Sturm des Herrn. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Scheiterhaufens. „Da verbrennen sie doch die Makulatur, mit der sie sich heute nachmittag geschleppt haben!“
„Es ist keine Makulatur, Bruder Ellerbrook“, rief der kleine Berliner dem Heraneilenden zu. „Es ist ein Sinnbild für die Erbärmlichkeit Teutschlands!“ Er warf an einer Heugabel einen verschnürten Papierstoss in die Flammen. Rings lohte und prasselte es von verflackernden Druckbogen. „Sieh, Bruder: Auf jedem Packen steht mit fernscheinenden Buchstaben auf schwarzem Zettel der Name des Verdammten! Wir überliefern alle undeutschen Bücher der verzehrenden Flamme!“
„Vergehe, Saul Ascher, und Dein Schandwerk ‚Germanomanie‘.“ Das Feuer lohte im Wurf des Papierballens.
„Verende, Wadzek und Scherer — ihr Neidlinge der edlen Turnkunst!“ schrie Fritze Schellhase. Ein Triumphgesang hinterher: „Nicht zecken und nicht scheeren — soll uns ein fauler Bauch!“
„Nieder mit Ancillon, dem preussischen Halbfranzosen!“ Von allen Seiten strömten die Burschen herbei. Höher schlugen die Flammen. Christian Ellerbrook drängte sich mit Rippenstössen in die vorderste Reihe.
„Her mit undeutschem Geschreibsel!“ schrie er begeistert. Ein flüchtiger Blick auf den Leuchtzettel: „Von Kamptz, Codex der Gensdarmerie!“ Ein Handschwung nach dem Feuerzauber.
„Kosegartens Festrede zum Napoleonstag!“ Verklärte junge Gesichter im weissleuchtenden Flammenschein. „Wehe dem Wicht, der redekünstlich den Zwingherrn abgöttisch verehrt!“
„Der Code Napoleon! . . . Schmach, ihr Brüder: Welsche Gatzungen am deutschen Rhein!“
„Der Schmalz! . . . Der Schmalzgesell. Wider den redlich strebenden deutschen Tugendbund!“ Und wieder der Chor: „Gänse-, Schwein- und Hundeschmalz — aber alles ohne Salz!“
„Reinhard! Wider Bundesstände und gelobte Freiheit!“ Der wilde Ellerbrook schwenkte mit weissrollenden Augen ein Paket Druckbogen. „Der Gesell muss brühwarm gepfeffert und gesalzen werden!“
„Fahr’ hin, du böser Feind und Widersacher der edlen Jugendfreiheit!“
„Nun aber der Beelzebub selber — der Kotzebue, der Russenknecht, und seine Geschichte des deutschen Reiches!“. Eine Mistgabel mit Makulatur reckte sich über den Flammen. „Soll er ins Feuer?“
„Ins Feuer!“ Ein hundertstimmiger Aufschrei. „Ins Feuer!“
„Ins Feuer mit allen undeutschen Büchern!“ Flammenüberflackert stand Christian Ellerbrook da, breitbeinig, das Burschenbarett in erhobener Rechten. Die weissschwarzen Federn flatterten, die langen dunklen Haare wehten ihm um den erhitzten, bronzebraunen, jungen Römerkopf vom Rhein. Die Feuerzungen bäumten sich in sprühendem Funkenregen und überhuschten mit purpurnem Lichtspiel seine gläubig-verklärten, in diesem Augenblick jünglingsschönen Züge. Dann lachte auf ihnen plötzlich, mit zwei weissen Zahnreihen, ein weltliches Kraftburschentum des Erkennens. Er breitete die Arme aus.
„Til! . . . Kerlchen — bist Du’s bei Gott?“
Um den lohenden Scheiterhaufen herum trat aus den bläulichen Rauchwirbeln ein kleiner, schmächtiger Geselle. Er trug die schwarze Burschentracht. Die Strähne hingen ihm um das spitze, abenteuerlichunruhige Gesicht, mit den schmalen Wangen und den wilden grauen Augen. Der Studiosus Ellerbrook zog ihn stürmisch an sich.
„Das ist der Til Gustapfel! Unser kleiner Trommler vom Lützowschen Corps. Er war zu schwach, den Flamberg zu schwingen. Aber allen voraus Sturmschlagen — das konnt’ er! An dem blutigen Abend bei Kitzen — da hat er uns versprengten Jägern mit seinem Getrommel noch den Ausweg zwischen den Hausgärten rechts von der Strasse gewiesen. Brüderchen — warum sieht man Dich erst jetzt? Die Feuer brennen schon nieder! Der Berg liegt schon fast verödet!“
„Ich konnte erst heute früh mit der zweiten Bei-Chaise aus Leipzig weg!“ sagte der kleine blasse Trommler von Kitzen. „Ich brauchte erst einen Reise-Permess, um es mit meinen Gönnern nicht zu verderben. Ich habe doch eine Freistube im Alten Paulinum und einen Freitisch im Konvikt. Ich habe nichts als das königliche Stipendium von dreissig Talern im Jahr!“
„Und was traktierst Du da in der Finkenburg, Bruder Till?“
„Weltliches und kirchliches Recht! Mein seliger Vater war doch Hof- und Justizienrat. Vielleicht bringe ich es auch einmal zum Geheimen Cabinetts-Sekretarius. Das ist der Traum meiner Mutter! Aber höre, Christian! Lass Dich warnen!“ Der kleine Leipziger fasste den langen Waffenbruder von einst am Arm und führte ihn ein paar Schritte beiseite. „Drüben, hinter unserm Scheiterhaufen der Gerechten, siedet die Hölle! Dort sitzt der Gottseibeiuns selber im Gras!“
„Wie schaut er aus?“
„Der Bösewicht ist ein Kerl in den Dreissig. Er trägt einen dunklen Radmantel und einen schwarzgeschweiften Schifferhut. Er vermerkt sich beim Feuerschein jeden Feuerspruch, den Ihr hier den Schmalzgesellen verkündet, in seine Schreibtafel!“
„Hört, Ihr Burschen!“ sprach Christian Ellerbrook halblaut zu den letzten Gruppen von Studenten, die sich um ihn drängten. Denn die meisten stiegen schon mit Gesang von der dunklen, mit verflackernden Feuern leer im Nachtsturm verschwimmenden Bergfläche zu Tal. „Der Zwingherr der Hölle, der diabolus antiburschicus, hat seinen Flügelmann zu unserer Weihestunde entsandt. Hinter uns hockt ein Spitzel! Lasst mich allein mit dem Gesellen verhandeln!“
Mit langwiegenden Katzenschritten kreiste der Jenenser so eng um das Rauchgewirbel und Feuergeprassel, dass die Funken der verbrannten Schriften wie Glühwürmchen um seinen Schwarzrock stoben.
Drüben war der dämmernde Heideboden leer, schattenhaft wandelte schon ziemlich fern eine Gestalt dem jenseitigen Berghang zu. Sie verlor sich schon fast in der schützenden Nacht. Sie glich, in der dunklen Kleidung, mit dem langgeschweiften Hut, einem Landgeistlichen.
„Ha — Du! Kandidat des Teufels! Hofpfaffe der Hölle!“ Lange Sprünge des Studiosus Ellerbrook. „Steh’, Du Kreatur! . . . Glaubst Du, ich erkenne Dich nicht, Du Hofnarr von Lichtenhain? Heraus mit dem Judaszettel, den Du vollgeschrieben hast, wenn Dir Dein Leben lieb ist!“
Der abgedankte hochgräfliche Hofmeister Paulus Mummenthey drehte sich um. Die schlaffen, liederlich-wehmütigen Züge des verbummelten Kandidaten der Gottesgelahrtheit verkrampften sich im Zwielicht. Er fingerte rasch in seiner Manteltasche. Es kam kein weisses Blatt da heraus. Ein kurzer, dunkler Lauf.
„Lass Dein Pistolet im Sack! Nicht? Da!“
Schneller als der unbehilfliche, gewesene Theologe unter dem schwarzen Mantelfragen seine Waffe heben konnte, fuhr drüben in geübter Abwehr der Dolch mit Elfenbeingriff und silbernem Totenschädel aus der Scheide, gegen die pistolebewehrte Faust drüben. Die liess im Schreck die Waffe fallen und zuckte zurück. Der Stoss fegte über sie hin in die leere Luft. Er glitt in blinder Wucht weiter als Christian Ellerbrook wollte, durch den dicken Mantel in den Körper drüben.
Der Kandidat Mummenthey stiess einen weinerlichen Schrei aus wie ein getroffener Hase. Er fiel auf den Rücken und zappelte krampfhaft mit den Beinen. Der andere stand verstört vor ihm. Er rührte sich ein paar Sekunden nicht. Er fuhr sich nur mit der Hand über die Stirne, als wollte er sich aus einem dummen Traum aufwecken. Dann drehte er sich um und rannte in langen Sätzen über die Hochfläche zurück, an den letzten paar Schattenrissen von Burschen fern vor dem letzten Flammenschein vorbei, das Gänsetal hinab nach Weimar.
Ein paar Männer in flachen, breitkrämpigen Hüten, langen blauen Leinenhemden, gelben Kniehosen und Halbstiefeln kamen ihm entgegen. Bauern aus der Umgegend. Er schrie ihnen im Vorüberrennen zu: „Schaut nach dem Kerl, der verwundet oben auf dem Wartenberg liegt!“ und lief weiter.
Der Marktplatz von Eisenach war noch hell. Zwischen Kirche und Gasthof stand die Burschengemeinschaft in Gruppen. Aus ihnen eilte der Weimarer Assessor Karl von Helmich in seinen dunkelblauen Übermantel gewickelt auf den Studiosus Ellerbrook zu. Er schüttelte halblachend den weltmännisch-klugen, menschenkundigen Kopf unter dem steifen schwarzen Rundhut.
„Was habt Ihr denn noch alles da oben verbrannt, Ihr jungen