Covent Garden Ladies: Ein Almanach für den Herrn von Welt. Хэлли Рубенхолд
Читать онлайн книгу.der über die fleischlichen Freuden eines großen Gasthauses residierte, bedurfte einer Form von geordneter Verwaltung, um auch auf zufriedenstellende Weise seines Amtes walten zu können. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts scheint die Praxis, ein handschriftliches Verzeichnis der im Umkreis bekannten Huren anzulegen, zumindest in einigen der stärker frequentierten Wirtshäuser Londons recht verbreitet gewesen zu sein. Jack Harris spricht selbst davon, dass seine »Kuppelbrüder« solche Listen benutzten und dass häufig Namen »in unsere Verzeichnisse eingetragen« oder »aus unseren Büchern gestrichen« wurden. Auch ein Journalist des London Chronicle schreibt im Juni 1758, dass anlässlich eines Gaststättenbesuchs sein Kellner »eine Liste mit den Namen von beinahe vierhundert [Prostituierten] hervorzog, in alphabetischer Anordnung, mit einer genauen Schilderung ihrer Person, ihres Alters, ihrer Fähigkeiten und ihres Wohnortes. Für mich ... war diese Liste unterhaltsamer als die leibhaftigen Gegenstände ihrer Beschreibung, und ich studierte sie sehr aufmerksam.«
So eine handgeschriebene Liste hatte wahrscheinlich die Form eines kleinen Geschäftsbuchs oder einer gebundenen Kladde. Hier notierte ein Zuhälter den Namen einer käuflichen Dame sowie den Ort, wo sie zu erreichen war. Das konnte die Straße, in der sie wohnte, sein oder ein bekanntermaßen von ihr häufig aufgesuchtes Schankhaus. Je nach Schreibfertigkeiten des Kupplers konnte sich daran dann eine Beschreibung der Frau und der von ihr angebotenen Dienste anschließen. Notizen über Alter, Körpermerkmale und sexuelle Spezialitäten nebst dem Preis ihrer Leistung erleichterten Kuppler wie Freier die Wahl. Der Schreiber des London Chronicle hält auch fest, dass die von ihm in Augenschein genommene Zuhälterliste aus einem einfachen Namensverzeichnis mit zusätzlich an den Rand notierten Kommentaren bestand: »Ann Gill – 19 Jahre – seit zwei Jahren im Geschäft – Bow Street. – Elizabeth White, down in a sal [d.h. sie macht eine Salivationskur mit Quecksilberpräparaten zur Syphilistherapie], dito. – Mary Green, wechselt in feste Hände, empfängt Kundschaft bis Ende der Woche, dito.« Die pfiffigeren Kuppler bereicherten diese Einträge sicher noch um weitere nützliche Informationen, notierten Namen der bevorzugten Freier einzelner Damen, Angaben zu ihrem früheren Gesundheitszustand und zu ihrem sexuellen Werdegang sowie Tabellen der zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Klienten ausgebetenen Preise. Schon allein wegen der Größe seines Imperiums verlangte Harris’ Geschäft eine handschriftliche Liste, die alle anderen in den Schatten stellte: eine wahre Enzyklopädie der Hurennamen. Deren beständige Kommentierung und Modifizierung erforderte in allen Details buchhalterische Akkuratesse und ein offenes Ohr für den Klatsch, der solche Details lieferte. Wenn wir Harris’ Behauptung, unermüdlich auf der Suche nach Nachschub gewesen zu sein, glauben dürfen, muss seine Liste während seiner Zeit im Shakespear auf wahre Mammutproportionen angewachsen sein. Gut möglich, dass schon allein ihr schierer Umfang seinen Teil zu Harris’ Ruhm unter den vergnügungssuchenden Nachtschwärmern von Covent Garden beigetragen hat und für die Idee einer Veröffentlichung die Initialzündung gab.
Nicht nur Jack Harris’ Liste profitierte von seinem überragenden Kupplergeschick, seine Geschäftskünste waren von Anfang an auch Packington Tomkins zugutegekommen. Um die Zeit, als Harris seine Stelle antrat, habe sein Dienstherr den Plan entwickelt, »es sich zum Brauche zu machen«, seine Kunden durch stets bereitgehaltene Damen »zu ihrer Erquickung zu vergnügen«, und ein Bestandteil dieses Plans sei die Einstellung von Harris gewesen. Indem er Tomkins’ »Haus mit den frischesten und ergötzlichsten Stücken versorgte«, sei er, so behauptete Harris, maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass dieser in der kurzen Spanne von nur ein paar Jahren »ein sehr tüchtiges Vermögen« anzuhäufen vermocht habe. Wie auch immer ihre Geschäftsvereinbarung im Einzelnen ausgesehen haben mag, Tomkins schöpfte jedenfalls einen bestimmten Prozentsatz der Einnahmen ab, die Harris mit dem Betreiben seines Gewerbes unter dem Dach des Kneipiers erzielte. Natürlich handelte es sich bei dem Ganzen um eine im Geheimen geschlossene Abmachung. Zu jener Zeit mag Harris vielleicht noch nicht gewieft genug gewesen sein, zu durchschauen, welche Folgen sich aus dieser »besonderen Übereinkunft« ergeben konnten, sollte einmal Justitia an die Tür klopfen. Jack Harris hatte nichts dagegen einzuwenden, nach außen hin die alleinige Leitung dieses Teils von Tomkins’ Geschäft zu übernehmen, und er begann törichterweise den Ruhm zu genießen, den ihm sein Tun verschaffte.
Es weist so manches darauf hin, dass auch die Bordellwirtin von nebenan, Mother Jane Douglas, mit von der Partie war. Seit sie hier 1741 ihr Haus eröffnet hatte, scheint dessen Lage direkt neben dem Shakespear die Herausbildung einvernehmlicher Regelungen zwischen den beiden Etablissements befördert zu haben. Sicherlich dürfte Jack Harris’ Unternehmen den natürlichen Fluss von betrunkenen, sexhungrigen Kunden aus dem Shakespear in das Visitenzimmer des Nachbarhauses zunächst einmal zu behindern gedroht haben, und um Mutter Douglas zu beschwichtigen, muss eine finanzielle Ausgleichsregelung getroffen worden sein, die vielleicht auch die Vereinbarung enthielt, ihre Mädchen den Besuchern des Shakespear anzubieten. Im Gegenzug zeigte sich Mrs. Douglas bereit, neben ihren cundums (Kondomen, damals meist aus mit Bändern festgebundenen Tierdärmen und mehr dem Schutz als der Verhütung dienend), Aphrodisiaka und anderem Sexshop-Schnickschnack auch diverse frühe Druckausgaben der Harris’s List feilzuhalten.
Sein Imperium zu verwalten und zu wahren, war nur der eine Teil seiner Tätigkeit. Daneben galt es, die finanzielle Ernte seines Tuns einzufahren. Seinem Stil treu, ging Harris auch hier genau nach Plan vor. Wie jeder gute Zuhälter bewies er ein ausgeprägtes Talent dafür, mit allen erdenklichen Mitteln Geld zu machen. Von dem Moment, wo der Name einer Frau in seine Liste eingetragen wurde, über den Moment, wo ein Freier ihr Erscheinen wünschte, bis hin zu dem Augenblick, wo sie die geforderten Dienste geleistet hatte – stets war Jack Harris zugegen und hielt die Hand auf.
Die Memoirs of the Celebrated Miss Fanny Murray werfen einen interessanten Blick hinter die Kulissen von Harris’ Betrieb. Wie deren Autor schreibt, mussten sich Frauen, die »als ein neues Gesicht auf dem Pergament seiner Liste« verzeichnet werden sollten, einer gewissen Zeremonie unterziehen. Es gab keinen Grund, warum Harris seinen Venusgeweihten hätte vertrauen sollen (wie zweifellos auch sie ihm nicht verrauten), und so bestand er darauf, dass sie sich von einem Arzt untersuchen ließen, bevor er sie in seine Reihen aufnahm. Erst wenn »ein Wundarzt eine vollständige Untersuchung ihres Leibes« vorgenommen hatte und sie »für gesund oder krank befunden« hatte, ließ Harris einen »Advokaten« kommen, »um ihren Namen etc. einzutragen, sobald sie eine schriftliche Erklärung ihres Einverständnisses unterzeichnet hatte, dass sie zwanzig Pfund verwirke, so sie in irgendeinem Punkte falsche Nachricht über ihre Gesundheitsverfassung gegeben«. Nachdem er sich zur Genüge davon überzeugt hatte, dass die neu Einberufene ohne Makel war, ließ der Kuppler »ihren Namen ... in großen Buchstaben über einen ganzen Pergamentbogen schreiben«. Darunter blieb reichlich Raum für allerlei dichterische Ergüsse. Laut Verfasser der Memoirs sah so ein handschriftlicher Eintrag dann etwa wie folgt aus:
Name: Fanny Murray
Verfassung: von blühender Gesundheit
Beschreibung: Ein trefflicher Braunschopf, neunzehn binnen des nächsten Jahres. Ein propres Weibsstück für die Seitenlogen unserer beiden Theater – kann sich auf dem Fleischmarkte gut sehen lassen – und wird sich gut halten – mag noch zwölf Monate allemal als Jungfer hingehen – hat erst vor sechs Monaten diesseits der Temple Bar Logis genommen. Taugt gut zur Kokotte eines reichen Judenkaufmanns. (Notabene: Dito zahlen gute Preise!) – Danach Haus der offenen Tür – und kann, dafern sie nicht im Lock-Hospital [einem Krankenhaus für Geschlechtskranke] endigt, ihr Vermögen machen und die Männer der halben Stadt zugrunde richten.
Wohnsitz: Im ersten Stockwerk bei Mrs. —, Putzmacherin in Charing Cross.
Die Zwanzig-Pfund-Bürgschaft, mit der sie für ihre Gesundheit geradestanden, war nur der erste von vielen Sollposten, mit denen sich Harris’ Damen unwillkürlich in die Schuld ihres Zuhälters begaben. »Pfundgeld (The Sportsman’s pound)«, so erläutert die in Harris’ Namen geführte Feder, »ist die seit langem übliche, dem Kuppler zu zahlende Abgabe von fünf Shilling aus jeder Guinee, welche hübsche Damen für ihre den Herren erwiesene Gunstbezeigungen erhalten«. Es war gängige Praxis, dass Harris’ Damen ihre Schuld anlässlich ihrer allsonntäglichen Zusammenkünfte in Covent Garden beglichen.
Bei diesem Anlass konnte es auch passieren, dass sie tief