Crazy Love. Eva Kah

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Crazy Love - Eva Kah


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Als er mich im Türrahmen lehnen sah, schenkte er mir einen langen Blick, den man nur als verächtlich beschreiben kann. Er stand auf, warf sich die Tasche über die Schulter und ging an mir vorbei in den Flur, wobei er diese fiesen zwei Sätze sagte:

      „Weißt du, mit dir macht’s halt einfach keinen Spaß, Icki. Du bist und bleibst eine pingelige, langweilige Kuh!“

      Und dann war er weg. Die plötzliche Stille meiner Wohnung, so ganz ohne Breakdance und Vorwürfe, umhüllte mich wie eine Wand aus Watte.

      Selbstverständlich bezog ich seine letzten Worte irgendwie auf meine sexuellen Fähigkeiten. Max war gegangen, weil er mich nicht nur im Alltag, sondern leider auch noch im Bett pingelig und langweilig fand.

      Dabei hatte ich den Sex mit Max immer genossen. Nicht, dass ich da viele Vergleichsmöglichkeiten gehabt hätte. Max war der erste und bisher einzige Mann, der es jemals bis unter meinen Slip geschafft hatte. Okay, sein Schwanz war wohl nicht der allergrößte, aber das störte mich nicht. Dafür wusste er mit seinen Fingern und seiner Zunge so allerhand anzustellen – wenn er wollte. Bei unserem ersten Mal, als entsetzlich aufgeregte Sechzehnjährige, war ich sogar erleichtert über sein mittelprächtiges Format gewesen. Vor so etwas musste man sich wirklich nicht fürchten… Dementsprechend verlief unser erstes Mal völlig untraumatisch und eigentlich ganz nett, was man von all meinen Freundinnen nicht behaupten konnte.

      Und jetzt saß ich auf dem hässlichen Sofa und sah mich mit dem ganz neuen Gefühl konfrontiert, beim Heulen zu erröten. Max’ völlig entspanntes Gesicht nach dem Orgasmus, seine von mir wild verstrubbelten Surferhaare. Der nackte Max mit dem Bettlaken als Umhang, wie er mir Hamlet vorspielte. Sein fieses Grinsen, wenn er sich vorbeugte, um meinen Hals zu küssen, weil er genau wusste, wie hilflos ausgeliefert ich dann war. Wie seine Schultermuskeln hervortraten, wenn er in mich eindrang. Sonntage, an denen man das Bett nur verließ, um Kaffee zu kochen und Croissants zu holen, die man in den Bauchnabel des anderen krümeln konnte.

      An seiner Stelle standen nun diese drei Vorwürfe im Raum wie Ausrufezeichen: kein Spaß, pingelig, langweilig. Und als ob das nicht ausreichend gewesen wäre, hatte er mich als Ergänzung oder Gratiszugabe auch noch eine Kuh genannt. Zum ersten Mal in unserer Beziehung übrigens, mit meinem nachtragenden Elefantengedächtnis merke ich mir so etwas.

      Nachdem Max gegangen war, saß ich lange auf unserem hässlichen Sofa und dachte nach. In meinem Kopf drehte sich ein Karussell. Kein Wunder – Max war mein allererster Freund, dementsprechend war ich gerade zum allerersten Mal verlassen worden. Das Thema „Schluss machen“ war mir neu. Ich weinte nicht. Ich verspürte nicht das Bedürfnis, den Couchtisch zu treten oder Max’ Unterhosen aus dem Fenster zu werfen (das kam dann ein paar Tage später). Ich war sogar zu perplex, um mir einen Kaffee zu kochen oder gleich einen Schnaps zu holen. Ich betrachtete einfach nur meine Hände, wie sie auf meinen Knien lagen und ein ganz klein wenig zitterten. Ehrlich gesagt wunderte ich mich, wie wenig sie zitterten. Dabei zog das Kennenlernen von Max und mir an meinem inneren Auge vorbei. Unsere glorreichen Anfänge…

      Es war die inoffizielle Abiturfeier des Nachbar-Gymnasiums, auf der wir zusammen kamen.

      „Hey, du bist doch die Icki?“

      „Äh, ja?! Warum fragst du?“

      „Na ja, weil…“ – gezielt eingesetztes, unwiderstehliches Sonnyboylächeln – „ich gerne weiß, wie das Mädel heißt, das ich heute Abend mit nach Hause nehme.“

      Meine Reaktion auf diese unverschämte Anmache war nichts als purer Stolz gewesen. Ich wurde rot vor Glück. Dann grinste ich debil und nickte eilfertig, um mich gegen die Litfaßsäule drücken und küssen zu lassen. Ja, so war das damals mit sechzehn. Keine Ahnung von nichts, aber scharf darauf, dass etwas passiert in der großen weiten Welt, die einem doch angeblich sperrangelweit offen steht.

      Nachdem ich eine ganze Weile wie gelähmt dagesessen hatte, begannen die Gedanken langsam wieder Form anzunehmen. Zuallererst überlegte ich, ob Max wohl auch das hässliche Sofa mitnehmen wollte, wenn er eine neue Wohnung gefunden hatte. Wir hatten es erst vor ein paar Wochen gekauft. Der komische grün-graue Farbton hatte mir schon im Laden nicht gefallen, aber Max bestand darauf. Das sei eine absolut zeitlose Farbe, elegant, ein Designklassiker. Für mich sah das Grüngrau eher nach schimmligem Brot aus, aber ich hatte ja keine Ahnung, ich hatte ja nicht studiert, und deshalb gab ich klein bei. Was wissen Krankenschwestern schon von Designklassikern?

      Jetzt saß ich allein auf dem Designklassiker, sah meinen Händen beim Zittern zu und ärgerte mich umso mehr, dass ich mich bei der Auswahl nicht durchgesetzt hatte. Immerhin war das Sofa zum Großteil von meinem Geld bezahlt, wie so vieles in unserer Wohnung. Wie die Wohnung selbst auch. Ich war die alleinige Hauptmieterin. Weil natürlich jeder Münchner Vermieter, der seine sieben Sinne zusammen hat, lieber an eine fest angestellte Krankenschwester vermietet als an eine fest angestellte Krankenschwester UND ihren erfolglosen Schauspieler-Freund. Was sich jetzt schon sehr bald rächen würde, weil ich die Miete unmöglich dauerhaft allein aufbringen konnte. Den kleinen Zuschuss von Max’ wohlhabenden Eltern könnte ich natürlich auch vergessen, wenn ihr Sohn nicht mehr hier wohnte. Ausziehen wollte ich aber auf keinen Fall. Ich liebte diese kleine verschrammelte Bude in Haidhausen, schließlich war sie seit beinahe acht Jahren unser Liebesnest gewesen… oh Gott. Vermutlich müsste ich mir einen neuen Mitbewohner suchen. Ogottogott. Ein Eindringling in mein Reich, meine Rückzugshöhle, in der jedes Kissen seinen wohlüberlegten Platz hatte und die Dinge Namen besaßen! Ich gebe den Gegenständen, ohne die ich nicht könnte, nämlich gerne Namen. Mein Kühlschrank heißt Igor, meine alte Schrottmühle von einem Fahrrad Susi und meine Kaffeemaschine Wolfgang. Das ist individuell und leichter zu merken, finde ich. Besser als eine so kalte Buchstabenfolge wie „Espressokocher mit Siebträger“.

      Mein zweiter Gedanke war, ob Max irgendwie Recht hatte mit seinen letzten Worten. War ich vielleicht tatsächlich eine Spaßbremse, eine pingelige, langweilige?

      Langweilig. Pah! Wer es langweilig findet, eine Vollzeit berufstätige Frau an seiner Seite zu haben und sich von ihr aushalten zu lassen, dem ist nicht mehr zu helfen. Klar, ich war zuletzt vor vielen Jahren mit ihm auf einem seiner Filmfestivals gewesen, und wann ich mit ihm auf einer Party durchgemacht hatte, verschwamm völlig im Nebel der Erinnerung. Ich hätte nicht einmal die Jahreszahl nennen können. Aber das lag einfach daran, dass Max’ Filmrollen so rar gesät waren. Und daran, dass ich in Schichten arbeite. Wer Sonntag um vier Uhr morgens auf der orthopädischen Station mit dem Bettenwechseln beginnt, der geht eben nicht Samstag um halb zwölf noch tanzen. Oder jedenfalls nicht oft.

      „Das ist nicht langweilig, das ist Schichtdienst!“, hatte ich Max noch nachgerufen. Aber er hörte es nicht mehr. Wollte es auch gar nicht hören. Wie so vieles in den letzten zehn Jahren.

      Oder bezog sich das „langweilig“ gar nicht auf die Art und Weise, wie ich meine Freizeit verbrachte, sondern etwa auf mein Äußeres? Wäre ja noch schlimmer. Klar, ich trage lieber Jeans mit Chucks als Ledermini mit Plateau-Sandaletten. Und figurmäßig bin ich eher der Birnen-Typ. Keine supersaftige Birne, aber eindeutig auch keine Gurke oder Rübe. Aber hey, ich tusche mir täglich die Wimpern, notfalls auch schon um drei Uhr morgens. Außerdem habe ich eine super Haut und „die Haare schön“. Letzteres höre ich jedenfalls häufig in der U-Bahn, sogar von jungen Mädchen. Die sich wahrscheinlich nur mit mir anlegen wollen. Aber egal, es stimmt ja, ich habe schönes Haar. Kastanienbraune, glänzende Wellen bis zum Po. Ich hatte also jeden Anlass, mich in meiner Haut ganz wohl zu fühlen.

      Bis Max ging.

      Dass er richtig echt gegangen war, also für immer, war mir in dem Moment noch nicht so richtig klar. Mit mir hatte noch nie zuvor jemand Schluss gemacht. Daher wusste ich überhaupt nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ich hatte überhaupt keine Strategie. Vorausgesetzt, dass Max tatsächlich nicht in einer Stunde reumütig wieder aufkreuzen würde, was sollte ich tun?

      Wie man am besten mit Liebeskummer umgeht, musste ich jetzt im zarten Alter von siebenundzwanzig irgendwie selbst herausfinden. Laut Metal hören, drei Schachteln Zigaretten rauchen und zwei Wochen nichts


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