Sturm des Herrn. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.— sehr gut!“ Der Agent des Zaren nahm geschäftig das Blatt an sich und legte es auf den Schreibtisch.
„Ich wurde entdeckt und verfolgt!“ stöhnte der Kandidat Mummenthey. „Einer der Wildesten von Jena — und das will etwas heissen — zielte mit dem blanken Dolch nach meinem Herzen! Gottlob: Ich war durch Ihre hohen Verbindungen in Esthland, Herr Staatsrat, ein Jahr dort Hauslehrer und habe mir ein Koller aus gegerbtem Elenfell mitgebracht, wie man es in jenem Lande trägt. Dies Leder fängt jeden Stoss auf. Ich hatte es der Herbstkälte wegen untergezogen. Es hat mir das Leben gerettet!“
„Kennen Sie den jungen Ideologen, der sich so unschicklich an Ihnen vergriff?“
„Ich werde ihn dem Herrn Staatsrat in persona hiesigen Orts weisen können, denn der Monsieur ist noch vor mir heute Nacht mit einem Freund nach Weimar durchgeritten. Der Postmeister in Erfurt, der ihn kennt, hat es mir berichtet. . . .“ Ein tränenreicher Augenaufschlag. „Wie ist es mit meinem Schmerzensgeld, Herr Staatsrat?“
Als der Kandidat Mummenthey eine Viertelstunde später das Haus des Dichters Kotzebue verliess, hatte er noch feuchte Augen der Zerknirschung, aber er trällerte schon wieder liederlich vor sich hin und klingelte, auf dem Weg zu Kneipe, im Hosensack mit dem Schock harter Taler, in die sich in deutschen Landen die rollenden Rubel des Zaren gewandelt hatten.
Und drinnen schritt der Staatsrat von Kotzebue in wehendem Schlafrock auf und nieder und diktierte seinem Schreiber den eiligen Geheimbericht nach Petersburg.
„Particulièrement c’est un nommé Chrétien Ellerbrook . . .“ Er unterbrach sich. „Wenn Sie mit dem Französischen nicht so rasch ins Reine kommen, so übersetzen Sie es nachher!“ Er fuhr auf deutsch fort: „Unter den verführten Jünglingen ist vorzüglich ein gewisser Christian Ellerbrook, ehedem kurfürstlich kölnischer Untertan und schon als ehemaliger Lützower einer üblen Gesinnung verdächtig, um so eher zu nennen, als er in dem berüchtigten Jena, diesem Schlupfwinkel aller freiheitlichen Verworfenheit, studiert und sich zum Überfluss nicht entblödet, zur Zeit, in der ich dies schreibe, unmittelbar nach den politischen Saturnalien auf der Wartburg, herausfordernd das Weimarer Pflaster zu treten. Auf sotanen Ellerbrook wäre, nach meinem untertänigsten Ermessen, ungesäumt von Petersburg aus die Aufmerksamkeit einer hohen österreichischen und preussischen Central-Polizeibehörde zu lenken!“
Der Studiosus Ellerbrook wanderte inzwischen an der Seite seines Freundes Helmich in seiner verwegenen schwarzen Burschentracht mit blossem Hals und langen Haaren über weissem Umlegekragen durch die Gassen von Weimar dem Graben zu. Er schwenkte das Samtbarett mit den schwarzweissen wehenden Federn und begrüsste mit einem: „Heil, Ihr Burschinnen!“ die kichernden Bürgermädel. Er runzelte grimmig die Stirne.
„Bruder: dort kommt ein Schnürling in polnischem Rock nach welscher Mode und einem schwarzen Seidenlappen um den Hals. Ich will über die Strasse und den Gecken fragen, ob er ein Deutscher ist!“
„Du wirst hier keine Händel mit der Noblesse anfangen.“ Der Assessor und Kammerjunker zog den Widerstrebenden weiter. Christian Ellerbrook sang laut und wohltönend zu den alten Bürgerhäusern empor:
„Türme und Stürme sind wir, die Zügel und Flügel!“ . . .
„Still!“
„Es ist ein altes Vorrecht der Jenenser Burschen, mit Gesang in Weimar einzuziehen!“
„Du bist aber schon in Weimar!“ Der Assessor blieb vor einem schmalen, hochgiebligen Bürgerhaus stehen. „Wir sind am Ziel. Hier wohnt die Göttliche. Zusammen mit ihrem verwitweten Vater! Poltere vor ihm nicht, wie Ihr es pflegt, gegen Gamaschendienst und Korporalstock. Der Herr von Laubisch ist, bei aller Liberalität seines Kunstsinns, ein abgedankter Major.“ Er trat mit dem Freund ins Haus. „Ich höre Stimmen aus dem blauen Salon. Es ist schöne Welt um sie. Wir wollen sie überraschen!“ Er blieb stehen und wies verklärt durch die offene Flügeltüre —: „Da sieh!“
Es war ein halbrunder, blaugetünchter Raum, dessen hohe Fenster sich auf den herbstbunten Garten und das weithin dahinter gewellte, regengraue Thüringer Land öffneten. Sparsam und steif die weissgoldenen Empiremöbel längs der schwarzen Scherenschnitte an den Wänden. Ein halbes Dutzend junger Damen sass da beisammen, hochgegürtet, in duftig wallenden dünnen Gewändern, den Blumenaufputz der grossen Schutenhüte über Stickrahmen und Häkeleien gebeugt.
Ein junges Mädchen las mit sanfter und seelenvoller Stimme aus einem goldbepressten roten Saffianbändchen vor. Sie war die einzige, die nicht, wie ihre zu Besuch gekommenen Freundinnen, im Hut war, sondern als Haustochter unter einem weissen Spitzenhäubchen wirre braune Locken sich um die weichen, einem Pastell des achtzehnten Jahrhunderts gleichenden Züge ringeln liess. Zart und mittelgross trug sie ein mit roten Rosen und grünen Blättern besticktes weisses Empirekleid nach Wiener Mode mit fünffach gepufften Ärmeln und Rosen in dem vorn gelockten und nach hinten griechisch geknoteten Haar. Die weissbestrumpften, in gemsenfarbenen, absatzlosen Bänderschuhen steckenden schmalen Füsse waren in bewusster, plastischer Anmut gekreuzt, während sie leise las.
„Euch drückte schwer das heimatliche Land.
Ihr trugt’s nicht mehr. Drum wandertet Ihr aus!“
„Das ist sie, Christian“, flüsterte der Weimarer Kammerjunker verklärt. „Urteile selbst, Bruder: Ein monniges Kind!“
„Verklärtes Blau! O hoffnungsgrüne Flut!
Die Wunde heilt und alles wird nun gut!“
Die feine Mädchenstimme schwang in Schmerz:
„Das Schiff auf Klippen treibt, dass es zerschellt!
Die Todesangst erfasst die eben Frohen —
Sei, Himmel, Du beseligend ihr Ziel,
Sie, deren Herz gestrandet wie ihr Kiel!“
Die schöne Friderique von Laubisch schloss ergriffen. Sie hob den kindlichen Kopf. Der braune Augenaufschlag war feucht, mit dem sie dem Fremdling eine kleine, klassisch geformte Hand hinstreckte.
„Nun — was sagen Sie, als Neuling in unserem Kränzchen, zu diesem Poem, Herr Studiosus?“
„Den Leuten geschieht es recht, dass sie ertrunken sind!“ Der Schwarzrock liess sich gestiefelt und gespornt, mit gefährlich funkelnden dunklen Augen auf einem Taburett nieder. „Warum haben sie ihr Vaterland verlassen wollen?“
„Um Gottes willen!“ Friderique von Laubisch fuhr ungläubig erschrocken zurück.
„Er kommt aus Jena!“ warnte ihr Verlobter.
„Doch dies erklärt nicht die Rauheit Ihres Urteils, mein Herr!“
„Nicht ich urteile, Demoiselle! Unser herrlicher, verklärter Fichte urteilt. „Der Begriff, in welchem der Mensch sein Leben als ein Ewiges erfasst’, hat er der deutschen Nation zugerufen, ‚ist seine Liebe zu seinem Volk! Liebe, die wahrhaftige Liebe sei!‘“
„Hier handelt es sich um eine höhere Geistigkeit, mein Herr!“
„Es gibt nichts Höheres, Demoiselle! ‚Volk und Vaterland, als Unterpfand der irdischen Ewigkeit, liegt weit über alles hinaus‘ hat uns Fichte vor vier Jahren gelehrt, ehe wir in den heiligen Krieg zogen. Dafür ist er selber gestorben. Dafür sind, an meiner Seite, unser Körner, unser Friesen gefallen. Und Schill. Und Scharnhorst. Aber ihre Heldenseelen leben!“
„Mein Gott: Man könnte sich ja vor Ihnen fürchten!“ Ein blondes junges Mädchen sprang kichernd auf und schnappte mitten im Wort ab, bei dem schneidenden Klang drüben:
„Lachen Sie nicht, Demoiselle, über feierliche Dinge. Wer vom Vaterland spricht, dem ziemt Ehrfurcht und Ernst!“
Donnere meine Schwester nicht so grimmig an, Christian!“ sagte der Assessor von Helmich. „Die Theora ist ja ganz blass geworden! Die Damen sind diesen rauhen Burschenton nicht gewöhnt!“ Er wandte sich, selbst doch wieder halb lachend, zu den andern Fräulein. „Das sind die Wilden von Jena! Und dabei sind sie dort noch zahm gegen die Haarscharfen in Giessen!“
„Wir