Die Liebe, die uns rettet. Walther von Hollander

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Die Liebe, die uns rettet - Walther von Hollander


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„das werden wir schon richtig hinkriegen.“

      6

      Es ist alles in Ordnung, draussen in Lichterfelde. Selbstverständlich. Denn die Brettwitz hat für alles gesorgt. Alles in Ordnung, bis auf die Hauptpersonen, und die kann die Brettwitz ja nicht aufstellen, garnieren, kochen und arrangieren, wie die Getränke, die Speisen, die Blumen. Der Professor kommt zwar noch leidlich pünktlich um viertel nach sechs. Aber er zieht sich lange um. Er hat schon wieder zwei Gespräche mit der Klinik gehabt, und die Brettwitz muss verbinden. Er hat es ausdrücklich so angeordnet. „Auch heute?“ hat sie gefragt. Und der Professor: „Leider nimmt der Tod auf Polterabende keine Rücksicht, Brettwitz.“

      Barbara kommt um dreiviertel sieben angestürzt. Ist aufgeregt und abweisend. Wird von Sophie Wahnke, die doch auch kommen soll, nochmal angerufen, spricht sehr laut mit ihr. Auch der Bräutigam ist, wie wir wissen, um dreiviertel sieben, ja um sieben noch nicht vorhanden. Die Brettwitz muss die Tante Anna Schreiner zur Hilfe heranziehen. Denn schon kommen die ersten Gäste, Assistenzarzt Dr. Werkmann mit Frau, und Otto Schreiner, Tante Annas Mann, im Frack, obwohl sie ihm ausdrücklich gesagt hat, Smoking am Polterabend, Frack bei der Hochzeit.

      Schreiner spricht sofort auf den Assistenzarzt ein, über die Fragen des japanischen Dumping und der englischen Abwertung. Dass die Neger in Afrika nur noch japanische oder zur Not englische Nadeln beziehen können. Denn sie verdienen, in Gold gerechnet, den fünften bis zehnten Teil dessen, was sie noch vor fünf Jahren verdienten. Und ob Dr. Werkmann sich einmal darüber den Kopf zerbrochen hat, wie man zu einer vollkommen stabilen Währung kommen könnte, ohne die völlig veraltete Goldgrundlage.

      „Produzieren Sie Gold“, fragt er „oder produzieren Sie Werte? Wie? Na, also, wenn Sie Werte produzieren (der Assistenzarzt hat aber gar nichts gesagt. Er produziert seiner Meinung nach nichts. Er flickt mit seinem Chef zusammen die Kranken einigermassen zurecht, und er und Professor Schreiner sind sich nicht klar darüber, ob das nun eine produktive Arbeit ist oder nicht) ... wenn Sie Werte produzieren, so können wir auch nur auf Wertbasis rechnen. Wenn wir aber Goldbasis haben, bei Werteproduktion, so kann das nur schief gehen. Das ist doch klar. Wenn das aber klar ist, so begreift man nicht die Regierungsbanken, die immer noch ...“

      Mitten in diesem Satz erscheint der Bräutigam am Arm seiner Mutter. Tante Anna und Fräulein von Brettwitz bemühen sich um die Generalmajorin, entschuldigen Hausherrn und Braut. „Aber es macht nichts“, sagt Frau Meimberg, „der Herr Professor ist selbstverständlich entschuldigt.“

      Gemeinsam treten Dr. Weppen und Dr. Kleesand auf. Sie sind mit gleich grossen Rosensträussen bewaffnet, und Dr. Kleesand hat sich erlaubt, eine Konfektschachtel in Wagenradgrösse mitzubringen. Die Rechtsanwälte stehen nun mit ihren Gaben vor Tante Anna und Fräulein von Brettwitz. Sie sehen sich suchend nach Professor Schreiner um. Gott sei Dank, da kommt er. Er ist wie immer unbefangen und ein bisschen ungeschickt. Er gibt jedem der Gäste die Hand. Dann kümmert er sich um niemanden mehr, sondern spricht mit der Generalin über Rosenzucht. „Wo bleiben eigentlich unsere beiden?“ fragt schliesslich Frau Meimberg. „Ich fürchte fast, dass die Gäste sie vermissen werden.“ Der Professor zuckt die Achseln.

      „Unsere beiden“ stehen oben in Barbaras Zimmer im Rahmen des Fensters.

      „Gut, dass du heraufgekommen bist“, sagt Barbara leise. „Ich habe das mit aller Kraft gewünscht. Ich war schon zehn Minuten ganz fertig. Die Brettwitz hat dreimal bei mir geklopft. Siehst du eigentlich, dass ich geschminkt bin? Nein? Ich bin aber geschminkt. Ja. Ich wollte also, dass du heraufkamst, und da bist du. Du gehorchst meinen Gedanken wirklich wunderschön.“

      Alfred antwortet: „Du bist mal wieder hübscher als jemals. Rosa steht dir grossartig. Vom Schminken habe ich wirklich nichts gemerkt. Bist du froh? Ich bin mächtig froh. Aber du hast einen Schatten in den Augen, einen ziemlich grossen Schatten.“

      „Das sieht man?“ fragt Barbara erstaunt. „Du siehst es? Ich muss dir noch etwas erzählen. Etwas Merkwürdiges, beinahe Unbegreifliches.“

      „Wir wollen es aufschieben“, sagt Alfred, „wir haben ja Zeit. Mächtig viel Zeit, denk mal.“

      „Das wird gut sein“, lächelt Barbara, „und jetzt ist vielleicht wirklich nicht der richtige Augenblick zum Aussprechen. Ausserdem werden wir uns dann besser kennen.“

      „Obwohl wir uns doch eigentlich sehr gut kennen“, lacht Alfred, „findest du nicht?“

      „Ziemlich gut“, sagt Barbara, „vielleicht wirst du sogar noch Geduld mit mir haben müssen.“

      „Wenn du nur keine Angst hast“, sagt Alfred, „dann werden wir die ganze Sache überhaupt grossartig machen.“

      „Ich habe keine Angst“, sagt Barbara leise, „ausser ... ausser ... ja höchstens ausser vor mir. Das verstehst du doch.“

      Meimberg schüttelt den Kopf. Nein, er versteht das durchaus nicht. Er will es auch nicht verstehen. Das sind Dinge, nicht wahr, die haben früheren Generationen das Leben verdunkelt. Fragen, über die sind die alten Herrschaften gestolpert. Nicht sosehr seine Eltern als die Zwischengeneration, die Kriegsteilnehmer. Das waren gewiss wackere Leute. Aber vor lauter Schwierigkeiten haben sie die Leichtigkeiten des Lebens nicht mehr gesehen.

      „Darüber werden wir noch viel sprechen müssen“, sagt Alfred, „das ist eins der wichtigsten Themen. Aber nicht heute. Heute ... heute wollen wir uns wahnsinnig freuen. Nichts weiter. Klar?“

      Einerlei, ob es nun klar ist oder nicht (und natürlich ist es noch durchaus nicht klar), sie können ihr Gespräch nicht fortsetzen. Denn jetzt erscheint nach heftigem Klopfen Tante Anna von Löpel, verheiratete Schreiner, in der Tür. Sie schüttelt den Kopf. „So“, sagt sie, „da seid ihr. Na, sehr schön. Unten ist es kolossal anregend. Mein lieber Schwager betrachtet mit der Brautmutter die Rosenernte, mein Mann verhandelt über die Goldwährung, und meine Nichte erscheint der Einfachheit halber gar nicht. Ihr glaubt wohl, das Fest ist für euch da. Irrtum, meine Lieben. Heiraten ist ein Vergnügen für die andern.“

      *

      Zehn Uhr. Die Gäste trinken Erdbeerbowle und Kognak. Erdbeerbowle und Schwarzwälder Kirschwasser. Es riecht nach Rosen und Zigarren. Die feindlichen Fronten der beiden Familien mit ihren Freunden lockern sich. Oberst von Pritzke zum Beispiel bricht in die Schlachtlinie der Fremden ein und macht der Braut den Hof, der Schwiegertochter seines verstorbenen Freundes Meimberg, dann ihrer Freundin Sophie, dann der Amtsrichterin Wehmeyer. Otto Schreiner, der alte Demokrat mit der achtundvierziger Tradition, hält der Generalmajorin seine Faust unter die Nase als Beweis, dass die Monarchen „denkbar ungeeignet“ sind, ein Volk wahrhaft glücklich zu machen. Aber Frau Meimberg hält ihre kleine zarte Damenhand abwehrend über die Riesenfaust und schirmend über die Monarchen.

      Da das „Alter“ unbedingt aus den Zuschauersesseln auf die Tanzbühne gezogen werden soll, macht man eine Polonäse durch den Garten, zwischen den Bäumen, die als zartzackige Silhouetten aus der Nacht geschnitten sind, unter Sternen, die in der warmen Dunkelheit flirren. Kleesand, der birnenköpfige, immer etwas verlegene Kleesand, hat einen riesigen Korb mit Feuerwerk mitgebracht, das er mit gütiger Erlaubnis abbrennt. Sonnenräder, die sich knallend drehen, Monde, die lautlos bunte Kugeln speien, Springbrunnen von Gold und Silber, vielfarbige Kugelfontänen, hoch über den Häusern verzischende Raketen (unter deren Schein man die Köpfe neugieriger Nachbarn rings in allen Fenstern aufgereiht sieht), und schliesslich Leuchtschirme, die – wie im Krieg – langsam und friedfertig, fremdartige Nachtblumen, über dem Garten dahinschaukeln. Es kennen aber unter allen Anwesenden nur Dr. Werkmann und der dicke Otto Schreiner den Krieg. Sie allein werden an die Schützengrabennächte erinnert. Aber sie sagen nichts.

      Zum Schluss kriegen alle Damen Sprühregen in die Hände gedrückt und müssen sie auf Kommando anbrennen. Es sieht reizend aus, wie sie alle dastehen, mit vorsichtig abgewandten Gesichtern, voll Furcht, die guten Kleider zu verbrennen oder selbst in die Luft zu fliegen: die weisshaarige Frau Meimberg, Tante Anna Schreiner mit zu Röllchen gebrannten grellblonden Haaren, Barbara mit den halblangen braunen Haaren, sehr ihrer Mutter ähnelnd, da sie die Augen geschlossen hat, Sophie Wahnke, die Lehrerin,


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