Das verlassene Haus. Louise Penny

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Das verlassene Haus - Louise Penny


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zusammengebunden.

      »Und«, sagte Myrna und wedelte wie ein Zauberer mit ihrer Serviette, »voilà.« Sie griff in das Gesteck und holte ein Schokoladenei heraus. »Das reicht für uns alle.«

      »Wiedergeburt«, sagte Clara.

      »Aber dazu muss es zuerst einen Toten geben«, stellte Sophie fest und sah sich mit gespielter Unschuld um. »Stimmt doch, oder?«

      Sie saß neben Madeleine, gerade in dem Moment, als Monsieur Béliveau dort Platz nehmen wollte, hatte sie sich auf den Stuhl fallen lassen. Sophie packte das Schokoladenei und legte es vor sich.

      »Geburt, Tod, Wiedergeburt«, sagte sie weise, als würde sie die Runde mit einem völlig neuen Gedanken bekannt machen, den sie frisch von der Universität mitgebracht hatte.

      Sophie Smyth hatte etwas von einer Verwandlungskünstlerin an sich, dachte Clara. Das war schon immer so gewesen. Manchmal tauchte sie als Blondine auf, manchmal als Rotschopf, mal mollig oder schlank, manchmal gepierct und manchmal ohne jeden Schmuck. Man wusste nie, was einen erwartete. Aber eines blieb immer gleich, dachte Clara, während sie das Mädchen mit dem Ei vor sich betrachtete. Sie bekam stets, was sie wollte. Nur, was wollte sie?, fragte sich Clara und wusste, dass es vermutlich mehr als ein Osterei war.

      Eine Stunde später sahen Peter, Ruth und Olivier den anderen hinterher, die in der Dunkelheit verschwanden, bis man von ihnen nur noch die hüpfenden Lichtkegel ihrer Taschenlampen sah. Zuerst blieben sie dicht beieinander, aber nach und nach lösten sich die Lichter voneinander, verteilten sich, bis jeder für sich allein auf das dunkle Haus auf dem Hügel zustapfte, das sie schon zu erwarten schien.

      Jetzt mach dir nicht in die Hosen, sagte Peter zu sich selbst. Es ist doch nur ein dummes Haus. Was soll dort schon passieren?

      Aber Peter Morrow erkannte berühmte letzte Worte.

      Clara hatte sich nicht mehr so gefühlt, seit sie ein Kind gewesen war und sich absichtlich in Angst und Schrecken versetzt hatte, indem sie sich den Exorzisten ansah oder die Achterbahn mit dem Doppellooping in La Ronde bestieg, schlotternd und kreischend, einmal hatte sie sich sogar beinahe in die Hose gemacht.

      Es war gleichzeitig aufregend, beängstigend und unheimlich. Je mehr sie sich dem Haus näherten, desto deutlicher hatte Clara das Gefühl, dass das Haus auf sie zukam und nicht umgekehrt. Sie erinnerte sich nicht einmal mehr daran, weshalb sie es machten.

      Hinter sich hörte sie ein Rascheln und dann Stimmen. Zum Glück fiel ihr ein, dass Madeleine und Odile hinter ihr gingen, die Nachzügler. Dann fiel ihr noch ein, dass es in Horrorfilmen die Nachzügler immer zuerst erwischte, und sie verspürte Erleichterung. Nur wäre danach sie die Letzte. Sie beschleunigte ihren Schritt. Gleich darauf ging sie wieder langsamer, rang mit sich, ob sie lieber überleben oder belauschen wollte, was die beiden Frauen einander zu sagen hatten. Nach dem, was sie während des Ostereierversteckens zufällig mitbekommen hatte, war sie davon ausgegangen, dass Odile Mad nicht mochte. Worüber redeten sie also?

      »Das ist einfach nicht gerecht«, sagte Odile gerade. Madeleine erwiderte etwas, das Clara nicht verstand, und wenn sie noch langsamer ging, dann würde der Lichtkegel von Madeleines Taschenlampe sie erfassen, was kein günstiges Licht auf sie werfen würde.

      »Ich musste meinen ganzen Mut zusammennehmen, um das zu sagen.« Odile sprach jetzt lauter.

      »Ach, Odile, das ist doch lächerlich!«, sagte Madeleine klar und deutlich und nicht besonders freundlich. Mit dieser Seite von Madeleine hatte Clara bisher noch keine Bekanntschaft gemacht.

      Claras Aufmerksamkeit war so sehr darauf gerichtet, den beiden zu lauschen, dass sie unvermittelt mit einer dunklen Gestalt zusammenstieß. Gilles. Sie hob ihren Blick.

      Sie waren da.

      8

      Sie standen dicht aneinandergedrängt in der Kälte und der Dunkelheit. Der Lichtschein ihrer Taschenlampen hüpfte wild über die Fassade des baufälligen Hauses. Das »Zu verkaufen«-Schild war umgefallen und lag wie ein umgestürzter Grabstein mit der beschrifteten Seite auf der Erde. Als Clara ihre Taschenlampe weiterwandern ließ, entdeckte sie weitere Spuren des Verfalls. Das Haus war verlassen, das wusste sie, aber sie hätte nicht gedacht, dass ein verlassenes Haus so schnell verfiel. Fensterläden hingen lose in den Angeln und schlugen dumpf gegen die Mauern. Einige der Fensterscheiben waren kaputt, und spitze Scherben ragten wie geschliffene Zähne in die schwarzen Löcher. Als etwas Weißes, das zusammengerollt an der Hauswand lag, in den Lichtkegel geriet, setzte ihr Herz für einen kurzen Moment aus. Ein totes, gehäutetes Tier.

      Zögerlich ging sie durch den Garten, die Platten auf dem Weg hatten sich verschoben und standen hervor. Dann hielt sie inne und drehte sich um. Die anderen standen noch immer aneinandergedrängt an der Straße.

      »Kommt schon«, zischte sie.

      »Meinst du uns?«, fragte Myrna wie erstarrt. Sie ließ den weißen Fleck an der Hausmauer nicht aus den Augen.

      »Außer uns Häschen ist niemand da«, sagte Gabri.

      »Was ist das?« Myrna schlich langsam den Weg hoch, bis sie neben ihrer Freundin stand. Sie deutete mit dem Finger auf die Stelle und merkte plötzlich, dass er zuckte. Sandte ihr Körper ein Signal aus? Einen Morsecode? Wenn, dann wusste Myrna auch, was er bedeutete. Lauf.

      Clara drehte sich wieder zu dem Haus um und holte tief Luft, sprach ein kleines Tischgebet und machte einen Schritt auf die Mauer zu. Der Boden fühlte sich matschig an und quietschte bei jedem Schritt. Myrna konnte kaum mit ansehen, was Clara da tat, und wollte losrennen, die Freundin zurückreißen, sie festhalten und umarmen und ihr sagen, dass sie das nie wieder tun durfte. Aber stattdessen sah sie nur zu.

      Clara ging zu dem Haus und bückte sich. Dann richtete sie sich wieder auf und zog sich rasch in die relative Sicherheit des Wegs und Myrnas zurück.

      »Du wirst es nicht glauben, aber es ist Schnee!«

      »Das kann nicht sein. Der Schnee ist doch schon lange geschmolzen.«

      »Hier nicht.« Clara kramte in ihrer Hosentasche und zog einen riesigen, schweren Bartschlüssel heraus.

      »Und ich dachte die ganze Zeit, du würdest dich freuen, mich zu sehen«, sagte Myrna.

      »Ha, ha«, Clara lächelte. Sie war froh, dass Myrna ihren Humor nicht im Dorf zurückgelassen hatte. »Die Immobilienmaklerin war überglücklich, ihn mir zu überlassen. Ich bezweifle, dass sie in den letzten Monaten das Haus jemandem gezeigt hat.«

      »Was hast du ihr gesagt?«, fragte Madeleine. Da Clara und Myrna offenbar noch lebten, hatten die anderen beschlossen, sich zu ihnen zu gesellen.

      »Dass wir alle Dämonen zusammentrommeln und aus dem Haus vertreiben werden.«

      »Und daraufhin hat sie dir den Schlüssel überlassen?«

      »Sie hat ihn mir praktisch nachgeworfen.«

      Clara steckte den Schlüssel in das Schloss, aber da war die Tür schon aufgegangen. Sie ließ den Schlüssel los und sah zu, wie Schlüssel und Türknauf in der Dunkelheit verschwanden.

      »Weshalb machen wir das hier schnell wieder?«, flüsterte Monsieur Béliveau.

      »Aus Spaß«, sagte Sophie.

      »Nicht alle von uns«, sagte Jeanne, dann umrundete die kleine, farblose Frau das Grüppchen und ging ins Haus.

      Einer nach dem anderen betraten sie das alte Hadley-Haus. Drinnen war es noch kälter als draußen, und es roch muffig. Der Strom war schon lange abgestellt worden, und die Lichtkegel aus den Taschenlampen strichen über die Blumenmustertapete, die sich stellenweise von der Wand löste und feuchte Flecken hatte, Wasserflecken, wie sie hofften. Sie trugen die Taschenlampen wie Schwerter vor sich her, als sie tiefer in das Haus drangen, sie verliehen ihnen Mut. Die Dielen knarrten unter ihren Schritten, und aus der Ferne war ein Flattern zu hören.

      »Ein Vogel«, sagte Gabri. »Der Arme findet nicht raus.«

      »Wir


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