WILDER FLUSS. Cheryl Kaye Tardif

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WILDER FLUSS - Cheryl Kaye Tardif


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den schroffen Northwest Territories Kanadas ist eine der spektakulärsten Sehenswürdigkeiten überhaupt, von unvorstellbarer Schönheit und voller verborgener Gefahren. Man trifft dort auf unglaublichen Artenreichtum in Flora und Fauna – ganz zu schweigen von dem Reichtum an Legenden ›mit einem langen Bart‹, wie mein Mann sagen würde.

      Er könnte also der Fluss sein, von dem die Freundin meiner Mutter gesprochen hatte – oder eben auch nicht. Nichtsdestotrotz birgt der Nahanni River zahlreiche Geheimnisse. Entlang seiner Ufer wurden vor Jahrzehnten kopflose Skelette und Leichen entdeckt und über die Jahre verschwanden dort immer wieder spurlos Menschen. Oft spricht man sogar vom ›Bermudadreieck Kanadas‹.

      Obwohl WILDER FLUSS mit Tatsachen verflochten ist, basiert dieser Roman auf Fakt und Fiktion.

      Ich lasse Sie selbst bestimmen, was davon Sie glauben möchten. Brechen Sie auf zu einem Abenteuer auf dem …

      WILDEN FLUSS

      TEIL EINS

      Unterströmungen

      

       Ich möchte Gottes Gedanken kennen;

       alles andere sind Nebensächlichkeiten.

      ~ Albert Einstein

      Kapitel 1

      »Sie hört immer auf ihr Herz«, krächzte eine Stimme.

      Erschrocken von der plötzlichen Unterbrechung hob Professor Del Hawthorne ihren Kopf und schnappte nach Luft.

       Was zum …?

      Ein Mann stand in der Tür ihres Hörsaals und rang nach Luft. Er war Ende siebzig und trug eine schmuddelige Wildlederjacke über einem Anzughemd, das wohl irgendwann einmal blütenweiß gewesen sein musste. Es war zerrissen und voller Flecken, die verdächtig nach getrocknetem Blut aussahen. Seine maßgeschneiderte schwarze Hose war unterhalb der Knie abgerissen.

      Er kam in den Raum gestolpert und schlug die Tür zu.

      Del warf Peter Cavanaugh, ihrem jungen Anthropologieprotegé, einen alarmierten Blick zu. Sie erhob sich langsam von ihrem Pult und wandte sich an den alten Mann.

      »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«

      Sein strähniges graues Haar bedeckte einen Teil seines Gesichts und schrie förmlich nach Shampoo und einem Haarschnitt. Die fleckige, zerfurchte Haut erinnerte sie an verwitterte Zedernrinde. Doch es waren seine glasigen, wenngleich seltsam vertrauten Augen, die ihr Herz einen Schlag aussetzen ließen.

      Kannte sie diesen Mann?

      »Sir?«

      Seine Augen blitzen gefährlich auf. »Sie hört immer auf ihr Herz!«

      Del schluckte.

      Sie bekam nicht jeden Tag den Lieblingsspruch ihres Vaters zu hören – und schon gar nicht, wenn es nicht ihr Vater selbst war, der ihn aussprach. Stattdessen kamen die Worte aus dem Mund eines Mannes, der so aussah, als käme er geradewegs aus der Irrenanstalt.

       Wie zum Teufel ist er am Sicherheitsdienst vorbeigekommen?

      Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Verdammt!

      Nach sechs Uhr waren für gewöhnlich nur noch zwei Sicherheitskräfte im Anthropologieflügel und wahrscheinlich drehten sie gerade ihre Runde oder waren am Snackautomaten.

      Sie sah zu Peter hinüber.

      Der junge Mann hatte Angst. Bewegungslos stand er am anderen Ende des Zimmers und hatte den Kopf auf seine Brust gesenkt.

      »Die Campus-Security wird bald hier sein«, sagte er leise.

      Der Mann wandte sich Peter mit halb geschlossenen Augen zu. »Wer ist das?«

      Del trat zögerlich nach vorne. Vorsichtig legte sie ihre Hände auf die Tischkante des Pults, um die Aufmerksamkeit des Mannes nicht auf sich zu lenken.

       Wo ist der verdammte Knopf?

      Der Sicherheitsdienst hatte an der Schreibtischunterseite eines jeden Fakultätsmitglieds Auslöseknöpfe für stillen Alarm montiert. Die Zeiten hatten sich geändert. Schulen, Colleges und Universitäten waren allzu häufig Zielscheiben für mordlüsterne, geistesgestörte Psychopathen geworden.

      Sie drückte den Knopf und holte tief Luft. Hoffentlich war dies heute nicht der Fall. »Die Security wird jede Minute hier sein.«

      Der alte Mann riss seinen Kopf herum, einen flehenden Ausdruck in seinen Augen. »Erkennst du mich denn nicht wieder?«

      »Sollte ich das?«

      Welche Reaktion sie auch immer erwartet hatte, es war nicht die, die sie bekam. Statt ihre Frage zu beantworten, sackte der Mann wirr murmelnd auf dem Boden zusammen. Mit seiner rechten Hand griff er zittrig in die Falten seiner Jacke.

      Del hämmerte nun mehrfach auf den Alarmknopf ein.

       Wo zum Teufel bleibt der Sicherheitsdienst?

      Entsetzt sah sie, wie der Mann etwas Sperriges aus seiner Jacke zog.

       Eine Waffe?

      Wie aus dem Nichts stürmten zwei bewaffnete Wachmänner in den Raum.

      Dann brach die Hölle los.

      Im einen Moment stand sie noch hinter ihrem Schreibtisch. Im nächsten lag sie auf dem Boden – und Peter Cavanaugh auf ihr.

      In der Erwartung, dass jeden Augenblick Schüsse fallen könnten, wartete sie und hielt den Atem an. Nichts. Stattdessen waren polternde Geräusche und ein paar ächzende Laute zu hören.

      Schließlich rief einer der Wachmänner: »Wir haben ihn, Professor.«

      Del atmete erleichtert auf.

      »Alles okay?«, fragte Peter, sein unschuldiges, jungenhaftes Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.

      Sie stöhnte. »Äh, Mr. Cavanaugh? Die Security hat ihn unter Kontrolle, Sie können jetzt wieder von mir herunter – Sie erdrücken mich.«

      Peters Gesicht nahm den köstlichen roten Farbton eines Hummers an.

      »Wollte nicht, dass Sie angeschossen werden«, murmelte er und half ihr zurück auf die Beine.

      Sie klopfte ihre Kleidung ab und blickte zur Tür.

      Der Sicherheitsdienst schleppte den Eindringling hinaus in den Flur.

      Plötzlich hörte sie den Mann rufen: »Delly! Ich bin’s!«

      Nur ein einziger Mensch hatte sie je Delly genannt.

      »Halt!«

      Sie lief aus dem Hörsaal zu ihm.

      »Ich habe sie gesehen«, zischte er mit wildem Blick. »Ich habe die Zukunft gesehen … keine Menschen … Monster!«

      »Professor Schroeder?«, wisperte sie. »Sind Sie das?«

      Der alte Mann sah sie eindringlich an. »Du musst den Direktor aufhalten, Delly!«

      Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. »Den Direktor von was? Professor, wir dachten, Sie wären tot. Sie, mein Vater, die anderen Männer …«

      Schroeder beugte sich näher zu ihr. »Sie werden deinen Vater töten, Delly.«

      »Er – er lebt?«

      »Fürs Erste. Die miesen Dreckskerle haben ihn. Du musst die Zelle zerstören. Ich weiß, wie man hineingelangt. Zum geheimen Fluss. Ich weiß, wie man hineingelangt … und wieder heraus.«

      »Professor Hawthorne«, mahnte einer der Wachmänner. »Wir müssen ihn nach unten bringen.«

      Auf


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