Die Liebe, die uns rettet. Walther von Hollander

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Die Liebe, die uns rettet - Walther von Hollander


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einem angenehmen Laubschatten. Sie grüssen viel in die Gärten hinein. Sie kennen beinahe jeden Menschen dieser Berliner Kleinstadt, und sie kennen auch jeden Chauffeur an der Ecke. „Heute ist Böckau dran“, sagt der Professor, und da steht auch schon der Chauffeur Böckau ein wenig abseits von den andern Wagen mit seinem Wagen, hat den Wagenschlag geöffnet und die Mütze abgenommen. Es sind vier Mark achtzig bis zur Klinik zu verdienen und zwanzig Pfennig Trinkgeld. Eine gute Sache, in die sich wechselnd vier Chauffeure teilen.

      „Morgen, Böckau“, sagt der Professor und nimmt aufseufzend Platz, und Barbara setzt sich rechts neben ihn. Es ist alles wie immer. Die Strassen, der Sommer, die Menschen, die Schweigsamkeit des Vaters. Wie er halb im Auto liegt, die eine Hand an der Quaste des Halteriemens, den Kopf mit den ziemlich kurz geschnittenen weissen Haaren hinten übergelehnt, die Augen halb geschlossen. Heute endlich begreift Barbara, dass der Vater sich jetzt entspannt, dass er jetzt Kraft sammelt, dass hier das Geheimnis seiner Leistungsfähigkeit liegt, der Grund, warum er so frisch in der Klinik ankommt und so frisch zu Hause. Komisch ... Sie hat das fünf Jahre gesehen, und am letzten Tag begreift sie es. Wie schwer lernt man von seinen Eltern!

      2

      Am Zoo biegt eigentlich der Weg des Professors vom Weg der Tochter ab. Aber an diesem Tag bringt er sie noch bis zum Wittenbergplatz. Er spricht sogar das letzte Stück ein bisschen mit ihr. Ob sie wirklich alles hat, was eine Braut aus gutem Hause zu haben hat, einschliesslich Kranz, Schleier und Myrte? Ob sie sich nicht doch noch einen Koffer kaufen muss? Nein, dankt Barbara, sie hat eigentlich alles. Höchstens wenn ihr der Vater zur Hochzeit ein anständiges Tennisrakett schenken will. So? Er muss also ein Hochzeitsgeschenk machen? Donnerwetter, ganz vergessen. Etwa dem Alfred auch? Nicht dran gedacht. Und Brettwitz, die ansehnliche Dame mit dem Eigenkapital, hat ihm auch nichts gesagt. Vielleicht kann er einfach zwei Rackets schenken? Ja? Wäre richtig? Na also. Dann wird Barbara die Freundlichkeit haben, das zu besorgen.

      Der Wagen fährt gerade sehr langsam. Denn er ist eingekeilt zwischen zwanzig andere Wagen, in denen andere Berufsmänner sitzen. In diesem Augenblick winkt jemand vom Gehsteig. Ein Herr in einem gelbweissen Anzug aus grobem Stoff. Er ist gross, ziemlich dürr. Etwas eingetrocknet, ein adlerköpfiger Mann ... ja, natürlich: adlerköpfig. Denn die sehr scharfen braunen Augen beherrschen das Gesicht, das eine grosse kühne Nase hat, einen kleinen Mund und ein kurzes spitzes Kinn. Er hebt den weissen Sommerhut, einen sogenannten Panama, wie man ihn in Berlin selten trägt, von einem ziemlich kahlen, aber schön geformten Schädel. „Tag, Professor“, ruft er „Tag, Professor Schreiner ...“

      Der Professor Schreiner richtet sich in seinem Auto ein wenig auf. Er sieht den Herrn auf der Strasse an, der vielleicht zehn Schritt vom Auto entfernt steht, getrennt durch zwei andere Wagen. Er greift an seinen Hut. Er kennt den Fremden. Das ist ... warte mal ... das war ein Fall von Darmkrebs ... eine einfache glatte Sache. Gutartig noch. Im Anfangsstadium. Wollte Gott, man kriegte viele solche Fälle zu sehen. Ein billiger Erfolg. Man wird viel zuviel bedankt. Kann jeder Stümper operieren. „Tag, Herr Rauthammer“, sagt Schreiner. Denn da hat sein wunderbares Gedächtnis auch noch den Namen hervorgeangelt.

      Auch Barbara hat gegrüsst. „Tatsächlich, Rauthammer“, sagt sie überrascht. „Tag, Herr Rauthammer.“

      Das Auto ruckt. Böckau, der Chauffeur, bekommt endlich freie Fahrt und zischt davon. „Rauthammer“, versucht Schreiner diesen Fall zu beenden. „Du wirst dich noch erinnern. Hatte ziemlich verrückte Ideen. Vom Willen, der die Welt aus den Angeln hebt. Na, Gott sei Dank, kann das keiner von denen, die es zu können glauben. Würde sonst toll schaukeln, unsere gute Welt. Also, adieu denn, mein Kind. Da ist der Wittenbergplatz. Ich komme pünktlich um sieben Uhr. Der letzte Patient ist zu vier Uhr bestellt. Tchö ...“

      Da steht also Barbara Schreiner auf der Tauentzienstrasse, in ihrem hellgrauen Leinenkostüm mit einer rotweissgewürfelten Bluse, einem hellroten Hut, den eine kleine Teufelsfeder schmückt ... steht vor einem Photographengeschäft, und da fällt ihr ein, dass sie auch kein richtiges Hochzeitsgeschenk für ihren Mann hat. Eine wunderbare Familie, die Schreiners! Vergessen alles. Sie sieht im Schaufenster einen winzigen Apparat, den wird sie kaufen und Alfred schenken. So etwas wünscht er sich lange, und man muss doch „für später seine Erinnerungen“ haben, wie? Sie geht also schnell in den Laden und lässt sich viele kleine Apparate vorlegen und erklären. Aber sie gefallen ihr alle nicht. Es gefällt ihr nur ein ziemlich teurer Apparat. Mittelklein, ausgezeichnet. Man kann damit vierzig Bilder hintereinander aufnehmen. Sie zögert eine Weile. Sie steht in der Tür des Photographengeschäfts und sieht durch den Sucher die Strasse an, die sommerlich bunte, lustige Tauntzienstrasse. Sie findet grade, dass das Leben in der Stadt seine besondere Schönheit und Farbe hat und dass die Städter eigentlich jetzt auch ein bisschen stolz werden sollten auf die besondere Art ihres Lebens. Sie blinzelt einem Auto nach, das fast wie Alfreds Auto aussieht. Es ist aber die Type vom vorigen Jahr, ohne Heckmotor und Stromlinie ... es ist ... weg ist es, und an seine Stelle tritt ein Mann ins Bild, der Mann mit dem Panamahut und dem gelbweissen Anzug aus sehr grober Wolle ... Rauthammer.

      Barbara zuckt zusammen. Sie geht schnell in das Dunkle des Ladens. Sie lässt sich die Vorzüge des teuren Apparates genau auseinandersetzen. Sie spricht ausführlich über die Zahlungsweise, obwohl der Vater es nie dulden würde, dass sie irgend etwas kauft, was nicht sofort bezahlt wird. Sie kauft den Apparat. Sie hat sich noch ein paar hundert Mark vom Gehalt gespart. Alfred wird sich bestimmt freuen. Bitte gegen Abend schicken ... Hier die Adresse, eine kleine gummierte Adresse aus einem Block, der noch fünfzig Barbara Schreiners enthält. Gibt’s nun bald nicht mehr. Aus mit der Barbara Schreiner.

      Sie taucht also zehn Minuten später aus dem dunklen Laden auf, ein wenig geblendet. Es ist halb zehn, wie sie drüben an einer Uhr sieht. Sie hat also noch eine Menge Zeit. Sie wendet sich nach der Gedächtniskirche hinunter und steht vor Rauthammer, der lachend den Hut gezogen hat.

      „Guten Tag“, sagt Rauthammer, „also da hätte ich Sie doch noch heute ...“

      „Guten Tag“, antwortet Barbara tapfer und gibt ihm die Hand.

      „Famos“, fährt Rauthammer fort und setzt seinen Panama zurecht, „mein Glück hat mich noch nicht verlassen. Hätte Sie allerdings spätestens heute angerufen. Sie wohnen noch draussen in Lichterfelde, wie? Oder ich wäre einfach in der Klinik vorbeigekommen.“

      „Ich arbeite nicht mehr in der Klinik“, lächelt Barbara.

      Jetzt ist Rauthammer erstaunt. „Sie arbeiten nicht mehr in der Klinik? Das war doch keine Arbeit, die man einfach hinlegen kann. Was macht Ihr Vater denn ohne Sie? Was tun Sie denn den ganzen Tag. Nein, es ist ganz unmöglich!“

      Barbara zeigt auf ihre Pakete. „Was ich tue? Genau das, was andere Frauen auch tun. Besorgungen ... Einkäufe ... Friseur ...“

      Rauthammer lacht sein heftiges, klangloses Lachen. „Unsinn“, lacht er. „Sie sind nicht wie andere Frauen und schon gar nicht wie irgendwelche andere Frauen.“

      „Mag sein“, sagt Barbara ärgerlich und bricht ab. Sie wünscht keine langen Unterhaltungen mehr mit Herrn Rauthammer. Sie hat damals genug mit ihm über die Welt, über das Leben und über Barbara Schreiner gesprochen. „Vielleicht“, meint sie, „bin ich doch wie andere Frauen.“ Sie streckt ihm die Hand hin. Sie will über die Strasse weg in das Delikatessengeschäft auf der anderen Seite. „Auf Wiedersehen!“ Aber Rauthammer sieht ihre Hand scheinbar nicht.

      „Es sind fast fünf Jahre“, fährt er leise fort, „nein mehr, vor fünf Jahren im März wurde ich von Ihrem Herrn Vater als geheilt entlassen. Er hat übrigens recht gehabt. Ich bin kerngesund seitdem. Ich hätte es nicht für möglich gehalten ...“

      Pause. Barbara ist zu ihrem Erstaunen nicht über die Strasse auf das Delikatessengeschäft losgegangen, sondern geht neben Rauthammer her. Sie sieht aufmerksam den langen, dürren Schatten des Mannes an, über dem wie ein Pilz der Pyramidenschatten des Hutes schwebt. Sie sieht den Schatten mit einem dicken Bambusstock gestikulieren. Sie hört seine Stimme, eine Schattenstimme, eine etwas heisere, aber angenehm klingende Stimme. „Gestern bin ich angekommen“, sagt die Stimme, „nein nicht lügen: vorgestern. Wohne hier am Zoo. Ja gleich drüben im Hotel. Sehr bequem. Angenehm


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