Gegen Morgen. Walther von Hollander

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Gegen Morgen - Walther von Hollander


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Verteidigung zukommen lassen. Geh nun. Laß mich. Lassen auch Sie mich, gnädige Frau, zehn Minuten unter den alten Möbeln sitzen, ich gehe dann.“

      Warum ich Narr ihm glaubte, warum ich meinen Anzug gehorsam wieder hinaustrug, warum ich so den beiden Zeit ließ zu ihrer verbrecherischen Verabredung, das weiß ich nicht mehr und habe es mit unbehörten Qualen bezahlt.

      Jedenfalls war Dorothea fort, als ich wiederkam, Karl aber ging auf mich zu, umarmte mich und küßte mich. Es war der einzige Kuß, den er je mir gab (unsere Freundschaft war ganz unzärtlich), und war ein Judaskuß. Er schob mich in mein Zimmer, ich legte mich nieder und hörte keinen Laut von nebenan. Etwa nach einer halben Stunde erst — gerade wollte ich ihn mahnen, daß er nun gehen müsse — hörte ich ihn leise das Fenster öffnen, hinaussteigen und Weggehen. Unter seinen letzten Schritten schon fiel ich in totenähnlichen Schlaf.

      Es ist bekannt, daß der Mörder Karl Rasta, nachdem er von seiner Flucht freiwillig zurückgekehrt war, am nächsten Tage unter Hinterlassung eines Briefes an mich seinem Leben im Gefängnis selbst ein Ende setzte.

      Ich hatte die Nachricht erwartet und atmete auf, denn es schien mir der einzige Ausweg dieses Menschen aus den Netzen, in die er sich verfangen. Da reckte der Tote sich auf und zerschlug mein Leben. Dorothea fiel bei der Nachricht von seinem Tod in eine sanfte Ohnmacht. Als sie erwachte, erzählte sie mir ganz ruhig, und als sei es nichts Ungeheuerliches, daß Karl Rasta sie in der letzten Nacht verführt habe, oder, wie sie sich ausdrückte, und was ich nun und nimmer glaube, daß sie ihn unter dem mächtigen Zwang der Liebe verführt habe.

      Wie ist es möglich, daß diese Frau erst bei meinem Aufschrei spürte, was da geschehen war, daß da erst die Schleusen in ihr brachen und Entsetzen, Hohn, Krampf und Gelächter sie überschwemmten? Wie ist es möglich? — das sind die Höllenworte, die mein Herz verbrannten, und die keine Antwort gefunden haben. Auch nicht, in jenen letzten Erklärungen Karls, die meinem Schmerz, meinem Verlust, diesem teuren Leben gegenüber mir erscheinen wie eine höhnische Farce.

      Nein, bei aller Anerkennung Karls: hier in seinem Sexus lag der Keim zu seinem Verderben, und zu dem Verderben, das er um sich gesät hat. Er gehörte zu jener Klasse von unersättlichen Männern, die jede Frau besitzen zu müssen meinen. Und es gehört nicht viel dazu, Pessimist zu werden bei der Erkenntnis, daß es nur wenig Frauen gibt, die sich aus solchem Grund von solchen Männern abwenden.

      Wie ist es möglich, daß Dorothee ... aber nein, es sind genug Fragen über meinen Kopf geschwirrt, und haben mir mit Sensen das Haar abgemäht. Ich bin alt geworden und wäre mein Kind nicht ...

      Dennoch stehe hier das Bekenntnis: Dorothea, ich habe dich immer geliebt, und nicht weniger seit jener Nacht, und, so sehr ich vielleicht wollte, es hat mich nie geekelt vor dir, ich habe schließlich (o Rätsel!) nie zu richten vermocht über dich.

      Sicher ist, daß ich sie nicht mit Vorwürfen in den Tod trieb. O nein, ich sah angstvoll ihr Welken, ich habe sie beschirmt und behütet. Der Name Karl Rasta ist zwischen uns nicht gefallen. Auch nicht, als sie schwanger wurde und wir beide wußten, daß sie ein Kind trug, das nicht mein Kind war. Dieses Kind — ich mag nicht länger schreiben — hat Dorothea getötet. Karl Rasta hat Dorothea getötet. Und wenn es wahr sein mag, daß er wirklich an dem Tode der anderen nicht schuldig war, so kann ich nicht anders, als seinem Schatten, der mich oft nächtens peinigt, zurufen: Mörder! Mörder!!

      Dorothea starb im fünften Monate ihrer zweiten Schwangerschaft, ohne daß eine Krankheit an ihr festzustellen war. Ihr Herz hatte eines Nachts ausgesetzt. So fand ich sie morgens tot, mit dem Schrecken im Gesicht, von dem ich sagte.

      Ich lebe, mein Kind lebt. Es wird Frühling. O wie wenig, wie wenig ist das! Die Erde bricht auf zu Blüte und Gras. Unten aber liegen die Toten, denen kein Licht scheint, und der Schrei der Nachtigall dringt nicht durch die Decke der Erde.

      Ich aber trete in die Dunkelheit zurück und gebe das Wort an Karl Rasta. Es wird sich vielleicht doch jemand finden, der besser versteht als ich, was es um diesen Mann ist.

      Karl Rasta

      Dokumente zu meinem Leben

      Der erste Tag

      In dem Augenblick, da die Verwerfung meines Revisionsantrages mir ausgehändigt wurde, fühlte ich nichts. Als aber der Barbier die Maschine ansetzte, um mir den Glattschädel des Strafgefangenen zu scheren, begann das Frösteln, und als ich in die neue Zelle geführt wurde, nun nicht mehr angeklagt, sondern verurteilt, brach ich zusammen.

      Endlich allein, ich allein einem Schicksal ausgeliefert. Kaum, daß der Stuhl zitterte, auf dem ich niederfiel. Hier gibt es kein Ausweichen. Die vollständige Vereinzelung meines Geschickes ist schon Tod.

      Ich bin in der „sicheren“ Zelle der Todeskandidaten. Das winzige Fenster geht nach Norden, den Gang der Sonne kann man nur am Schatten des Gefängnisturms abmessen, der über die gegenüberliegende Häuserwand marschiert.

      Wenn ich mein Gesicht in die blaukarierten Kissen drücke, mischt sich meinem heißen Atem der Angstschweiß meiner Schicksalsvorgänger. Der üble Geruch ist ihre letzte Spur auf Erden. Ich fühle den Gestank wie einen Strick, an dem man mich hinter den anderen Mördern herschleift.

      Gut. Die Jagd ist zu Ende. Unverwundet bin ich in die Netze der Jäger gefallen. Das Fangmesser blitzt ... Gut.

      Mein Leben ist abgeschlossen. Durch den merkwürdigen Zufall, daß man sich nicht mit meiner Verurteilung wegen Mordes an Clarissa und Sylvia Eckbohm begnügt, sondern noch Anklage erhoben hat wegen Mordes an Ferdinand Eckbohm, bin ich in ein Vakuum geraten. Ich bin ein Toter, der sich gegen einen zweiten Tod verteidigen soll. Ich bin ein Toter, der noch eine bestimmte Frist zu leben hat. Ich habe vier Wochen Zeit.

      Vier Wochen. Ich werde wider Willen die Tage zählen. Ich werde wider Willen mich angstvoll gegen das Zerrinnen dieses kärglichen Daseins stemmen. Ich werde natürlich nicht an meinen Tod glauben, bis zu dem Augenblick, in dem ich auf den Block festgeschnallt werde.

      Achtundzwanzig Tage. Einundzwanzig Tage bis zur Verhandlung, sieben Tage bis zur Bestätigung. Wir haben heute den 22. März 1920, am 18. April 1920 werde ich hingerichtet.

      Die ersten Stunden sind mit Zittern dahingegangen. Jetzt habe ich Tinte, Feder, Papier. Ich darf schreiben. Meine Verteidigung in der Mordsache Ferdinand Eckbohm. Ich kann schreiben, ich werde der ganzen Geschichte auf den Grund kommen.

      Letzten Endes spüre ich nämlich ganz genau, daß ich vollständig zu Recht verurteilt bin, oder besser: daß zu Recht mich dieses Urteil vernichtet. Ich habe das nicht gekonnt, wozu ich Macht hatte, ich bin schwindelnd über ein Drahtseil zwischen Türmen gegangen. Wie kann ich mich beklagen, daß ich mir auf dem Markt den Kopf zerschmettere, mich wundern über die Wut der Budiker, denen mein Hirn die Schokolade bespritzt.

      Pölke, mein Wärter, hat mir Sylvias Kissen wieder hereingeschmuggelt. Ich sah im Dämmern, daß er Tränen in den Augen hatte. Als er fort war, lagen auf meinem Tisch Zigaretten, Streichhölzer und eine Kerze. Ich habe das Licht ganz abgeblendet. Es beleuchtet nur den winzigen Umkreis, auf dem ich schreibe. Sonst würde eine Wache kommen und polternd in meine Zelle brechen.

      Aber ich will diesen ersten Tag leichtsinnig beenden. Ein bißchen zittern mir auch die Hände. Ich werde im Dunkeln eine Zigarette rauchen und dem Regen nachhorchen, der eilig über das Schieferdach in die Traufen gleitet. Ich werde ein wenig in den Regen hinausriechen, man kann manchmal den Geruch von Gras und jungen Stachelbeerblättern bis hier hinauf spüren.

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