Die Liebe, die uns rettet. Walther von Hollander

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Die Liebe, die uns rettet - Walther von Hollander


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nicht an Rauthammer. Sie denkt jetzt, dass sie morgen abend mit Herrn Rechtsanwalt Alfred Meimberg wegfahren wird. Das ist und bleibt komisch. Man kennt sich seit sechs, sieben Jahren. Man hätte ja auch früher zusammen wegreisen können, man hätte vor drei Jahren heiraten können. Aber damals hätte Barbara jeden ausgelacht, der ihr Alfred Meimberg als Ehemann angeboten hätte. Warum nur? Sie sieht doch jetzt, dass Alfred genau der Mann ist, den sie sich gewünscht hat. Hell und übersichtlich, stark und einfach. Körperlich und geistig gut trainiert. Skeptisch und mit Hochachtung vor dem Materiellen. Liebt Geld und Ruhm. Das hat sie gesucht. Das braucht sie. Das ist das richtige für sie. Denn sie selbst hat eine leise Schwäche für die „Verschwimmgebiete“ (Alfreds Ausdruck), fürs Zauberische und Magische (würde sie sagen), fürs Metaseelische (hat der Vater gesagt).

      Es ist also alles in Ordnung und – wie hat der Küster gesagt? – wickelt sich von selbst ab. Und jetzt ist es – um Himmels willen! – 11 Uhr 15. Sie muss zur Bahn, Alfred treffen, jawohl Alfred treffen und nebenbei Vaters Schwägerin abholen, Anna Schreiner geborene Löpel von Löffelholz, eine famose Frau, wenn man von ihren Ticks absieht, von ihrem Adelsstolz, von ihren Kinoideen, die sie aus Opposition zu ihrem Mann pflegt, zu Otto Schreiner, Gera, Besitzer der Nadelfabrik Schreiner u. Co., dem dicken, gescheiten Bruder des Vaters.

      Barbara setzt sich in ein Auto. Sie kommt um 11 Uhr 27 am Anhalter Bahnhof an. Alfred? Eigentlich könnte doch Alfred schon dasein. Sie sucht die Fahrkartenhalle ab, sie läuft die Treppe hinauf. Alfred? Sie steht in der Bahnhofshalle, die immer gewittrig aussieht, weil die Glasscheiben verregnet und verrusst sind. Sie geht schnell den ganzen Bahnsteig ab. Alfred? Sie muss ihn sprechen, bevor der Zug einläuft. Sie muss ihm die Begegnung mit Rauthammer erzählen. Dann erst ist die Sache abgetan und ungefährlich. Ausserdem hat sie es sich als Liebesorakel gesetzt. Alfred muss kommen.

      11 Uhr 30. Es läutet. Die Gepäckträger kommen. Ganz hinten auf den besonnten Schienen tritt eine gewaltige Lokomotive ins Bild, sie pustet und stampft. Sie steht und holt Atem. Alfred! Alfred!!

      Alfred kommt in dieser Sekunde unten am Bahnhof an. 11 Uhr 33. Er saust durch die Vorhalle. Links die Treppe hinauf. Hinten in der Sonne setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Er muss vor dem Zuge bei Barbara sein. Er hat es versprochen, er wird es halten. Bahnsteigkarte! 20 Pfennig? Moment mal: ein Groschen, zwei Pfennig, eine Büroklammer, Gott sei Dank, ein zweiter Groschen. Ein Groschen ... zwei ... die Groschen rollen wieder aus dem Schlitz. Der Automat hat keine Karten. Barbara presst ihre Tasche fest gegen ihr Herz. Was liegt an einem Orakel? Sie ist doch nicht abergläubisch. Wenn Alfred eben nicht kommen kann, dann wird ihre Ehe trotzdem sehr glücklich, und die Sache mit Rauthammer kann sie ihm am Abend erzählen. Die grosskopfige Lokomotive betritt jetzt wirklich den Gewitterbahnhof. Alfred?

      Alfred drängt sich durch die Sperre. Der Beamte hält ihn auf. Die Karte bitte. Wenn der Automat keine Karte hat ... Unten in der Halle gibt es zwei Automaten. Da muss der Herr eben unten in die Halle gehen. Alfred schreit, dass er keine Zeit hat in die Halle zu gehen. Hier sind 20 Pfennig, hier sind 50 dazu. Er hinterlegt sie als Sicherheit. Der Beamte schreit, dass er nach seiner Vorschrift handeln muss und dass dort nichts von Hinterlegen drinsteht. Die Lokomotive ruckelt schwerfällig durch die Halle.

      Alfred hat versprochen, vor dem Zuge auf dem Bahnsteig zu sein. Er wird also vor dem Zuge auf dem Bahnsteig sein. Er tritt zehn Schritt zurück, er misst mit den Augen die Höhe des Bahnsteigzaunes. Wenn er hängenbleibt, ist es um den schönen hellgrauen Anzug geschehen. Gut – das ist dann die Bezahlung für Unpünktlichkeit. Also zehn Schritt Anlauf, ein Riesenschwung: ein hellgrau gekleideter Herr, Alfred Meimberg, Dr. jur., Rechtsanwalt an den Landgerichten, Notar, springt über den Zaun. Saust über den Bahnsteig, gefolgt vom Gelächter der Wartenden und vom Geschrei des eifrigen Schaffners.

      Alfred! Alfred! Barbara hat ihn springen sehen. Sie läuft ihm entgegen, und so treffen sie sich gerade in dem Augenblick, als die Lokomotive pustend bei den Postboten hält. Sie treffen sich, sie umarmen sich, als sei Barbara angekommen. Er ist noch zur rechten Zeit da. Es ist alles in Ordnung. Das Orakel lügt nicht. Die Ehe muss gut werden. Sie können der Tante Löpel von Löffelholz und der ganzen Hochzeit mit Fassung entgegensehen.

      4

      Tante Anna Schreiner geborene Löpel von Löffelholz sitzt mit ihrer Nichte in der Veranda. Sie trinken nach einem schlechten Vorfestessen einen guten Mokka. Frau Schreiner raucht kleine parfümierte Zigaretten, die sie einer Emailledose entnimmt. Eine Zigarette nach der andern. Tante Anna, der „Familienrichter“, hat ihr Urteil über Alfred Meimberg abgegeben. Jung, angenehm, nicht bedeutend genug für eine Schreiner und nicht reich genug, um das Manko an Bedeutung auszugleichen. Also eine ausgesprochene Liebesheirat. Weshalb hat Barbara unter tausend jungen Männern, die alle gleich hübsch, gleich tüchtig und gleich angenehm sind, gerade diesen einen Alfred Meimberg ausgesucht?

      Jeden andern Menschen, der diese Frage stellte, würde Barbara auslachen. Aber Tante Anna ist mit ihrem gesunden Menschenverstand und ihrem harten Witz die Autorität ihrer Kindertage. Ihr versucht sie es zu erklären. Dass sie nach einem schweren Arbeitsleben unter lauter Kranken einen gesunden einfachen und hellen Menschen brauchte. Dass sie nach einer Liebesenttäuschung mit einem bedeutenden, aber unübersichtlichen Mann diesen zuverlässigen Menschen haben wollte. Sie glaubt ausserdem nicht, dass Alfred Meimberg in seiner Art unbedeutend ist. Aber es kommt ihr auch nicht darauf an. Er ist auf alle Fälle ein echter Mann mit allen guten und ganz wenigen schlechten Eigenschaften der Männer.

      „Er ist reizend“, sagt Frau Schreiner, „gepflegt, hübsch und exakt. Aber du bist ein aussergewöhnliches Mädchen.“ Barbara schüttelt den Kopf. Sie will nicht aussergewöhnlich sein.

      „Wer gewöhnlich sein will“, nickt die geborene Löpel, „der ist es nicht. Die alte Exzellenz, der Staatsminister Löpel, setzte sich zu den Bierkutschern. Behauptete, dass er sich nur in der Kutscherkneipe wohl fühlte. War eben ein ungewöhnlicher Mensch mit der Sehnsucht nach dem Gewöhnlichen, und das ist besser als der gewöhnliche Mensch mit der Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen. Und reich werdet ihr auch nicht sein? Aber das macht wohl nichts. Ihr jungen Leute versteht ja sowieso nichts mit Reichtum anzufangen. Aber wie ist es mit seinen Beziehungen zur Regierung? Normal? Also keine?“

      „Du rätst mir also entschieden ab“, lächelt Barbara.

      „Nein“, sagt Frau Schreiner, „ich will dir nur klarmachen, wie das Leben wirklich ist, ausserhalb der sanften Luft eurer Krankenzimmer und der rosa Atmosphäre einer Verlobungszeit. Ich will dir die Riesenenttäuschungen ersparen, die jede Frau im Anfang ihrer Ehe hat.“

      Sie berichtet ausführlich, was sie in den ersten Jahren ihrer Ehe ausgestanden hat. Wenn sie damals gewusst hätte, was sie jetzt weiss ... Nun ja, sie hätte schliesslich ihren Otto, den dicken Schreiner, auch geheiratet, aber sie hätte nicht Dinge bei ihm gesucht, die unmöglich zu finden waren. Es ist also zum ersten entscheidend, mit welchen Erwartungen man eine Ehe anfängt. Zum zweiten muss man wissen, wer in der Ehe führen soll. Nach aussen natürlich führt der Mann. Immer. Wenigstens, wenn die Frau Takt und Würde hat. Aber in Wirklichkeit muss die Frau oft führen. Das darf der Mann allerdings nie merken. Er bestimmt. Aber was er bestimmt, das bestimmt die Frau. Klar? Nein? Barbara schüttelt den Kopf. Sie hat die letzten Aphorismen nicht mehr gehört. Sie denkt über etwas sehr Merkwürdiges nach.

      „Etwas sehr Merkwürdiges?“ fragt die Tante, ärgerlich, dass sie ihre gescheiten Aphorismen so unnütz wie Zigarettenrauch in die Sommerluft geblasen hat. „Etwas Merkwürdiges? Da bin ich ja gespannt.“

      „Ich habe heute meine erste Liebe getroffen“, sagt Barbara und nimmt sich eine der parfümierten Zigaretten. Die Tante wartet, aber Barbara spricht nicht weiter. „Du erzähltest vor Jahren davon“, nickt die Löpel. „Natürlich in Schreinerscher Manier. Ein Kaufmann aus China war’s oder so. Hattest sogar ein Bild von ihm. Hager, verkniffen, gescheit und reich ... Das war er doch ...?“

      „Ich war heute mit ihm in einem Café“, fährt Barbara fort.

      „Verabredet?“ fragt die Tante streng. „Am Tage vor der Hochzeit verabredet?“

      Barbara schüttelt den Kopf. „Nein, zufällig getroffen!“ Die Tante schlägt die Hände erregt


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