Gegen Morgen. Walther von Hollander

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Gegen Morgen - Walther von Hollander


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habe ich nie gesehen Sie spielen aber im Leben Karl Rastas so sehr die entscheidende Rolle, daß ich ganz kurz wenigstens das hierher setze, was ich im Laufe der Zeit über sie in Erfahrung bringen konnte.

      Ferdinand Eckbohm, ein Vetter zweiten Grades von Hermann Rasta, war Großfarmer in Argentinien gewesen und kam ein Jahr, nachdem ich die Universität bezogen hatte, in meine Heimatstadt. Er war verheiratet mit Clarissa Eckbohm, die gleichfalls eine Deutsch-Argentinierin war, und hatte mit ihr eine zur Zeit der Entscheidung vierzehnjährige Tochter mit Namen Sylvia. Clarissa soll eine Dame von ungewöhnlicher Schönheit gewesen sein. Ihr Temperament allerdings wird als so jäh und ungezügelt, so launenhaft und ziellos geschildert, daß ich sie kaum für eine reinrassige Deutsche halten kann, sondern eher für eine jener reizvollen, aber gefährlichen Mischlinge, wie sie häufiger aus jenen buntblütigen Kolonistengegenden herkommen. Karls Aufzeichnungen enthalten nähere Schilderungen über sie, die ich allerdings zum Teil für übertrieben halte und als charakteristischer für Karls bizarre Art zu sehen erachte als der Wahrheit entsprechend, obgleich es für Karl natürlich entscheidender ist, wie er sie sah, als wie sie in Wirklichkeit war.

      So oder so: die Tatsachen waren jedenfalls, daß die Eckbohms, die sehr reich waren, sich das wunderschöne Gut Willstetten, kaum zwei Stunden von unserer Stadt, kauften und diese Besitzung zu einem weithin bekannten, scheinbar äußerst anziehenden Herrensitz gestalteten. Wirklich muß ja die Mischung von alter Feudalkultur — die Eckbohms hatten Willstetten mit allem lebenden und toten Inventar übernommen — und argentinischer Buntheit (es sollen ganze Wagenzüge exotischer und südlicher Merkwürdigkeiten nachgezogen sein) sehr überraschend und anregend gewirkt haben. Besonders da in Ferdinand Eckbohm, dem blonden, baßbegabten heiteren Germanen, und Clarissa, der zwitschernden, schillernden, bunten Argentinierin, da in diesem merkwürdig zusammengefügten Ehepaar das reizvolle Durcheinander der Einrichtung ein gleichsam lebendiges Widerbild hatte. In einem kleinem Seitenflügel des Herrenhauses residierte nun die Gräfin, und obgleich sie ganz auf Kosten der Eckbohms gelebt haben soll, scheint sie sich durchaus am Platze und wohl gefühlt zu haben. Der plötzliche Tod Ferdinand Eckbohms im November 1918, durch den Clarissa Eckbohm Besitzerin eines Riesenvermögens in inländischen und ausländischen Besitztiteln wurde, bildet den Auftakt zu den letzten Ereignissen auf Willstetten, und der Prozeß, der sich an diesen Tod knüpfte, setzte den Schlußpunkt hinter das Leben Karls. Ich habe zwar immer am Leben Karls den lebhaftesten inneren Anteil genommen; unsere Verbindung aber, die nie ganz abbrach, bestand meist in einigen kurzen Briefen und Postkarten, in denen ich Karl stets über die Stationen meines Lebens auf dem Laufenden hielt, während Karls wenige Zeilen in aphoristischer Kürze und oft schlagender Absurdität über sein inneres Wachsen und Werden berichteten. Unser Briefwechsel bestand, wie Karl es einmal sehr treffend ausdrückte, darin, daß ich meine Stellung im Leben, er seine Stellung zum Leben berichtete. Für mich waren Karls Briefe stets Ereignisse, Nötigungen immer wieder zu erneuter Prüfung, und ich bekenne offen, daß ich viele entscheidende Erkenntnisse nur ihm verdanke. Und wiederum stelle ich mir die Frage: was eigentlich veranlaßte ihn, die Verbindung mit mir aufrecht zu erhalten? Oder sollte die Verbindung eigentlich nur Dorothea gegolten haben? Nicht wahrscheinlich — aber möglich. Denn jetzt kenne ich Karls Fähigkeit, neben vielerlei großen Plänen eine Unzahl kleiner Nebenpläne zu fördern, in einer Art Doppel- ja Vielfachleben gleichzeitig auf einer Hauptstraße und vielen Nebenstraßen zu marschieren und neben Wichtigem auch das Unwichtigste nicht aus dem Auge zu lassen.

      So mag er auch ein Jahrzehnt lang den Willen gehabt haben, sich Dorotheas auf dem Umweg über mich zu bemächtigen. Dieser Umweg war nötig, denn Dorothea und ich heirateten im Mai 1914 und lebten in denkbar glücklichster Ehe, bis der Krieg kam.

      Karl und ich fanden uns im gleichen Regiment und der gleichen Kompanie wieder und erlebten unter dem Zwange des gemeinsamen Schicksals die tiefsten Stunden unserer Freundschaft, Stunden, an denen während der Garnisonzeit Dorothea oft schweigend und ergriffen teilnahm. Irgendeine weitergehende Verständigung zwischen den beiden entdeckte ich nicht. Wir zogen gemeinsam ins Feld — ich gefaßt und bedrückt, Karl begeistert und tatendurstig, allerdings mehr um des Abenteuers als um des Vaterlandes willen, das ihm nie etwas bedeutete.

      Karl wurde sehr früh auf einem Patrouillengang schwer verwundet. Ein Auge wurde ihm herausgeschossen. (Es wurde übrigens sehr geschickt operiert, und es war später oft nur, als habe sich die Gespanntheit seines Blickes durch das Glasauge nur verschärft.) Er kam dann ins Kriegspressequartier und von dort zwei Jahre in geheimer Mission nach Zürich. Es hieß, er habe dem deutschen Gesandten große Dienste geleistet. Ich mußte den Krieg bis zum bitteren Ende durchmachen, kam aber unverletzt davon. Es hätte mich gewundert, wenn Karl nicht während der Revolution eine Rolle gespielt hätte, und in der Tat tauchte er als kommunistischer Minister eines thüringischen Staates auf, machte durch seine geistvollen Organisationspläne viel von sich reden, verschwand aber bald wieder, als er sah, daß er sich nicht durchsetzen konnte. Immerhin spielte diese Zeit im Prozeß keine unwesentliche Rolle, und ich muß zugeben, daß die Argumente in Karls Verteidigung aus einer Ethik stammten, die aus kommunistischen Doktrinen abgeleitet jenseits jeder staatenfügenden, ja jeder gemeinschaftsbildenden Ethik waren und insofern vielleicht wirklich Impulse seiner Taten bildeten, der Taten, mit denen er sich selbst ausgelöscht hat.

      Kurz nach seiner Ministerzeit sah ich Karl zum letztenmal vor jenem verhängnisvollen Prozeß wieder. Er schien seltsam ernüchtert, unruhig, gealtert und gehetzt. Auch hatte sich eine Verbitterung in seine Worte, ja in sein Gesicht gegraben, die einen erschreckenden Gegensatz zu Karls sonst unbekümmerten Wesen bildete. Wir stritten uns damals heftig, d. h. eigentlich stritt nur ich, und Karl saß mit dem starren Blick, der durch die Leblosigkeit des Glasauges etwas Bedrückendes erhielt, nur immer zwischen Dorothea und mir hin und her. Es handelte sich um die Möglichkeit der Stabilisierung allgemeingültiger Gesetze, und ich erinnere mich genau der letzten Worte Karls, Worte, die mir rückwärtsleuchtend seine Tat zu erhellen scheinen: „Ich bin über die Grenze hinaus und kann darum Wort, Meinung und Tat beliebig wechseln, es kommt darauf nicht an.“ Worauf es ankäme, hat er mir nicht gesagt. Ich weiß aber noch, daß ich mich ärgerte, weil Dorothea, die unmöglich die Konsequenzen dieser Worte ergreifen konnte, zustimmend nickte. Äußerlich — berichtete er — ginge es ihm sehr schlecht. Er habe Pläne, wisse aber nicht, ob er sie ausführen könne. Im Augenblick habe er nichts, als was er auf dem Leibe trage, und werde zunächst Zuflucht in Willstetten suchen.

      Das war unser letztes Zusammensein vor den entscheidenden Ereignissen. Eine Zeitlang hörte ich nichts. Dann brach alles Schlag auf Schlag herein.

      Das erste Gerücht über Karl, das auch in unser abseitiges Heim drang, war, er bemühe sich in Willstetten sehr energisch und nicht aussichtslos um die Hand der Clarissa Eckbohm, er mache aber gleichzeitig und gewissermaßen in Reserve der fünfzehnjährigen Tochter Sylvia den Hof. Fest stünde, daß er Willstetten unbedingt in seinen Besitz bringen wolle, es sei nur ungewiß, ob er sein Ziel auf dem Umweg über die Mutter oder die Tochter erreichen wolle. Die materielle Seite dieser Gerüchte erschien mir kleinstädtischer Klatsch. Eher glaubte ich, daß auf Willstetten sich eines jener zahlreichen Liebesabenteuer Karls abspielte, und ich hielt es auch schon damals nicht für unmöglich, daß er — ein Casanova redivivus — sich gleichzeitig um die Gunst einer Mutter und Tochter erfolgreich bemühe. Ich hielt das um so eher für möglich, als er mir mit wirklichem Feuer diese beiden Frauen als in sich vollendete Vertreterinnen ihres Geschlechts geschildert hatte.

      Ich hielt mir im allgemeinen die Gerüchte fern, trat aber äußerlich für ihn ein und wurde immer wieder gezwungen, für ihn einzutreten. Denn merkwürdigerweise bildete Karls Leben fast in jeder Gesellschaft das Gesprächsthema und ich gestehe offen, daß ich mit immer größerer Hartnäckigkeit ihn verteidigte, je heftiger man über ihn herfiel. Ja, ich geriet geradezu in eine schiefe Stellung, ich kam in eine schwere Krise hinein durch die Erkenntnis, daß wirkliche Begabung bei allen Mittelmäßigen immer Anstoß erregt, und daß der Durchschnittsmensch es auf keinen Fall erträgt, wenn der Begabte seine Gaben nicht in seinem Dienst verbraucht.

      Meine sorgfältig aufgebaute Verteidigung wurde bald durch die Tatsachen weggeschwemmt. Etwa ein Vierteljahr nach Karls Ankunft in Willstetten starb Clarissa Eckbohm plötzlich und ohne vorherige Krankheit — wie es sich dann scheinbar klar herausstellte, Selbstmord durch Gift. Nach Testamentseröffnung ergab


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