Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt. Хэлли Рубенхолд

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Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt - Хэлли Рубенхолд


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bewogen.

      Über eine solche »Vielfalt von Gesichtern« den Überblick zu behalten, erforderte die Ausbildung eines einwandfrei arbeitenden Gedächtnisses. Um sich diese große Palette verschiedener Frauengesichter besser merken und bei Bedarf das gewünschte herbestellen zu können, bedurfte ein erfolgreicher Zuhälter eines Hilfsmittels. Der allseits bekannte Kuppler des Shakespear, von dem man das größte Sortiment in ganz London erwartete, hatte hier Beträchtliches zu leisten. Ein gutes Gedächtnis brauchte er auch für die Kundenseite: Wenn er sich die Freier und deren Vorlieben gut einprägte und immer wusste, mit welchen der Damen unter seinen Fittichen ein jeder sich bereits vergnügt hatte, konnte sich ein tüchtiger Zuhälter gegenüber seinen Klienten eine gute Position verschaffen. Die Rekrutierung von Frischfleisch stellte ebenfalls ein Problem dar und konnte einen Großteil der Energie eines Maquereaus beanspruchen. Er musste immerzu nach neu Auszuhebenden Ausschau halten, dabei stets die Vorlieben seiner besser zahlenden Interessenten im Hinterkopf; musste sich gut einprägen, wer jugendlich frische Mädels vom Lande bevorzugte und wer vollbusige reifere Damen. Möglicherweise betraute man ihn auch mit speziellen Projekten, und ein gelangweilter Vertreter des Hochadels oder ein reicher Bankier gab ihm dem Auftrag, ihm eine neue, jüngere, noch unverdorbene Mätresse aufzuspüren. In einem kleineren Etablissement und in überschaubareren Ausmaßen betrieben, mögen diese Aufgaben weniger beängstigend groß gewirkt haben, aber nun, da sich sein Aktionsradius erweitert hatte, stand Jack Harris vor der schwierigen Herausforderung, all den an ihn gestellten Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn er alles erfolgreich bewältigte, konnte er sich eine goldene Nase verdienen, und nicht minder würde auch Packington Tomkins davon profitieren.

      Als Tomkins John Harris einstellte, mag er schon so manches über diesen Spross von Covent Garden gewusst oder es zumindest aus dem Funkeln seiner Augen herausgelesen haben. Harrison war ehrgeiziger als die meisten. Er war vor allem unglaublich clever; ein Mann, der es vielleicht auch als Kaufmann oder Bankier sehr weit gebracht hätte, der aber aufgrund seiner Herkunft in einer viel niedrigeren Sphäre gelandet war. »Ich erkannte, dass in der Profession der Kuppelei vieles verbesserlich war«, sollte Harris später berichten, und so »saß ich da und zerbrach mir den Kopf und fand bald, dass es, wie im Staate so auch in unserem Geschäfte, an einem System mangelte, planvoll zum Werke zu schreiten«. Kuppler, so klagte er, seien »Männer, die, bar aller Vorausschau, stets nur aus der Not heraus handelten« und Schwierigkeiten immer nur angingen, wie sie sich ergaben. Nachdem er die maßgeblichen Hindernisse ausgemacht hatte, ging Harris, wie ein geschickter Ingenieur, entschlossen daran, etliche Änderungen vorzunehmen.

      Das verfügbare Angebot, so befand er, war für eine effiziente Kuppelei das größte Hindernis. Hier musste die Antwort lauten: »Bei Abwesenheit oder Versagen der altgedienten Truppe für frischen Nachschub sorgen.« Regelmäßig mussten neue Kräfte aus anderen Teilen Londons rekrutiert werden. Die Nachfrage im Shakespear war zu groß, um einzig aus den Ressourcen von Covent Garden gedeckt zu werden. Zunächst war es für Harris recht einfach, »an dem einen Tage einen Streifzug von den Kolonnaden Covent Gardens hinüber ins St.-James-Viertel zu unternehmen, an dem anderen einen in die City, an wieder einem anderen einen zu den Tower Hamlets und weiter dann auch nach Rotherhith, Wapping und Southwark«. Dort traf er sich mit den Venusdienerinnen vor Ort und verschaffte sich einen Eindruck von deren Vorzügen und Fähigkeiten. Wieder zurück im Shakespear, konnte er dann seine Pläne in die Praxis umsetzen. Wenn ein Stammkunde nach einem neuen Gesicht verlangte, »lief ich los und schickte nach einer Hure aus Southwark oder vom Tower Hill und hieß sie, spornstreichs wie ein keuchendes Krämerweib herbeigeeilt zu kommen«. Um die Zeit bis zu ihrem Eintreffen zu überbrücken, »setzte ich mich mit meinem feinen Herren oder adligen Buhler zusammen, trank seinen Claret, rauchte mit ihm ein Pfeifchen und tischte ihm Lügen auf, bis ich beinahe meiner selbst überdrüssig wurde«. Diese Methode wirkte Wunder, wie Harris prahlte. »Meist schickte ich zu den Männern meine Venusschwestern aus dem St.-James-Viertel, die ihren Stadtburschen oder neu vom Lande hergekommenen Bauerntölpel mit ihrem vornehmen Gebaren so unvergleichlich glücklich machten wie nichts auf der Welt.«

      Alle seine Kunden konnte er auf diese Weise jedoch nicht zufriedenstellen. Es gab immer vielerlei Erschwernisse, die ihn zwangen, erfinderisch zu bleiben. Sehr zu seiner Verlegenheit musste er bald feststellen, dass manche seiner Klienten ihre Liebesergötzlichkeiten nicht allein auf Covent Garden begrenzten, sondern gerne weitere Kreise zogen, um auch die Genüsse der berüchtigten Bordelle in der Londoner City und in Southwark zu genießen. Sie waren wenig erfreut, dort auf dieselben Gesichter zu stoßen, die ihnen Harris zuvor auf der anderen Seite der Stadt präsentiert hatte. Die Sittenrichter und Sozialreformer der Zeit klagten oft, Frauen würden nur deshalb in die Kanäle der Prostitution eingeschleust, weil lasterhafte Männer ständige Abwechslung forderten – das, was Freier »Frischfleisch« nennen mochten. Harris (oder wer immer in seinem Namen die Feder führte) sah dies genauso. Das Bemühen, die Vorlieben seiner Kunden zu befriedigen und seine Frauenvorräte stets neu zu füllen, schien eine unendliche Aufgabe. Um eine ahnungslose Beute ins Netz zu bekommen, konnten die Ausheber von Neuhuren auf eine Handvoll erprobter Vorgehensweisen zurückgreifen, und um keine dieser Methoden ranken sich in den zeitgenössischen Erzähltexten und Kupferstichen mehr Legenden als um die berühmt-berüchtigte Falle »Vermittlungsbüro«. Arbeitsvermittlungsstellen vergleichbar, wurden in diesen Kontoren Stellenangebote von Leuten ausgeschrieben, die Dienstpersonal suchten, und so waren sie häufig die erste Anlaufstelle für Frau Neuankömmling, wenn sie den Boden der Hauptstadt betrat. Hurenwirte und Kuppelmütter hatten hier leichtes Spiel: Sie lockten einfältige Landeier in ihre Schlingen, indem sie sich als ehrenwerte Bürger auf der Suche nach einem Hausmädchen ausgaben. Wie seine Konkurrenten bekannte auch Harris, auf solcherlei Rekrutierungspraktiken zurückgegriffen zu haben; enttäuscht ließ er allerdings auch durchblicken, dass nur wenige der Frauen, die auf diesem Weg nach London kamen, so unberührt gewesen seien, wie es seine Klienten gern gesehen hätten.

      Dienstmädchen – und berufstätige Frauen überhaupt – waren die Hauptziele von Harris’ Anwerbungsbemühungen. Seiner Überzeugung nach kam es nur selten vor, dass solche Existenzen ihre Tugend nicht bereits zuvor aufs Spiel gesetzt hatten. Es entsprach der unbarmherzigen Sicht der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, dass Frauen, die gezwungen waren, sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, auf alle möglichen Arten gekauft und verkauft werden konnten. Ob sie nun eine ordentliche Lehre in einem Putzgeschäft oder in einer Strumpfwirkerei absolviert hatte, ob sie Waschfrau, Küchenmagd oder Äpfelweib an einer Straßenecke war – eine Arbeitende verkaufte sich für Geld. Sie konnte ja nie eine Dame oder irgendein Individuum von wirklichem Wert in der Welt werden, und die Männer, besonders solche von höherem gesellschaftlichen Rang, waren sich darüber auch von vornherein im Klaren. Harris konstatierte, dass derartige Frauen die bei weitem gefügigsten unter seinen Neubekehrten waren. Er sei beständig auf der Jagd nach ihnen gewesen, wenn er »durch die Straßen strich« und »an jeder Tür wachsam Ausschau hielt«. Dann fährt er fort: »Wenn immer ich eine hübsche Dirne gefunden, die ich verderben wollte, begab ich mich unverzüglich ins nächste Schankhaus, bestellte eine Kanne Bier, und dort bekam ich dann alle nötigen Auskünfte.« Hatte er eine Zusammenkunft eingefädelt, ließen sich die meisten dieser Frauen, wie Harris feststellte, durch ein unverblümtes Zursprachebringen ihrer Lebensumstände schnell überreden, so dass sie schon »bald der Ansicht zustimmten, dass ein Leben in glücklichem Überflusse dem der harten Schinderei vorzuziehen sei, welches nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge im besten Falle mit der Vermählung mit einem Dienstboten oder einem Gesellen in irgendeinem beschwerlichen Handwerk endigen konnte«. Glaubt man den zeitgenössischen Darstellungen, so dürfte vielen der Frauen, an die Harris auf diese Weise herantrat, und insbesondere jenen, die sich als Hausangestellte verdingten, die Prostitution in der Tat keineswegs fremd gewesen sein. Schlechte Bezahlung veranlasste so manche, ihr Leben in wechselnder Stellung zu verbringen und Arbeit in Bordellen genauso wie unter dem Dienstpersonal reputierlicherer Häuser zu suchen.

      Neben den Arbeiterinnen bot sich noch eine weitere Quelle, aus der man schöpfen konnte. Harris gab an, seine Erfahrungen mit dem schönen Geschlecht hätten ihn gelehrt, die Möglichkeit, auch verheiratete Frauen unter seine Fittiche zu nehmen, nie zu unterzuschätzen. Diese waren selbstverständlich gleichfalls neue »Ware«, die, abgesehen von ihren Ehemännern, niemand zuvor verkostet hatte, und stellten somit eine sehr brauchbare Bereicherung des Angebots dar.


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