BLOOD RIVER - FLUSS DES GRAUENS. Phillip Tomasso

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BLOOD RIVER - FLUSS DES GRAUENS - Phillip Tomasso


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lauteten seine Worte.

      Rick las sich die dritte Seite des Briefs zweimal durch und überflog dann erneut die Fotos und die Zeitungsausschnitte. Er legte die Dokumente in die Mappe auf seinem Schoß zurück und klappte sie zu.

      »Ihre grauen Zellen arbeiten«, sagte Halperin. Er drehte einen Finger neben seiner Schläfe, was eher so wirkte, als wollte er andeuten, dass jemand verrückt war.

      »Sie arbeiten«, sagte Rick, »aber in alle möglichen Richtungen. Ich bin mir nicht ganz sicher, dass ich das verstehe.«

      »Was gibt’s da nicht zu verstehen?«, fragte Krantz. »Es ist doch alles genau erklärt.«

      »Und Ihnen gefällt das? Sie wollen diese Idee verwirklichen?« Rick war sich nicht im Klaren, ob er überhaupt begriff, was die Idee war. Er wollte nicht so wirken, als ob er nicht dazugehörte, sondern so, als wären sie alle der gleichen Meinung. Das war albern. Wenn er es nicht verstand, sollte er das auch sagen können. Aber stattdessen befürchtete er, nicht dazuzugehören.

      »Ich persönlich finde es genial. Einfach genial!« Halperin klatschte so laut in die Hände, dass Rick fast zusammenzuckte.

      Kapitel 3

      Nach der Besprechung überlegte Rick, ob er seine Frau anrufen sollte. Bisher hatte er keine Zeit dafür gefunden. Nachdem sie Ricks Zusage hatten, wollten Krantz und Halperin sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Es gab viel zu erledigen, aber nicht viel Zeit. Der Arbeitstag flog nur so dahin. Da er keine Mittagspause gemacht hatte, war Rick in der Lage, das Büro anderthalb Stunden früher als üblich zu verlassen.

      Auf dem Nachhauseweg beschloss er, beim Floristen an der Ecke anzuhalten. Er kaufte ein jahreszeitgemäßes Bouquet Herbstblumen: Sonnenblumen und duftenden Lavendel mit Schleierkraut. Kurz überlegte er, eine neue Vase dazuzukaufen, aber er tat es nicht. Als er zu seinem Haus abbiegen wollte, hielt er stattdessen gegenüber an. Er stellte den Motor ab und blieb im Auto sitzen. Er starrte das Haus an. In der Küche und im Wohnzimmer brannte Licht – nichts Ungewöhnliches.

      Was ihn aber störte, war das Auto, das hinter dem seiner Frau in der Einfahrt parkte. Das war das Problem. Er kannte es nicht, schrieb sich das Kennzeichen, die Marke und das Modell auf. Er hatte keine Ahnung, was er mit diesen Informationen machen wollte. Aber das war egal, haben wollte er sie trotzdem.

      Rick spielte mit dem Gedanken, hinter dem Auto zu parken und ins Haus zu gehen. Das war es, was er tun wollte, was er tun sollte. Doch er tat es nicht.

      Stattdessen startete Rick sein Auto wieder. Ziellos fuhr er bis 17 Uhr in der Stadt herum und kehrte erst dann nach Hause zurück.

      ***

      Als er diesmal zu seinem Haus abbog, stand das Auto nicht mehr in der Einfahrt. Rick bereute es, die Blumen gekauft zu haben, und überlegte, ob er sie im Auto lassen sollte. Er konnte sie ja am nächsten Morgen wegwerfen oder sie auf der Arbeit einer der Sekretärinnen schenken. Die Neuigkeiten, die er Karen zu erzählen hatte, würden sowieso einen Streit vom Zaun brechen. Die vorweg gekauften Blumen fühlten sich wie ein Eingeständnis seiner Schuld an. Vielleicht waren sie das auch.

      Seine Schuld kam ihm so ironisch vor, dass er fast lachen musste. Rick wollte nicht weiter nachgrübeln, was es bedeuten mochte. Im Moment war es besser, das zu verdrängen und sich später damit auseinanderzusetzen. Er hatte einfach nicht die Zeit, es anzugehen – weder in einer Auseinandersetzung mit Karen noch in seinen Gedanken.

      Er stieg aus dem Auto, klemmte sich das Bouquet unter den Arm und griff über den Sitz nach seiner Tasche. Normalerweise befand sich darin nichts Nützliches: ein Notizbuch, Stifte und Angelzeitschriften. Er trug die Tasche eigentlich nur mit sich herum, weil alle im Büro eine hatten. Oft fragte er sich, was sie wohl in ihren Aktentaschen hatten. Sein eigenes Requisit kam nur mit auf die Arbeit und wieder nach Hause. Im Büro lag es auf dem Schreibtisch und zuhause neben der Küchentür. Heute Abend allerdings befand sich eine Kopie der Akte darin, die Krantz ihm gezeigt hatte.

      Er war sich bewusst, dass seine wandernden Gedanken nur eine Verteidigungstaktik waren, mit der er vermied, über den Ausgang des Abends zu spekulieren. Er schüttelte den Kopf. Ohne jeden Grund rückte Rick seinen Krawattenknoten zurecht. Es war schon fast November. In der Luft schwang eine Kühle mit, die ihn normalerweise belebte, heute Abend aber nur frösteln ließ. Wobei Rick nicht davon überzeugt war, dass sein Erschaudern viel mit den fallenden Temperaturen zu tun hatte.

      Die Küchentür war unverriegelt. Er betrat das Haus und legte seine Brieftasche auf die Anrichte neben der Tür.

      »Einen Moment lang habe ich gemeint, du würdest nicht reinkommen«, sagte Karen.

      Über eine Stunde lang hatte er sich dasselbe gefragt.

      Der Küchentisch war gedeckt und Jareds Hochstuhl zwischen Ricks und Karens Stühlen an den Tisch gerückt. »Noch ein paar Minuten länger und ich hätte den Braten wegwerfen müssen. Dann wäre er so ausgetrocknet gewesen, dass nicht mal der Hund von nebenan dran gekaut hätte.«

      Rick ging nicht darauf ein. Er schwieg und knöpfte sich nur den obersten Knopf seines Hemds auf, bevor er seine Krawatte lockerte und sie über den Kopf zog. »Wie war dein Tag?«

      »Nicht besser oder schlechter als üblich. Jared und ich haben uns beschäftigt, und ich habe gekocht und saubergemacht.«

      »Und sonst nichts?«

      Sie starrte ihn schmaläugig an. »Sonst nichts.«

      »Ist Jared im Bett?«

      »Im Laufgitter. Er hat ein Nickerchen gemacht. Ich habe im Hintergrund den Fernseher laufen lassen. Willst du ihn grad holen?« Karen klappte die Ofentür auf und nahm mit großen Ofenhandschuhen eine Kasserolle mit einem großen Braten heraus, der von Karottenscheiben und Kartoffeln umgeben war.

      Rick legte seine Krawatte und die Blumen auf den Wohnzimmersessel und lächelte seinen Sohn an, den Lichtblick seines Abends. »Hallo, Kumpel. Na, du?«

      »Dada.« Jared streckte seine Arme hoch.

      Rick hob seinen Sohn aus dem Laufgitter und stellte den Fernseher ab. »Na, wie geht’s? Wie geht’s meinem kleinen Kumpel?«

      In der Küche setzte Rick seinen Sohn vorsichtig in den Hochstuhl. »Das riecht lecker«, sagte er und rollte sich die Ärmel bis kurz unter die Ellbogen hoch.

      Schweigend aßen sie. Die einzigen Geräusche kamen von Jared, der gluckste und schnaufende Geräusche beim Essen machte. Er zermatschte das Gemüse mit seinen kleinen Händen und leckte es sich von den Fingern. Das Lätzchen war nutzlos – nach dem Dinner würde er gebadet werden müssen.

      Die ganze Zeit über fragte sich Rick, wer in seinem Haus gewesen war. Er hatte Karen die Chance gegeben, zu sagen, dass sie Besuch gehabt hatte. Der Braten lag ihm wie ein Kloß im Magen. Er aß weiter, da es leichter war, als zu reden.

      Sein Kopf war voller Gedanken, die durch sein Hirn wirbelten. Er überlegte, wie er die Konferenz zur Sprache bringen konnte. Karen hatte nicht danach gefragt. Entweder hatte sie es vergessen oder es interessierte sie nicht. Wenn er gekonnt hätte, würde er das Thema einfach ignorieren. Aber leider führte kein Weg daran vorbei. Was sie besprochen hatten, betraf nicht nur ihn und seine Karriere, sondern auch Karen und Jared.

      Rick legte Gabel und Messer nieder und räusperte sich. »Ich, äh, hatte heute Morgen auf der Arbeit diese Besprechung.«

      »Das hättest du auch eher erwähnen können. Dann hätten wir was zu erzählen gehabt«, sagte sie.

      Er konnte es ihr einfach nicht recht machen.

      »Und? Was war nun damit?«

      »Es ging um die Show. Unsere Einschaltquoten sind extrem gesunken.«

      Karen sah Rick an. Vielleicht hasste sie die Vorstellung, dass ihr Mann ein Angler in einer Fernsehsendung war, und auch die Tatsache, dass sie immer peinlich berührt aussah, wenn sie jemandem erzählte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente – aber


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