihrem Vater hinüber. Das Nocturne As-Dur war das Lieblingsstück ihrer Mutter. Sie spielte es sehr schön. Sehr heftig, sehr trotzig und sehr weich. Es entsprach genau ihrem seltsamen Charakter, den nur einer verstand und mit dem nur einer fertig wurde, er, der Vater.

      Barbara sieht, wie die Brettwitz zu ihm kommt und ihm etwas zuflüstert. Sie sieht, wie er verstimmt hinausgeht. Sie geht leise hinterdrein. Nein ... er ist nicht geflohen. Er steht draussen am Telephon. Er spricht ruhig und sachlich, ein wenig ärgerlich.

      „Nein“, sagt er, „ich kann morgen unmöglich. Meine Tochter heiratet. Sie werden das einsehen. Es wird wohl einen Tag aufzuschieben sein. Tut mir leid. Nicht zu ändern. Wiedersehen.“

      Er sieht die Tochter stehen. Sie sagt: „Soll ich das da drinnen abstellen ... den Chopin ... es geht ganz leicht. Kleesand kann auch was anderes spielen oder überhaupt aufhören.“

      Schreiner aber antwortet etwas Merkwürdiges: „Wenn man sie dadurch wieder lebendig machen könnte. Aber sonst lass nur. Es tut deshalb nicht weher.“

      Barbara legt ihre Arme fest um seinen Hals. Sie denkt: Warum hat er niemals mit mir darüber gesprochen, wie weh es tat? Warum musste ich jahrelang denken, er hätte sie über seiner Arbeit überhaupt vergessen? Warum sind diese Männer so schweigsam und fressen alles in sich hinein? Aber Alfred soll sprechen. Er soll sprechen lernen. Und ich will mit ihm sprechen. Ich will ihm sagen, was ich bin, was ich denke und was ich will. Und sie sagt: „Ich danke dir für alles. Für heute, für gestern und für morgen.“

      Der Professor kann nichts Feierliches vertragen. Darum sagt er, indem er ihre Arme von seinem Hals nimmt: „Dieser Rauthammer ... Weisst du, der Mann, den wir heute vormittag sahen, hat eben angerufen. Wollte mich sofort sprechen. Behauptete, es sei lebenswichtig. Nun, das glaube ich ihm nicht.“

      „Lebensgefährlich?“ fragt Barbara. „Meinst du, er könnte lebensgefährlich krank sein?“

      „Lebenswichtig hat er gesagt“, antwortet der Professor, „aber wir wollen ja nicht über Patienten sprechen. Damals war er übrigens ganz gesund.“

      Dies ist das letzte, woran sich Barbara noch genau erinnern kann. Und sie weiss noch, dass sie hastig zwei Glas Bowle getrunken hat, dass Sophie Wahnke sie etwas gewaltsam für ein paar Minuten in den Garten führte, um ihr zu erzählen, warum sie so spät gekommen war. Eine ganz komische Geschichte, Rauthammer war bei ihr. Wie? Ja, wie, er kam die Treppe herauf und läutete. Gerade als Sophie gehen wollte. Er sagte: „Ich habe vorhin lange Ihren Apparat angerufen. Warum haben Sie sich so spät gemeldet? Ich will jetzt Ihre Freundin sprechen. Jawohl, ich muss sie sprechen.“ Das hat er immer wieder gesagt. Sass verbissen in einem Sessel. Rauchte ohne Pause. Erzählte, dass er sich damals den Kopf zerbrochen hat, warum plötzlich jede Verbindung zu Barbara abriss. Seit heute erst wüsste er es. Es läge an ...

      Bis dahin konnte Sophie Wahnke nur erzählen, da kam Alfred Meimberg, nahm die beiden an den Armen, führte sie hinein. Dann kam der Tanz, der lange Tanz mit Alfred. Barbara tanzte, tanzte, während Kleesand spielte. Tanzte, und die Welt fing an, mit zu drehen und mitzurollen. Schrumpfte zusammen. Die Gesichter verwischten, und es blieb nichts vom Saal, von den Menschen, von den Wänden, von den Blumen als eine grosse rollende Scheibe, auf der sie mit Alfred tanzte. Niemand tanzte mehr ausser ihnen. Sie tanzten fünf Minuten, zehn Minuten. Die Gäste klatschten den Takt mit. „Sie hat eine wirkliche Leidenschaft“, sagte die Tante Anna, geborene Löpel, zur Generalmajorin, „und ich finde, dass Leidenschaft uns Frauen rettet.“ Die Generalmajorin nickte höflich. Sie fand diesen Ausspruch unfein. Sie sah ihrem Sohn zu, wie er mit offenen Lippen, die Haare immer noch glattgestrichen, tanzte, wie er durstig die Luft trank, wie er zu lächeln anfing ... Nein, die Generalmajorin wandte sich von diesem Schauspiel ab und ging zu ihrem Sessel zurück.

      Das Paar aber tanzte, bis der Professor auf den klavierspielenden Kleesand zuging, ihm die Hand auf die Schulter legte und sagte: „Genug, glaube ich ...“

      Kleesand hörte auf. Aber die Welt Barbaras drehte sich rasend weiter. Sie hielt sich an Alfred fest, sie nahm ihn an der Hand, führte ihn, ein wenig wankend, hinaus – aber immer noch lächelte sie –, und draussen im Flur sackte sie lautlos zusammen.

      Der Professor musste dann kommen, so erzählte man es ihr am andern Tag, und er hatte sie in ihr Zimmer hinaufgetragen, hatte sie ins Bett gelegt, hatte ihr ein sehr schönes Nachthemd angezogen, hatte sie zugedeckt, und sie hatte gesagt: „Das war aber mal eine schöne Hochzeit, eine sehr schöne Hochzeit, wenigstens jetzt zuletzt, und nun wollen wir mal schnell abfahren. Du und ich.“ Es war dabei nicht ganz klar, ob sie den Professor gemeint hatte oder ihren Alfred.

      Ausserdem war es ja erst der Polterabend.

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