Die Liebe, die uns rettet. Walther von Hollander

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Die Liebe, die uns rettet - Walther von Hollander


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zusammenzuziehen, nur weil du dieses Wesen zufällig liebst.“

      „Komische Ideen hast du, Barbi“, wehrt Meimberg ab. „Man weiss doch, wen man heiratet, und man weiss, es ist ganz einfach.“

      „Gar nichts weiss man“, fällt Barbara ein, „und niemand weiss etwas. Sie tun nur alle so. Es ist nicht einfach.“

      „Liebe Barbi“, setzt Meimberg wieder an, „liebe Barbi ...“

      Aber man kann Barbara Schreiner nicht trösten. Sie ist kein kleines Mädchen. Sie ist achtundzwanzig Jahre alt, fünf Jahre Operationsschwester bei ihrem Vater gewesen. Sie hat an die zweitausend Operationen mitgemacht, zweitausend Schicksale miterlebt, komische und traurige, glänzende und armselige. „Liebe Barbi ...“ damit ist es nicht zu machen. Also wird Meimbergs Jungensgesicht nachdenklich. Er fährt sich mit dem Zeigefinger der linken Hand, wie immer, wenn er nachdenkt, durch den Scheitel des scharf an den Schädel gebürsteten hellen Haares und sagt schliesslich: „Also, wenn wir hier schon vor dem Richterstuhl stehen: Natürlich, Barbi, jeder Mensch hat ein bisschen Angst vor dem Heiraten. Vor allem jeder Mann. Deshalb heiratet man zehnmal nicht. Weil es nicht ganz notwendig ist, oder weil die Frau ein Tyrann ist oder ein Frauenzimmer oder eine Dame oder darum oder darum. Aber bei dir ist das alles eben nicht. Darum muss ich dich notwendigerweise heiraten und deshalb: Kopfsprung, los! Und ein bisschen Herzklopfen hat man vor jedem Kopfsprung, ob man ihn auch tadellos macht. Aber Angst ... Nee, Angst nicht.“

      „Wenn du Herzklopfen hast“, schliesst Barbara, „dann ist es gut. Dann wirst du es schon tadellos machen und ich auch. Wenn nur erst diese Heiraterei vorbei wäre.“

      „Ja, da habe ich dich auch noch allerlei zu fragen“, lacht Meimberg. „Hat aber nichts mehr mit Liebe zu tun, sondern nur noch mit Heiraten.“

      Und so sprechen sie denn über den Brautstrauss und welche der Brautjungfern Dr. Weppen, der eine Sozius, haben soll, und welche Dr. Kleesand, der andere Sozius, und wie man verhindern kann, dass die Tante Anna Schreiner, geborene Löpel von Löffelholz, mit Fräulein von Brettwitz über die Ahnen in Streit gerät, und wie man die alte Frau Meimberg recht gut setzt, damit sie trotz ihrer Schwerhörigkeit alles mithören kann, und wie ... und wie ... Es ist alles wirklich einfach. Sie werden den Tag über noch arbeiten oder Besorgungen machen. Und sie werden sich zum Abendessen bei Schreiners treffen, zum Polterabend, zu dem niemand eingeladen wurde, der nicht das Poltern abgeschworen hat, einschliesslich Brautkranzversen und Scherzaufführungen. Man wird mit ein paar Freunden und den notwendigsten Verwandten eine gewaltige Bowle leeren, ein kaltes Büfett aufessen, und um elf oder zwölf wird man alle hinauswerfen. Dann ist nur noch der Hochzeitstag zu überstehen, und dann kann man wieder machen, was man will. Sie hängen beide ganz getröstet ein, und während Dr. Meimberg sich vor dem Spiegel einseift und einen Filmschlager pfeift aus „Die Nacht zweier Herzen“ oder „Die Nacht der Liebe“ oder „Eine Nacht mit dir“ oder „Nachts mit dir allein“ oder „Nachts, nur nachts, mein Herz“ oder „Eine Nacht in Budapest mit dir“ oder „Pusstanacht ... Zigeunernacht“ oder „Schenk mir dein Herz in Wien bei Nacht“ (in Filmen gibt es einen Tag nicht mehr), währenddessen ist Barbara zu ihrem Vater in den Garten hinuntergegangen.

      Sie hat ihn am Moosrosenbeet gefunden, wo er einen kleinen Strauss von halberblühten Knospen abschneidet. Sie hat ihm ein paar besonders schöne Knospen entgegengebogen, und er hat mit einem kurzen Kopfnicken, einem Augenzwinkern gedankt, wie er bei den Operationen zu danken pflegte, wenn sie ihm die Messer, die Tupfer, die Nadeln entgegenreichte, wenn sie auch in ganz schwierigen Fällen gleich das richtige Instrument bei der Hand hatte. Vater und Tochter sind so in ihre Gedanken vertieft und in die gleichen, etwas wehmütigen Erinnerungen, dass der Moosrosenstrauch in der Hand des Professors immer grösser wird. Aber endlich ist es doch genug. Schreiner hat ein Stückchen Bast aus der Tasche gezogen, hat den Strauss zusammengebunden, und nun gibt er ihn mit einer kleinen Verbeugung an Barbara, seine Tochter. Die aber nimmt die Rosen mit einem befangenen Kopfnicken, die ersten Blumen, die der Vater ihr schenkt.

      Sie weiss, wieviel Liebe, wieviel Trauer, wieviel Gedanken und wieviel Wünsche mit diesem kleinen Geschenk verbunden sind. Das Moosrosenbeet hat die Mutter vor fünfunddreissig Jahren angelegt, gleich, als sie mit dem jungen Privatdozenten Schreiner in das kleine Haus in Lichterfelde einzog. Und seit sie tot ist, seit fünfzehn Jahren also, darf niemand an dem Beet irgend etwas arbeiten oder eine Rose abschneiden. Das macht der Professor alles selbst, und er hat bisher alle Blüten am Strauche aufblühen und welken lassen. Was Barbara in der Hand hält, ist also ein Gruss der Mutter, ihr Geschenk und ihr Segenswunsch. So meint es der Vater, und so nimmt sie es auf.

      Sie gehen schweigend ein paarmal um die Rasenplätze, sie stehen zwischen den Stangen des Teppichklopfers, sie beschauen sich ernst die verrosteten Schrauben der Kinderschaukel, das vermorschte Holz des Sandkastens. Mit einemmal steckt Abschied in jeder Ecke, Wehmut in jedem Winkel, ganz zu schweigen davon, dass man nicht nur zusammen gelebt hat, sondern auch zusammen gearbeitet, und dass der Vater deshalb jetzt nicht in seiner Arbeit den Verlust seines Zuhause wird vergessen können.

      Darüber schweigen sie nun miteinander, indem ihre Schritte gleichzeitig vor der Linde zögern, aus deren Wipfel die zornige Mutter ihre ungehorsame Barbara heruntergeschüttelt hat wie einen Apfel (es war ihr gar nichts geschehen, aber die Mutter war tagelang verstört, dass der Zorn sie immer noch besinnungslos machen konnte), indem sie an der „schlimmen“ Laube vorübergehen, der ganz zugewachsenen, verwucherten Laube, in die hinein Barbara den amtlichen Brief gebracht hat, dass der Bruder gefallen war, 1918, am 28. Oktober. Zwei ... drei Minuten, dann ist die Gedenkfeier vorüber. Man braucht nicht viel Zeit, sich zu erinnern.

      Dann stehen sie schon an den Stufen, die zur Glasveranda führen. Oben am gedeckten Frühstückstisch ist die Göttin des Alltags erschienen, Fräulein von Brettwitz, in einem schwarzseidenen Kleid von betonter Einfachheit, und ruft nach den beiden. „Na, also“, sagt der Professor, „dann mach das man auch so gut, wie du bisher alles gemacht hast. So ordentlich, so exakt, so sauber. Bist ein grossartiger Kerl.“

      Barbara nickt und springt die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Sie ist puterrot geworden wie ein kleines Mädchen, und ihre Augen glänzen wie die einer Klassenersten. Der Vater hat sie gelobt! Zum erstenmal. Er ist einverstanden mit ihr. Dann muss wirklich was an ihr dran sein. Denn er findet sonst das Aussergewöhnliche gerade ausreichend und das durchschnittlich Gute nicht weiter erwähnenswert. Wenn aber etwas an ihr dran ist, dann wird sie auch die Ehe, diese Ehe mit Alfred Meimberg, gut und richtig führen, nein, sehr gut. Denn auch sie findet, dass das Durchschnittliche nicht genügt, dass die durchschnittlichen Ehen zum Beispiel keine Anstrengung und kein Opfer wert sind.

      Noch ein Telephongespräch mit Alfred Meimberg. Sie möchte ihn gern am Kurfürstendamm treffen. Sie möchte wenigstens die paar Reisesachen mit ihm zusammen kaufen. Aber Alfred hat wirklich keine Zeit. Steht gerade und wartet auf seinen Wagen. Muss zum Termin, studiert noch am letzten Aktenzipfel und hat am Vormittag ausserdem drei Konferenzen und eine notarielle Verhandlung. Barbara muss also allein kaufen.

      Gut, gut! Oder vielmehr schlecht, schlecht. Barbara hat das Gefühl, dass man sich zur Herzstärkung vor dem Auftreten als Brautpaar noch einmal sehen sollte. Ihr ist, als wäre das nötig. Aber wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht. Sie hat genug Einblick in wirkliche Arbeit und genug Achtung vor Arbeit. Sie wird also allein einkaufen. Wird um halb zwölf die Tante Anna Schreiner, geborene Löpel von Löffelholz, von der Bahn abholen, um vier einen Besuch bei Mutter Meimberg machen, um fünf bei Sophie Wahnke zum Mädchenabschiedskaffee sein, und um sechs wird sie zu Hause eintreffen, wo um sieben der offizielle Teil der Festlichkeiten beginnt. Man braucht also nichts zu tun zu haben, um den ganzen Tag bis zur Atemlosigkeit besetzt zu sein. Adieu ... adieu ... Adieu, adieu ...

      Um acht Uhr dreissig verlässt der Professor Schreiner mit seiner Tochter die Villa in Lichterfelde. „Machen Sie es nur, wie Sie es für richtig halten, Brettwitz“ ruft er zurück, „ein Blankoscheck liegt auf dem Schreibtisch, und die Schlüssel haben Sie ja alle. Nein, ich weiss nicht, wieviel eine Hochzeit kosten muss. Seien Sie aber bitte barmherzig. Sehr grossartig sind wir es ja nicht gewöhnt.“

      Die Brettwitz zuckt ergeben die Achseln. Sie geht langsam ins kühle, dämmrige Haus zurück, setzt sich ans Telephon und bestellt, bestellt


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