Sturm des Herrn. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.schloss: „Der schiefe Kerl hatte sich Courage angesoffen! Sonst hätte er’s nie gegen mich gewagt!“ forschte er: „Tot ist der Theologus nicht?“
„Nein. Ich habe es deutlich gefühlt: Mein Dolch glitt, nachdem er Mantel, Frack und Gilet zerschnitten hatte, an etwas Festem ab — vielleicht an einer Rippe — und fuhr nach links ins Leere. Dieser Schuft, Bruder, ist nur blessiert. Vielleicht schwer, ich muss aus Weimarschen Landen flüchten.“
„Das wäre das Dümmste!“ sagte der Hofmann. „Dann sind die geheimen Auftraggeber des Spitzels Mummenthey gegen Dich Meister! Im Gegenteil: Du muss sofort nach Weimar und dort selber melden, dass Du irgendeinem Kerl, der seine Fauströhre gegen Dich zückte, in Notwehr einen Denkzettel gegeben hast. Alter Waffenbruder — die beste Deckung für uns Reitersleute ist doch ein rechter Schwadronshieb!“
„Aber wer von den grossen Herren in Weimar lässt einen ehrlichen Jenenser Burschen ohne weiteres vor sich? Ich werd’ im Vorgemach heimgelöffelt, Bruder!“
„Ich amtiere doch selbst im Ministerium und habe das Ohr des Herrn Ministers von Fritsch. Sein humaner und poetisch veranlagter Geist ist aller Billigkeit zugänglich. Wir werden Dich schon herauspochen, Freund! Hast Du ein Pferd da? Eure Jenaer Philisterpferde taugen kaum für den Schinder!“
„Ich reite noch den besten aus Jungfer Saupens Marstall!“
„Dann wollen wir gleich selber aufzäumen und ohne Zeitversäumnis abreiten. Es sind neun Meilen, Bruder! Wir dürfen uns dazu halten, dass wir morgen zur Kirchenzeit in Weimar sind . . .“
„. . . ehe dort der Universitäts-Aktuarius von Jena seinen Bericht einschickt!“
Zweites Kapitel
„Grüsse Jungfer Saupen in Jena von mir.“ Der Assessor von Helmich stieg auf dem Markt in Weimar steifbeinig aus dem Sattel. „Und sie soll dem Klepper, den sie Dir vermietet hat, künftig das Gnadenbrot geben! Wir sind die Nacht durch gekrochen wie die Schnecken. Es nimmt mich Wunder, dass uns nicht der Jenaer Postwagen unterwegs überholt hat!“
„Immerhin: Wir sind vor Protokoll und Siegellack und Streusand an Ort und Stelle!“
„Und Du trittst am besten gleich hier im ‚Erbprinz‘ ab, bis es an dem ist, Dich hohen Ortes zu präsentieren!“
Aus seinem Gasthofstübchen schaute Christian Ellerbrook auf das feine Regengeriesel hinaus. Die Dachspeier des Cranachhauses drüben trieften. Um den Neptun auf dem Marktbrunnen schützten mächtige Regendächer die schwarzbebänderten, hohen Federhauben der Bäuerinnen und ihre Körbe voll roter Äpfel und weisser Eier. Der Assessor von Helmich ging unruhig die sandgescheuerten, knarrenden Dielen auf und nieder. Er blieb sinnend stehen.
„Um die Zeit zu kürzen, Bruder, will ich Dir ein Geständnis ablegen! Ich hätte es gestern schon getan! Aber im lauten Burschentrubel war dazu nicht der Ort! Wisse denn: Ich bin so gut wie versprochen! Mit dem himmlischsten Mädchen, das die Erde trägt! Friderique heisst die Göttliche!“
„Ich danke Dir für Deinen Händedruck, Christian!“ fuhr er fort. „Ich weiss, er kommt vom Freund zum Freund! Und eben als Freier kann ich mich Dir als Freund erweisen: der Vater meines Mädchens lebt hier als Major im Ruhestand der grünen Grossherzoglichen Husaren, die Ihr in Jena respektlos die Laubfrösche nennt! Er ist ein eifriger Kunstfreund und Kunstsammler und hat als solcher Zutritt zu dem grossen Mann, zu dem Herrn von Goethe selber. Da wäre für Dich als Lesstes, wenn alle Stricke reissen, die Fürsprache Seiner Excellenz!“ Er unterbrach sich. „Habe ich’s nicht gesagt: Gleich hinter uns kommt doch schon die Hauptkutsche aus Jena an! Da hält der Postwagen vor dem Stadthaus!“
„Und wer steigt da aus?“ schrie der Studiosus Ellerbrook durch das Schmettern des Posthorns und deutete auf das Gervirr von Menschen, Koffern, Gäulen um den gelben Kasten. „Da — zwischen den Philistern der fahle, übernächtige Mensch im Radmantel und Schifferhut . . .“
„Das ist . . .“
„Das ist des Teufels Kandidat! Das ist der Mummenthey! So was backt der Böse nicht zweimal! Er lebt! Er lebt!“
„Sei froh!“
„Er ist auch nicht blessiert! Der Saufbruder kann heren! Na warte!“
„Halt! . . . Halt! . . . Wohin?“ Der Herr von Helmich hielt von rückwärts mit beiden Armen den Jenenser auf seinem Sprung nach der Türe umschlungen.
„Lass mich! Ich muss hinunter! Der Verräter hat ja den Zettel mit unseren Feuersprüchen von gestern Abend bei sich — mit unsern Namen.“ Christian Ellerbrook rang ungebärdig mit dem Freund. „Er soll ihn herausgeben oder verrecken . . .“
„Du bleibst hier in der Stube!“ Der von Helmich und der Jenenser taumelten atemlos im Ringkampf über die Diele. Ein Blick des Assessors dabei durchs Fenster: „Gott sei Dank! Da steigt der Kerl über den Marktplatz!“
„Er biegt um die Ecke!“ stöhnte Christian Ellerbrook und setzte sich dumpf und erschöpft auf die Bettstelle. „Nun ist der Schelm einem ehrlichen Burschen wie mir wieder entronnen!“
„Um so besser! Mit desto reinerem Gewissen kann ich Dich jetzt, nachdem ich meinen vorläufigen Bericht über das Wartburgfest im Ministerium abgelegt habe, Friderique präsentieren.“ Der Assessor lugte nach der Windischen Gasse hinüber. „Aber sei vor diesem verloffenen und versoffenen Theologus auf der Hut! Seine Wegrichtung ist verdächtig. Ich kann mir schon denken, bei wem der Judas mit seinen Waren hökern wird! Wir Weimarer haben wie die Trojaner den Feind in den Mauern!“
An einem vornehmen Bürgerhaus der Altstadt zog der Kandidat Mummenthey die Klingel. Ein Diener machte auf, nickte ihm zu und öffnete ihm schweigend die Türe zu einem weiten Wohnraum. In ihm sass ein mittelgrosser Mann am Schreibtisch, über Papierblätter gebeugt. Beim Knarren der Angel liess er den Gänsekiel sinken und wandte sich nervös um. Dichtes fahles Haar eines hohen Fünfzigers krauste sich ihm über dem bartlosen, weichlichen und schalkhaften Faunsgesicht, dem die dunklen Augen doch einen bedeutenden, weltkundigen Ausdruck gaben. Eine Art von Schwermut in ihnen widersprach dem geniesserischen Leichtsinn auf den sinnlich geformten Lippen und die noch vom Schreiben her frivol zuckenden Mundwinkel.
„Ich habe meinen täglichen Druckbogen vor dem Frühstück noch nicht fertig!“ sprach er mit hoher Stimme zu dem Diener. „Warum störst Du mich?“ Jetzt erst erkannte er den Besucher und erhob sich. Er trug unter einem vorn offenen, bis zur halben Wade reichenden Schlafrock eine schwarzseidene Weste und lange dunkle Hosen. Zwischen hohen, weissen, spiss zulaufenden Vatermördern richtete sich sein Blick neugierig auf den Kandidaten. Ein Wink an den Diener, das Zimmer zu verlassen. Ein Lächeln:
„Nun — wie war es mit den jungen Jakobinern auf der Wartburg?“
„Ach — Herr Staatsrat . . .“ Der Kandidat Mummenthey sank auf einen Sessel. Der andere trat belustigt näher.
„Tränen, mein Bester . . .?“
„Ach, Herr von Kotzebue! Ich bin ein unwürdiges Subjekt!“
„Nun — was macht denn das?“
„Mein Herz steht allem Hohen und Heiligen offen!“ heulte der Kandidat.
Der Weimarer Bürgersohn und Kaiserlich russische Legationsrat August von Kotzebue lächelte nachsichtig:
„Dafür apanagiere ich Sie nicht!“
„Ich weiss, ich gelte für einen geschickteren Säufer als Patrioten. Aber die Weihestunden gestern auf der Wartburg haben mich ins Tiefste erschüttert. Unter Zähren gelobte ich mir, künftig Teutschland zu dienen!“
Kotzebue schaute mit einem interessierten Ausdruck des Komödiendichters auf den reuigen Mann, so als spielte ihm der eine wirksame Bühnenszene vor.
„Weiter, mein Allerbester!“
„Am Nachmittag . . .“ Ein ersticktes Schluchzen, „kam bei mir die Wahrheit in der Tiefe der Flasche! Ich bekam Mut! Ich steckte eine Pistole zu mir. Ich schlich mich im Dunkel