Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt. Хэлли Рубенхолд
Читать онлайн книгу.Kupplerinnen jener Zeit immer auf der Suche nach einem verheißungsvollen jungen Blut, aus dem sich ein Champion formen ließ. Zur gleichen Zeit, da Mrs. Ward hohe Summen investierte, um ihre Tochter gut vorbereitet ins Rennen zu schicken, zogen andere Zuhälterinnen eigene Favoriten heran. Als Charlotte antrat, hatte sich Fanny Murray bereits als die Mätresse von Beau Nash, dem amtierenden Zeremonienmeister von Bath, einen Namen gemacht. Ihre größte Rivalin schien gleichwohl Lucy Cooper zu sein.
Wie Charlotte war auch sie die Tochter einer Kupplerin und in den Schoß eines Hurenhauses hineingeboren; allerdings fehlte im Falle Lucys eine ähnlich ambitionierte Zukunftsperspektive. Hätte die Natur sie nicht mit überwältigender Schönheit ausgestattet, sie wäre wohl zusammen mit all den anderen Damen, die mit ihr unter dem Dach des zweitklassigen Etablissements ihrer Mutter hausten, in der Versenkung verschwunden. Es ist nur dem Weitblick von Elizabeth Weatherby, einer der »Kuppelkoryphäen« von Covent Garden, zu verdanken, dass Lucy rundum aufpoliert und groß herausgebracht wurde: in ihren frühen Teenagerjahren das neueste Hochglanzprodukt für die Welt der Edelprostitution. Auch wenn sie als die »Vollkommenste ... unter den großen Sünderinnen« und als auf verführerische Weise »unzüchtiger denn all die Huren aus der Regentschaftszeit von König Charles« gerühmt wurde, gelang es Lucy nicht, jenen anhaltend wirkenden Zauber zu verströmen, der Charlottes Licht fortdauernd erstrahlen ließ. Lucy und Mrs. Weatherby, die als eine Art »Manager und Mutter«-Figur fungierte, stritten sich oft und heftig. Als sie beschloss, die Ratschläge ihrer Kuppelmutter in den Wind Zu schlagen, war Lucys Glück aufgebraucht, und sie endigte ihre Tage in Schulden und Armut, als Charlottes Stern noch immer erst im Aufgehen war.
Nancy Jones’ Ruhm war ebenfalls nur von kurzer Dauer. Nach nur wenigen Jahren fielen ihre hübschen Gesichtszüge den Blattern zum Opfer. Ebenjener Vorzüge beraubt, die ihr üppiges Leben gewährleistet hatten, stieg auch sie aus den lichten Höhen der glanzvollen Welt in die dunklen Niederungen der Hintergassen ab. Dort soll die unbarmherzige Klaue der Syphilis nach ihr gegriffen und sie in ein Armengrab gezerrt haben, als sie noch keine fünfundzwanzig war. Ein strategischer Fehler oder etwas Pech konnte reichen, um eine profitable Karriere als exklusive Liebesdienerin zu ruinieren. Von den dreien, die in jenem Jahr 1740 gemeinsam das große Rennen begonnen hatten, gelang es nur Charlotte, das Tempo zu halten und reiche Triumphe zu ernten.
Je häufiger Charlottes Gesicht auf den vorderen Logenplätzen der Theater auftauchte, umso häufiger war sie am Arm eines ihrer eleganten Liebhaber zu sehen, umso reichlicher wurde sie von ihnen mit Schmuck behängt und umso öfter fiel ihr Name in den Gesprächen der liederlichen »Schickeria« von Covent Garden. Klatsch konnte der beste Freund einer Kurtisane sein und als nützliche Hilfe eingesetzt werden, wenn die Gerüchteküche mit den richtigen Zutaten arbeitete. Je mehr sich ihr Ruf als einer der appetitlichsten Happen auf der Tageskarte verbreitete, desto mehr leckten sich die vermögenden Gentlemen die Finger nach ihr – auch wenn es, anders als im Fall von Lucy Cooper und Fanny Murray, nicht unbedingt Charlottes Schönheit war, wovon ihre Bewunderer schwärmten. Ihre Verzauberungskraft beruhte auf mehr denn nur auf hübschen Gesichtszügen.
Auch wenn keiner ihrer Zeitgenossen in Abrede stellte, dass Charlotte attraktiv, wenn nicht gar ungemein hübsch war, werden die zum Preis ihrer Schönheit gewählten Begriffe doch sparsam und besonnen eingesetzt. Sie war, mit den Worten ihrer Bewunderer, »drall« und »artig«, also anmutig hübsch. Der Dichter Edward Thompson gedenkt ihrer als einer Frau, die sich nicht nur ihre jugendlichen Züge zu bewahren wusste, sondern die auch bewundernswert »wenig Schminke« auftrug, und selbst Sam Derrick, der sie in allem stets wohlwollend beurteilte, erwähnt in puncto Äußeres lediglich ihre »grauen Augen« und ihr »braunes Haar«. Doch auf all diesen Merkmalen beruhte ihre wahre Schönheit in den Augen ihrer Verehrer nur zum Teil: Charlotte »strahlte«, wie einer ihrer Liebhaber schrieb. Durch ihre Gelassenheit, Würde und vornehme Art hob sie sich von der Mehrzahl ihrer vulgären Schwestern im Gewerbe ab. Wie eine Frau von so niedriger Geburt mit dem Anstand und der Liebenswürdigkeit einer tugendhaften Ehefrau auftreten konnte, war für Männer von Stand ein zugleich faszinierendes wie sexuell erregendes Mysterium. Ein Zeitzeuge schrieb:
Sie ist eine überaus feine und elegante Frauensperson ... All ihre Züge [sind] von Anmut, ihr Auftreten ist vornehm, ihre Manieren höflich, in ihrer Kleidung beweist sie unleugbar einen feinen Geschmack. Sie ist ein Weib von Verstand, spricht gleichwohl weniger als die meisten ihres Geschlechts, es sei denn, sie ist mit ihren Gesellschaftern sehr gut bekannt; dann gibt es nur wenige Frauenzimmer, die angenehmer zu unterhalten wüssten.
Über ihren gesamten Lebensweg hinweg fand sich kaum einmal wer, der sich negativ über sie geäußert hätte. Männer wie Edward Thompson, der ihrer Magie verfallen war, zeigten sich am meisten von ihrer ungekünstelten Offenheit bezaubert, die sie, zumindest in seinen Augen, »rechtschaffen wie eine Heilige« erscheinen ließ. Dieser Charakterzug fesselte auch Sam Derrick, der sie dafür pries, dass sie »nie die Kunst der Täuschung erlernte ..., obgleich sie doch den Wechselfällen des Lebens in so mannigfacher Form begegnete«. Für ihn sollte sie stets »ein Antlitz, wie ihr Herz so offen«, besitzen.
Doch all die schmeichelhaften Worte von Liebhabern und Kennern sagen mehr über Charlottes vollendete Meisterschaft in ihrem Fach aus als über ihre wahren Charakterqualitäten. Eine begüterte Kurtisane und eine der mächtigsten Bordellwirtinnen Londons ist sie sicherlich nicht geworden, indem sie gütig und rechtschaffen war. Hätte durch irgendeinen Zufall auch eine der weiblichen Bekanntschaften aus ihrem Metier eine schriftliche Erinnerung hinterlassen, ein Fragment aus einem von diesem komplizierten Wesen überschatteten Leben, wäre womöglich ein getreueres Bild dieser Frau auf uns gekommen. Wo ihre männlichen Besucher nur ihr Äußeres gesehen haben mögen, konnte eine weibliche Wegbegleiterin vielleicht einen Blick ins Innere erhaschen. Sie hätte unter Umständen bemerkt, wie Charlotte sich mühte, ihr Mitgefühl für andere mehr und mehr abzutöten, ihre Gefühle auszuschalten und die frei gewordenen Räume mit falschem Lächeln und Krokodilstränen zu füllen. Ihre scheinbar mühelose Täuschung der Männer ist ein Zeugnis für die in frühen Jahren von der Mutter erlernten Künste. Freilich sollte sie in den ersten Jahrzehnten ihrer Laufbahn noch so manche weitere Lektion erhalten.
Kapitel 5
Der Aufstieg von »Pimp General Jack«
Als Harrison in den frühen fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts seinen Posten antrat, gehörte die Shakespear’s Head Tavern bereits seit Generationen zum festen Inventar von Covent Garden. Im Ruf stehend, die erste Adresse am Platz zu sein, machte das Shakespear ein ansehnliches Geschäft und war, neben dem Bedford Head Coffee House, eine der einträglichsten Stätten der Vergnügung, mit denen sich Harris hätte verbinden können. Eine wichtige Rolle spielte dabei die günstige Lage in der Nordostecke der Covent Garden Piazza, in bequemer Torkeldistanz zu beiden großen Theatern, sowie die Verfügbarkeit von separaten Räumlichkeiten im Obergeschoss. Bis zur Gründung von privaten Clubs für beitragszahlende Mitglieder brachten solche gesonderten Gastzimmer den Wirtshäusern lukrative Zusammenkünfte von Männern (und bisweilen auch Frauen) ein. Diese Veranstaltungen waren völlig legal und wurden in den Lokalblättern öffentlich angekündigt. Am bekanntesten waren die von der »Beefsteak Society« organisierten Bankette. Wenn die Zimmer nicht an Gesellschaftsmitglieder vermietet wurden, die sich an reichlich Rindfleisch und Bier delektieren wollten, gestattete man Einzelgästen auch, sich dort mit beliebig vielen der berühmten Huren von Covent Garden zu vergnügen.
Das Publikum des Shakespear war gemischt, und es ging dort hoch her. Das Haus war eine bekannte Anlaufstelle der Theaterleute, und so konnte man nach Ende der Vorstellung die lauten und betrunkenen Stimmen von Ned Shuter, Charles Macklin und Peg Woffington durch den Kneipenlärm schallen hören. Adlige und wohlhabende Spießbürger wie William Hickey prägten hier genauso die Szenerie wie die anrüchigsten Elemente des Platzes. Das Shakespear war jener Typ Kneipe, wo alles erlaubt war, niemand Fragen stellte und Kunden machten, wonach ihnen gelüstete. Die treuen Stammgäste und der lokale Arm des Gesetzes – vertreten durch Richter Saunders Welch und die Gebrüder Fielding, die Schrecken des Lasters – taten wenig, um jenem Treiben Einhalt zu gebieten, das in den weniger exponierten Winkeln des Schankraums florierte. In scheinheiliger Einfalt taten sie sich im Obergeschoss an ihren Rindsschnitten gütlich, als hätten sie nicht die leiseste Ahnung von den Dingen, die