Die Liebe, die uns rettet. Walther von Hollander

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Die Liebe, die uns rettet - Walther von Hollander


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also doch. Sie war also doch bei Ihnen. Ich dachte es mir.“

      Barbara nickt. Sie macht ihre Hand los. Sie geht an Rauthammer vorbei auf die Strasse. Sie hört ihn noch sagen: „Jetzt wird mir manches klarer. Nur nicht, warum Sie ihr geglaubt haben. Nein ... das müssen Sie mir noch erzählen.“ Und indem er noch ein paar Schritte hinter ihr hergeht: „Wir sehen uns noch vor Ihrer Abreise. Unbedingt. Sagen Sie mir, wann ich Sie sehen kann ...“

      Barbara bleibt stehen und sieht ihn böse an. Sie schüttelt abwehrend den Kopf. Er muss doch sehen, dass sie ganz und gar nicht mehr will. Ewige Liebe? Unsinn ... das war keine Liebe. Das war ... das war Lüge ... und Betrug ... das war ...

      Sie dreht sich um und geht ganz schnell weg. Sie läuft beinahe. Sie läuft an einem grossen Kino vorbei. Sie sieht die riesigen Plakate verschwimmen. Durch ihre Tränen lächelt eine geschminkte Dame aus Hollywood. Barbara weint. Aus Schmerz, aus Zorn ... oder doch aus Liebe? Sie weiss es selbst nicht.

      3

      Zehn Minuten später scheint alles ausgestanden. Barbara hat sich in die dunkle Ecke eines andern Cafés geflüchtet. Draussen vor den offenen Scheiben blendet der Berliner Sommertag. Farbig, hell, lärmend.

      Barbara prüft sich ruhig und sachlich. Spürt sie noch etwas? Ja, ein bisschen Herzklopfen. Ist nicht merkwürdig. Sie hat Rauthammer ja geliebt. War natürlich ein grober Fehler, das zuzugeben. War aber anständig. Und in Gefühlsdingen wollen wir doch anständig sein. Nobel, sehr sauber, peinlich genau wie bei Operationen. Sie weiss doch, was für entsetzliche Folgen die geringste Nachlässigkeit haben kann. Also bitte sauber!! Mag er ruhig bestätigt kriegen, was er sowieso gewusst hat. Obwohl es eben doch eine Frage ist: Hat sie ihn wirklich geliebt?

      Sie sieht wieder das enge kleine Zimmer in der Klinik mit dem Blick auf den Stamm einer Pappel, mit einem Stück Himmel, der begrenzt war von einem Fabrikschornstein und einem Balkon. Es war der Februar in jenem kalten Winter, in dem irgendwo die Kohlenkähne für Berlin einfroren, in dem im Kohlenkeller des Krankenhauses noch für einen Tag Kohlen waren und der Vater wirklich aufgeregt wurde, saugrob mit einigen Ministerien und Behörden telephonierte, man solle lieber ein Finanzamt oder ein paar Schulen zumachen, ehe man seine Kranken erfrieren liesse.

      Damals war Barbara noch Pflegeschwester ... Die meisten Männer waren etwas in sie verliebt. Ist ja klar: wenn man das Leben wiederkommen spürt, oder den Tod herannahen fühlt, wird man „gefühlig“. Eines Tages aber hatte sich die Schwester Barbara auch in einen Patienten verliebt, in den Kaufmann Karl Rauthammer aus Schantung, China. Warum?

      Barbara weiss es nicht mehr genau. Wahrscheinlich fühlte sie sich doch geehrt, als sie merkte, dass sie in diesem kalten Menschen, in dem witzigen, welterfahrenen Mann ein Feuer anzündete. Es war also im Anfang eine ganz durchschnittliche Geschichte. Wurde nur langsam gefährlich. Abend für Abend sass Barbara an seinem Bett. Zwischen Hitze und Kälte. Denn die Heizung funktionierte natürlich. (Schreiner hatte die Kohlen bekommen, die er brauchte, selbstverständlich.) Aber das Fenster musste immer aufstehen. Denn Rauthammer litt unter Beengungen. War die weiten gelben Ebenen gewöhnt, die weiten offenen Zimmer, den ganzen Sternenhimmel nachts ... Heiss und kalt war dieser Februar. Er verlangte eine grossartige Liebe von ihr, eine Liebe, die so stark sein sollte wie alle andern Mächte der Welt zusammen. (Sonst würde man nicht mit ihr durchkommen, sonst hätte sie keinen Zweck.)

      Barbara denkt an jenen Abend, da er sie bat, mit nach China zu gehen, in jene Welt, „in der noch tiefe Gedanken und grossartige Gefühle soviel gelten wie die Wirklichkeit der Europäer“. Da er ihr sprach von „den arktischen Zonen der reinen Gedanklichkeit, in denen man erst das freie Atmen lernt und die man beherrschen muss, ehe man es wagen darf, die tropische Gefühlswelt wuchern zu lassen“.

      Barbara, die jetzige Barbara, wundert sich, dass sie damals unter diesen betäubenden Gedanken wach blieb. Vielleicht aber weckte sie auch der Vater. „Nein ... nichts für dich“, sagte der Professor eines Tages, als er mit ihr zusammen das Zimmer Rauthammers verliess.

      „Was ist nichts für mich?“ fragte Barbara. Aber der Vater hatte bereits die Tür zum nächsten Krankenzimmer aufgerissen, stand, ehe er hätte antworten können, über einen anderen Patienten gebeugt.

      Hat sie Rauthammer nun geliebt? Sie kann es nicht entscheiden. Die Zärtlichkeiten dieser Liebe sind schnell aufgezählt. Es waren erstens ein Handkuss, den er ihr unvermutet gab, und zweitens ein Kuss auf die Stirn, den sie ihm gab. War das Liebe? Sie kann es nicht entscheiden. Aber sie kann eine Art Orakel anrufen. Wenn z. B. zwischen ihr und Alfred Meimberg eine wirkliche Liebe ist – und davon ist sie fest überzeugt –, dann muss er jetzt mit seinem Termin gerade fertig sein. Dann muss sie ihn im Anwaltszimmer erreichen können, dann muss er zwischen seinen Besprechungen zehn Minuten Zeit aufbringen, um sie irgendwo doch noch zu treffen. Ist das zu kindlich? Richtig ist es, ganz richtig!

      Sie geht also in die Telephonzelle. Sie steht in der Hitze und im Dunst der schlechten Zigaretten, die immer in den Polsterzellen geraucht werden. Sie bekommt sehr schnell das Landgericht, das Anwaltszimmer, sie bekommt Dr. Kleesand, den Sozius. „Nein, nein“, sagt Kleesand, „der werte Bräutigam ist noch im Termin. Nichts auszurichten? Nun, die werte Braut kann ja ab übermorgen mit dem Herrn Meimberg alles ausführlich besprechen. Genügt nicht? Sie brauchen ihn gleich? Also gut, dann werde ich vertagen.“

      In diesem Augenblick fegt Dr. Alfred Meimberg in seiner Robe ins Anwaltszimmer. „Schweinerei“, flüstert er Kleesand zu. „Vertagt. Ist Quatsch, was der Gegner vorbringt. Aber wir müssen beweisen, dass es Quatsch ist.“

      „Herr Doktor Meimberg selbst“, sagt Kleesand in den Apparat.

      Zum drittenmal an diesem Vormittag ist die Stimme Alfred Meimbergs am Apparat. Aber dieses Mal ist es wichtiger und schöner als die anderen Male. Was er sagt? Nichts Besonderes natürlich. Dass er gerade einen grossen Ärger schluckt, wegen einer kleinen Niederlage. Der andere war schlauer, und er, Meimberg, hasst diese Art juristischer kniffliger Schläue. So betrachtet, ist er kein guter Jurist. Also dreimal ausgespuckt und zweimal umgedreht. Fertig ist die Sache. Er wird sich nun in die Besprechungen stürzen. Adieu also. Ach richtig, sie wollte wohl auch etwas sagen? Sie muss ihn sprechen? Dringend? Mächtig dringend? Er hat wirklich keine Zeit bis abends. Duldet denn die Sache tatsächlich keinen Aufschub? Also was heisst das: doch und doch nicht. Das heisst doch: doch. Also: es ist jetzt elf Uhr. Um 11 Uhr 45 muss er im Büro in der Kurfürstenstrasse sein. Um 11 Uhr 15 ist eine ganz kurze Besprechung am Potsdamer Platz. Wie bitte? Um 11 Uhr 35 holt Barbara die Tante Anna Löpel von Löffelholz auf dem Anhalter Bahnhof ab? Passt. Er wird um 11 Uhr 30 auf dem Bahnhof sein und steht ihr von 11 Uhr 30 bis 11 Uhr 35 zur Verfügung. Genügt? Genügt lange? Na, geht in Ordnung. Was muss sie tun? Sie muss ihm in die Augen sehen? Bitte, bitte. Sie muss ihm eine Kleinigkeit erzählen, eine Kleinigkeit, die an Herz und Nieren geht? Na, da sind wir ja gespannt auf die Kleinigkeit. Aber nun Schluss. Adieu. Wiedersehen.

      Barbara kommt erschöpft aus der Telephonzelle. Sie geht noch hinüber zur Gedächtniskirche, um mit dem Küster die Trauung zu besprechen. Es ist aber gar nichts zu besprechen. „Alles in allerbester Ordnung“, lacht der Küster. „Sie werden sehen, es wickelt sich alles ganz von selbst ab. Und mit einemmal ist man verheiratet. Kann jeder.“ „Kann jeder“, lacht Barbara, „wickelt sich von selbst ab.“

      Die Sonne scheint wunderbar. Es ist sehr heiss. Fast alle Frauen tragen leichte, helle Kleider. Ein paar Männer sind in Hemdsärmeln erschienen, in weissen Hosen, in hellen Anzügen. Erdbeerwagen mit Zentnern rotlackierter Erdbeeren, Kirschwagen mit roten und schwarzen Kirschen stehen in den Nebenstrassen. Rosen blühen, Waschkörbe voll, an den Rändern des Gehsteigs. Stadtsommer! Und auf der anderen Seite, in den Schaufenstern, stehen sommerliche Puppen, riesige Puppen in Damengrösse, in Bademänteln, in sehr engen, weitausgeschnittenen Badeanzügen, Puppen in Herrengrösse mit Pomadenscheiteln, in Tennisanzügen. Rucksäcke gibt’s in einem Schaufenster, nur Rucksäcke, Autokoffer, zweihundert Autokoffer in einem anderen, fünfhundert Reisenecessaires in einem dritten, Kochgeschirre und Nagelschuhe, Reisemützen und Wettermäntel, Sandgeräte und Springschnüre für kleine und grosse Kinder, ein paar tausend Bälle in allen Grössen, in Trauben, als Früchte, als Hindernisse ... alles, was man zur Reise braucht. Alle


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