Filmgewitter. Rudolf Stratz

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Filmgewitter - Rudolf Stratz


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doch seine Diva auch ohne Steckbrief kennen — der smarte Ted . . .“

      „Ted! Ted! . .“ Die byzantinische Majestät feixte düster. ,,Tarnopol liegt doch nicht in den Vereinigten Staaten!“

      „Aber Turkowitz hat ’mal in Amerika als Manager einer Wiener Operettengesellschaft gleich in den ersten Wochen umgeschmissen! Seitdem fühlt er sich halb als Yankee . .“

      Drüben, am andern Ende der mächtigen Halle, vertrat sich der kleine Turkowitz die Beine. Er hatte die rastlos rollenden Schwarzkirschen von Augen scheinbar schläfrig zugekniffen. Er schlenderte, die Hände in den Hosentaschen, als ein Schlachtenbummler des Glashauses. Niemand achtete viel auf den olivgelben kleinen Mann mit dem pechfarbigen Haar. Jetzt blieb er stehen und hielt ein aufgeklapptes Notizbuch dicht vor die Augen, so dass man die darin steckende Photographie nicht sah. Die wenigen Herren im Alltagsgewand, die barhaupt zwischen dem buntgekleideten Filmvolk herumliefen — Regisseure, Inspizienten, Architekten, Kostümzeichner, Dramaturgen, Geschäftsführer —, hatten alle, mit Ausnahme der Operateure, irgendein Heft oder Aktenstück in der Hand. Es fiel nicht auf, dass der Kiebitz in der Ecke über den Rand hinweg rasch noch einmal irgend jemanden in der Nähe mit dem Bild innen verglich.

      Dicht vor Turkowitz kauerte, auf einem Stapel staubiger Bretter, malerisch ein Schwarm byzantinischer Zirkushetären — lauter schöne Geschöpfe, blond, braun, brünett in höchst durchsichtigem und knappem Flor —, ein Blumenflor im Farbengegaukel von Zimmet- und Orangebis zu Lachs- und Pfirsich-, Elfenbein-, Perlmutter- und Bordeauxtönung. Einer der bunten Schmetterlinge führte das grosse Wort. Sie sass ganz oben auf dem Holzstoss, baumelte mit den blossen, dünnen Beinen und schwatzte in sprudelnder Suada, während ihre schlanken zehn Finger ebenso flink an einem himmelblauen Jumper strickten und die blanken Blauaugen im Saal herumliefen. Sie trug einen hochfrisierten, künstlichen Haarturm von venezianischem Rotgold. Darunter sah ihr grossäugiges, schmales und lebendiges Gesicht blendend hübsch aus — mit der naseweisen, zierlichen Nase und dem etwas grossen, spitzbübischen Mund. Der lief wie ein Mühlbach . .

      „Nee — als Schwester im Feld erlebt man tolle Sachen . .“ sagte sie, heftig die Jumpermaschen auf die Nadeln reihend. Vor Ted Turkowitz raunte eine der ihm den Rücken drehenden Phrynen ihrer Nachbarin zu:

      „Nun erzählt sie wieder ihre Räubergeschichten aus der Wasserpolackei . . .“

      „Also an den Rokitnosümpfen — da war es gegen den Schluss hin dreckig“, berichtete das Zirkusmädchen eifrig aus seiner Höhe. „Läuse . . . nichts zu futtern . . Malaria — und alle Lazarette knüppelvoll . . Man musste ’mal ’raus . . Ich sag’ zu dem kleinen Leutnant: ,Seien Sie ’mal nett und nehmen Sie mich mit in den Schützengraben . .!’ Und weiss Gott . . er hat’s getan!“

      „Nanu?“

      „Ehrenwort!“ Die Märchenerzählerin stiess sich beteuernd die stumpfe Spitze der Stricknadel gegen die weisse Brust. Ihre blossen, weissen Arme leuchteten über dem halbfertigen Jumper. Sie trug zu dem goldroten Kunsthaar ein seidenpapierdünnes, klassisch kurzes Röckchen von dem pfaublauen, goldig wechselnden Schmelz des Mittelmeers und einen Kranz von weissen Rosen um die Stirne und hatte, als Blumenverkäuferin in der Arena, einen Korb mit papiernen Rosen neben sich stehen. Sie wirkte, von der blendenden Flut der elektrischen Sonnen von allen Seiten her golden-überflimmert, wie ein Hirtenbild aus Hellas, wie eine lebendig gewordene Tanagrafigur, und hatte dabei doch ein ganz modernes, nervöses, rein deutsches Gesicht.

      „Ja . . . Das war noch ’ne Zeit damals . . . Gott . . ’s ist ja auch schon Jahre her — damals war ich ein blutjunger Affe . .“ Die Märchenprinzessin liess das Strickzeug sinken. „Da sitzt man nun hier als Flimmerjule siebter Güte! . . Und von morgen ab ist’s auch damit Essig — und man kann wieder daheimhocken und Tintenwischer fabrizieren . . immer ein Dutzend . . für die Fabrik . . Wie? . . ja . . . Tintenwischer . . lauter so Rumpelstilzchen. Und Dachauer Bäuerinnen in dicken Röcken als Nadelkissen . . Und dann kann man noch froh sein, dass man wenigstens das gelernt hat . .“

      „Wo denn?“

      „Gott . . Im Anfang meiner Karriere . . . als Kunstgewerblerin in München . . Man kommt ja zu nichts . . In dem Affenkasten hier erst recht nicht . . Wenn man erst ’mal in die Edel-Komparserie eingepfarrt ist, dann ist Schluss! Dann kann man sich die Halbgötter drüben aus der Entfernung bekieken!“

      Mitten im Glashaus — um sie eine ehrfurchtsvolle Leere — standen die Prominenten mit den Direktoren, Regisseuren und ein paar von auswärts, von der Theaterprobe oder aus einem anderen Atelier gekommenen Kollegen und Kolleginnen in Zivil. Unter ihnen Dimitrij Senestry als Kaiser Justinian, Linda Sabbadini, die Italienerin, von Theodoras Thron gestiegen, der bärtige Feldherr Belisar in Helm und Harnisch, seine Gattin Antonina, die Seelenfreundin der Kaiserin — die schöne, blasse, schlanke Barbe Rank — eine kühle Blonde mit feuchten grauen Meerfrauen-Augen. Kammerfrauen mit kostbaren Pelzen über den Armen, Schneiderinnen, Coiffeusen, der Kellner aus der Kantine reihten sich im Hintergrund, der Befehle der grossen Emporgekommenen gewärtig. Hunderte von neugierigen Augenpaaren aus dem ganzen Saal hafteten auf den Erfolgreichen. Auf den Galerien standen Dutzende von Menschen, die, Gott weiss wie, wieder in das Glashaus gelangt waren, und starrten andächtig in die Tiefe. Auch die leichtsinnigen Hetären auf dem Holzstoss gafften stumm und i neidisch hinüber. Das meerblau bekränzte Blumenmädchen ganz oben zuckte wegwerfend die schmalen Schultern.

      „Bloss Dusel! . . Was die können, kann ich auch . . Wenn man mich bloss mal liesse . . . Ihr fühlt einem das nicht nach! Ihr habt keinen Ehrgeiz . .“

      Nein. Die um sie waren leichte Fliegen. Abends Statistinnen in den Revuen oder Tänzerinnen in den zahllosen Varietés und Kabaretts oder einfach mit dem Freund in der Luxusdiele. Die Sprecherin seufzte:

      „Man ist eben ’n armes Luder . .“

      „Haben Sie auch keine Eltern mehr?“

      „Heftig hab’ ich noch welche! . . Aber bei Vatern vermuffeln? Nee!“

      „Was ist er denn?“

      „Mittlerer Postschwede . . . unten am Rhein . . Im besetzten Gebiet . . Ich bin Rheinländerin . . Merken Sie das nicht schon an meinem Sprechanismus? Jü . . Wer tippt einem da von hinten auf die blanke Schulter . . . Sie erschrecken einen ja . .“

      „Verzeihen Sie . .“, sprach der kleine Mann aus Tarnopol hinter ihr. Er stiess mit der Zunge an, wenn er innerlich erregt war. „Kennen Sie mich? Nein? Werden Sie mich kennen lernen! . . Ted Turkowitz heiss ich . .“

      „Hallo! . . Fauler Kopp!“ brummte unten warnend eine der Hetären. Das Blumenmädchen von Byzanz verstand. Sie äugte den Fremdling froschkalt über die Schulter an und versetzte kurz:

      „Na — wenn schon . .“

      “Ich habe doch das Vergnügen, mit Fräulein Hansine Peternell . .“

      ,,Wenn Ihnen das Vergnügen macht . . .“

      „Endlich erwisch’ ich Sie, Fräulein Peternell! Ich suche Sie wie eine Stecknadel!“

      „Sind Sie vom Kriminal? Wollen Sie mich einstecken? Weswegen? Ich war’s nicht! Das sag’ ich gleich . .“

      „Engagieren will ich Sie, mein liebes Fräulein, — von morgen ab!“

      „Hm . . Schön . .“, sagte die Blumenverkäuferin sinnend. „Ich will sehen, dass ich meine anderweitigen Verpflichtungen verschieben kann . . . Wieviel? . . . Tarif? . .“

      „Vorsicht mit der Pinke-pinke . . .“, flüsterte es von unten.

      „Tarif . . .“ Ted Turkowitz wiegte mitleidig das glänzend schwarzgeölte Köpfchen . . . „Spass: Tarif . . .“

      „Den Tarif müssen Sie doch kennen? . . Sie sind doch Hilfsregisseur?“

      „Ich bin der Generaldirektor der neugegründeten Memoria-Film-Gesellschaft’, die heute noch in das Handelsregister eingetragen wird. Wir drehen als erstes Bild unserer Produktion von morgen ab in Berlin und im Orient den Monumental-Film: ,Die Geheimnisse von Stambul!’ Für die männliche Hauptrolle


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