Sturm des Herrn. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.von Ihnen nehmen, Herr Studiosus!“
„Ja, ich besorge, ich habe es bei Euch verfehlt!“ Christian Ellerbrook gab lachend die Zügel seines Gauls dem Hausknecht zu halten. „Das ist mein gemeines Los. Deutschland und vorzüglich Weimar ist ein Wolkenkuckucksheim. Aber wir Schwarzen trommeln Euch schon noch wach!“
„Oh, lästern Sie nicht unser Athen an der Ilm!“ Friderique hob schmerzlich die langen, vom Schutenhut beschatteten Wimpern. „Man trifft in dieser Stadt mehr Anmut und Bequemlichkeit als irgendwo!“
„Hole der Kuckuck Anmut und Bequemlichkeit!“ Christian Ellerbrook stiefelte langsam, sporenklirrend neben Friderique von Laubisch und ihrer kleinen Beschützerin den Bürgersteig entlang. „Danach fragt ein Bursch in Jena keinen Deut, sondern nach Freiheit und Ehre.“
„Die edelsten Geister sind hier versammelt!“
„Wer wird nicht Ehrfurcht vor dem Herrn von Goethe und dem verstorbenen Herrn Professor Schiller empfinden?“ sprach der Student. „Aber der Brite stiehlt das Meer, der Wälsche stiehlt das Land, und der Teutsche schlägt indes die Leyer! Das mag in Weimar angehn. Aber es gibt viele andere Länder und Städte, soweit die deutsche Zunge klingt. In ihnen herrscht die gemeine deutsche Not.“
Er schritt in seinem Radmantel, der seinen schwarzen Rock und das Eiserne Kreuz der Freiheitskriege gegen den Regen deckte, neben dem Fräulein von Laubisch längs der Häuserreihen am Markt. Die langen Haare flogen ihm im Herbstwind um den blossen Hals. Friderique seufzte.
„Der Herr von Helmich hat Sie bei uns eingeführt — er, der gelindeste unter allen Männern!“
„Das werden die Franzosen von ihm nicht erzählen!“
„Ich hoffte, Sie wären seines schönen Schlags! Wie habe ich mich getäuscht! Man kann sich keinen schmerzlicheren Zustand denken, als der, in den Sie mich versetzt haben! Sie haben mit rauher Hand die Altäre umgestürzt, auf denen ich der Freundschaft und Schönheit opferte.“
„Das ist der Sturm von Jena, Demoiselle!“
„Das gibt mir einen traurigen Begriff von Ihrem dortigen Aufenthalt. Von Duellen und Schlägereien von dort zu hören, waren wir gewohnt, von Tumulten um das Billard und Pereatrufen auf dem Markt! Aber dass dies brausende Wesen sich jetzt in das Geistige aufbläht . . .“
„in den deutschen Geist . . .“
„. . . und dass es nicht leicht ist, ihm zu widerstehen!“ Friderique kamen die Tränen. „Es ist die kalte Verneinung der gesitteten Welt, die meine Welt ist. Und doch werde ich irre an meiner Welt!“
„Hört’s, Ihr da oben: Körner und Schill!“
„Der Herr Major von Schill war ein Preusse. Sie sind kein Preusse. Warum werfen Sie sich zum Engel mit dem feurigen Schwert auf und wollen uns aus unserem Paradies an der Ilm vertreiben?“
Sie hatten schon einmal den Marktplatz umschritten und begannen ihre Wanderung zum zweiten Mal. Das Kind trabte verfroren an Frideriques Hand nebenher.
„Ich bin in Köln, in des heiligen Reichs Pfaffengasse geboren“, sagte der Student von Jena. „Ich habe alle Ohnmacht des heiligen Reiches am deutschen Strom gesehen. Ich fand mich, einen deutschen Jüngling, vom linken Ufer des deutschen Rheins mit sechzehn Jahren als Bürger des französischen Kaiserreichs. Unter wälscher Herrschaft, mitten im Lande Wittekinds, büffelte ich als Student in Münster die Naturwissenschaften. Ich sollte eben als deutsches Kanonenfutter für die Grosse Armee des korsischen Ungeheuers ausgehoben werden, da hat ihm der Brand von Moskau den Weg zur Hölle geleuchtet. Ich sammelte Jünglinge in Münster um mich. Ich wollte in Westfalen die deutsche Freiheit ausrufen. Ich musste vor deutschen Fürstenknechten in wälschem Sold nach Preussen fliehen. In Breslau bin ich den Lützowern beigetreten. Kein Treffen, wo ich nicht dabei war. Ich bin mit Vater Blücher übern Rhein und nach Frankreich hinein und hab, wie wir geschworen hatten, mein Ross in der Seine getränkt. Ich hab ein Jahr darauf bei Ligny mitgefochten und zum glorreichen Ende bei Waterloo! Ich kam nach Köln zurück, wo meine Familie seit vielen Menschenaltern die Apotheke zu den Heiligen Drei Königen führt, und fand meinen Vater mir gram, weil ich zu den Preussen gegangen war. Er will nichts davon wissen, dass er jetzt selbst ein Preusse ist. Sein Herz hängt an der alten kurfürstlichen Bischofszeit. Immerhin schickt er mir regelmässig zu leben, so dass ich meine Studien in Jena beschliessen kann, wo allein in Deutschland unter dem edlen Karl August die Geistesfreiheit blüht!“
„So spricht ein Preusse!“ sprach Friderique schmerzlich.
„Nein. Ein Deutscher!“ schrie der Student. Er stand neben seinem regentriefenden trojanischen Pferd. „Das ganze Deutschland soll es sein!“ singt unser Arndt. Und alle guten Deutschen einander gleich! Freies Reich! Alle gleich! Heisa juchhe!“
„Die Leute laufen ja auf dem Marktplatz zusammen, Monsieur!“
„Hört’s nur, Ihr Siebenschläfer, Ihr Tuckmäuser, Ihr Bönhasen!“ Der Student kletterte in den Sattel. „Grüssen Sie Bruder Helmich von mir, mein Fräulein!“
„Ich bange schon, wenn Sie wiederkommen und von neuem unsere Residenz in Trubel bringen!“ klang es leise von unten. Ein Lachen oben unter dunklem Schnurrbart.
„Unbesorgt! Mir behagt der Markt von Jena mehr. Von dort aus streitet es sich besser gegen alle Bösen und Buben. Hier in Weimar weht mir eine zu dünne Luft. Ich komme nicht wieder. Ich wünsche wohl zu leben, Demoiselle!“
Der Studiosus Ellerbrook schwenkte das Federbarett und ritt über das Marktpflaster in der Richtung nach dem Brühl davon, und das Fräulein von Laubisch sah ihm, das Schwesterchen an der Hand, tränenschwer nach.
Viertes Kapitel
Durch die Gassen von Weimar donnerte im ersten, leisen, vorweihnachtlichen Schneeflockengestiebe eine vierspännige Glaskarosse und hielt gegenüber der grossherzoglichen Residenz, vor den Ministerien des Gelben Schlosses. Der Staatsminister Karl Wilhelm von Fritsch, ein angehender Fünfziger, ein Sohn und Enkel schon sächsischer Minister, stand zum Empfang des Besuchers hochselbst am Eingang, blossen Haupts, mit einem ehrerbietigen Lächeln auf den geistreichen, glattrasierten Zügen, die mehr den Dichter in Mussestunden als den Staatsdiener im Hauptberuf verrieten, und begrüsste voll tiefen Respekts den aussteigenden Fremden mit dem hechtgrauen Cylinderhut auf dem weissen Kopf und in einfachem rostbraunem Reisemantel und geleitete ihn in das Innere.
Gleich darauf kam eine zweite Hofequipage vor dem Gelben Schloss zum Stehen. Wieder empfing Herr von Fritsch mit gleicher feierlicher Höflichkeit einen betagten Diplomaten mit lebhaften dunklen Augen und magyarischem Gesichtsschnitt und stieg zu seiner Linken an den sich tief verbeugenden Beamten des ersten Departements des Inneren eines Grossherzoglich Weimarischen Ministerii vorbei die Treppe zum Conferenzsaal empor.
Und zur selben Zeit griff drüben am Graben im Haus des Majors im Ruhestand von Laubisch der Assessor von Helmich erschrocken nach der dünnen, um den Hals geschlungenen und über den Achatknöpfen der Blümchenmeste schaukelnden Goldkette und zog seine Uhr.
„Ich muss mich eilends empfehlen, meine Schönen, und Sie, meine Freunde! Im Gelben Schloss erwartet mich die Historie!“
„Brauchen Preussen und Österreich wirklich Deinen Rat?“ frug seine Schwester, des klassischen Namens Theora, die eigentlich Emma hiess, ein frisches blondes Mädchen. Sie stand neben der Haustochter Friderique von Laubisch in einem Kreis von Fräuleins der Schönen Welt und jungen Cavalieren in dem blauen Rundsalon vor einem künstlerischen Bühnenaufbau von leeren Stühlen und Weinkisten.
„Ich muss in der Antichambre warten, ob man mich zum Protokollieren benötigt. Meine Damen: der Ihrige!“
Der Kammerjunker von Helmich war fort. Das Stiftsfräulein von Mengershausen, das nicht mehr die Jugend drückte, gross, knochig, berühmt durch ihre scharfen Epigramme und Satiren, sprach mit tiefer männlicher Stimme:
„Wir müssen das lebende Bild ohne ihn weiter proben. Nächste Woche ist doch schon der klassische Redoutenaufzug im Stadthaus. Wir stellen an Monsieur Helmichs Plag als