Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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geritten sei. Mutter sah sie an und schüttelte ein wenig den Kopf, aber sie sagte doch: „Na, das ist aber fein!“, und Vater gratulierte ihr feierlich. „Vielleicht wirst du mal Olympiasiegerin!“ sagte er und verbeugte sich. Bei ihm war solch ein Spaß nie kränkend, sondern nur lustig.

      Abends konnte Anja nicht einschlafen. Hätte sie doch nichts davon erzählen sollen? War es dumm gewesen? Vater würde sicherlich nichts dagegen haben, wenn sie in den Reitverein ging – oder doch wenigstens einen Voltigierkursus mitmachte. Aber Mutter …

      Sie hatte solchen Durst; so stand sie noch einmal auf. Barfuß tastete sie sich durch den Flur, der Küche zu. Die Eltern saßen im Wohnzimmer, von dem aus eine Durchreiche – Vater nannte sie „Freßloch“ – wie ein Fensterchen in die Küche führte, durch die man Teller und Tassen, Kaffeekanne und Suppenterrine hindurchgeben konnte. Diese Durchreiche stand halb offen, so daß Anja in der Küche kein Licht zu machen brauchte. Das war gut. Mutter konnte es nämlich gar nicht leiden, wenn man aus dem Bett noch einmal zurückkam, um etwas zu holen. Sie hatte das früher ‚als sie noch klein und allein mit Mutter war, manchen Abend fünf- bis zehnmal getan, und Mutter nannte es das „Wiedergehen“. Jetzt, da Anja größer war und nur bei wirklichen Anlässen noch einmal zurückkam, schalt sie nicht mehr so. Aber Anja ging dann unwillkürlich sehr leise, auch heute. Sie schlich zum Küchenschrank, nahm ein Glas heraus und füllte es lautlos am Wasserhahn. Dabei hörte sie etwas …

      „Ach ja, der Reitverein, der Reitverein, der Reitverein. Beim Aufwachen, beim Einschlafen, den ganzen Tag über. Es würde mich nicht wundern, wenn sie in der Schule, nach irgendeiner Vokabel gefragt, ‚der Reitverein‘ antwortete. Sie ist wie verhext.“

      „Na, so ein Unglück ist das ja nicht.“ Vater brummte vor sich hin, schien die Zeitung zu lesen. Anja verstand ihn aber doch. Sie stand da und hielt den Atem an. Wenn er jetzt doch sagte: Da schicken wir sie doch hin …

      Nein, er sagte es nicht. Er sagte etwas anderes. „Ich meine, wenn sie dorthin läuft, wissen wir wenigstens, wo sie steckt. Wir bekamen nämlich heute in der Schule einen Hinweis, wir Lehrer nur – ja, es soll zunächst nicht veröffentlicht werden, weil der Betreffende dann selbst gewarnt würde – es ist, kurz und schlecht, wieder mal einer von diesen schrecklichen Gesellen in der Stadt, die Kinder an sich locken und mitnehmen. Nun, nun, mach nicht so ein verstörtes Gesicht. Etwas Ernstliches ist noch nicht passiert, er ist zweimal beobachtet und gestört worden – das heißt, das Kind ist im letzten Augenblick ausgerückt, wer aber weiß, wie es das nächstemal ausgeht. Das ist ja wie eine Krankheit bei diesen Leuten, sie können nichts dafür, trotzdem ist es eine große Gefahr. Die Polizei ist verständigt, sie haben ihn auch ums Haar erwischt, er entkam dann aber doch. Vielleicht verläßt er die Stadt ja auch, wenn er merkt, daß man aufpaßt.“ Vater hatte gesehen, wie entsetzt Mutter schaute.

      „Da darf Anja nie mehr allein –“

      „Aber Erika“, sagte Vater begütigend, „wir können sie doch nicht festbinden. Warnen müssen wir sie, und das tu’ ich morgen auch, und zwar eindringlich. Sie aber deshalb zu Stubenarrest zu verdonnern, dafür bin ich nicht. Dieser Mann ist übrigens ziemlich leicht zu erkennen, soll eine Narbe auf der linken Wange haben, die man gut erkennt. Wenn man den Kindern das sagt, so ist damit schon viel gewonnen. Außerdem waren es beide Male kleine Jungen, die er versuchte mitzulocken, keine Mädchen.“

      „Ach, heutzutage, wo alle in Hosen rumlaufen und die gleichen langen oder kurzen Haare tragen …“Mutters Stimme hörte man an, daß sie ganz außer sich war vor Sorge. „Nein, nein, Anja muß jetzt immer sagen, wohin sie geht, und pünktlich wieder zu Hause sein. Ich gebe ihr von morgen an meine Armbanduhr, sie hat sich mal eine gewünscht, die dann aber sehr bald verloren. Für mich reicht die Küchenuhr, die sehe ich ja immer. Sie bekommt meine!“

      Anja hatte das Glas leer getrunken, ohne es zu merken. Sie stellte es lautlos weg, schlich rückwärts zur Tür. Wenn sie ihr jetzt verboten, zu Kerlchen zu gehen – sie würde es heimlich tun. Sie würde, würde – aber eine eigene Uhr zu haben wäre gut. Im Reitstall hing keine, nur in der Halle die große. Es würde gut sein, immer zu wissen, wie spät es ist, man konnte sich dann zu Hause zeigen und wieder entwischen …

      Trotzdem lag Anja noch lange wach. Ob es auch so schreckliche Männer gab, die Pferde stahlen? Dann mußte sie erst recht auf Kerlchen aufpassen, wenn er auf der Weide stand. Nein, zu Hause bleiben und überhaupt nicht mehr wegdürfen, auch nicht zum Helfen, das gab es nicht. Da machte sie nicht mit. Außerdem – mit fremden Männern ging sie sowieso nicht, das hatte Mutter ihr schon immer gesagt, so dumm war sie nicht. Mutter dachte ja immer, man wäre noch ein Baby, vollkommen kindisch und blöd …

      Geritten war sie, das zweitemal schon, und morgen würde sie wieder reiten. Morgen und übermorgen und jeden Tag. Wenn Herr Anders es ihr von sich aus erlaubt, ja angeboten hatte, so würde er das bestimmt wieder tun. Wenn doch alle so wären wie Herr Anders …

      Anja seufzte und drehte sich auf die andere Seite. Ob Kerlchen schon schlief? Und dann sah sie ihn über die weiße, verschneite Koppel auf sich zukommen, vertraut und lieb, und mit der Nase ihre Manteltasche durchsuchen –

      „Die muß ich ja noch annähen“, dachte Anja noch und lachte ein bißchen, gleich darauf war sie fest eingeschlafen.

      Eine Taufe, und was man dabei erleben kann

      Das Innere der Kirche war hell, weiß und glatt, ohne Schmuck, nur neben dem Altar stand eine schöne barocke Figur. Und auf der anderen Seite lag der Adventskranz auf einem weißen Steinsockel; eine seiner dicken Kerzen brannte. Anja blickte die ganze Zeit in dieses am hellen Vormittag fast unwirklich scheinende Licht und hörte nur mit halbem Ohr auf das, was der Pfarrer sagte. Vater und Mutter hatten je einen der Zwillinge auf dem Schoß, sie wiegten sie ein wenig hin und her und versuchten, sie zu beruhigen und zu beschwichtigen, wenn sie mauzen wollten. Schließlich durften sie aufstehen und an den Taufstein treten. Anja stand auch auf und folgte ihnen. Außer ihr waren noch zwei Paten da, Vaters jüngerer Bruder Kurt für Volker und Mutters Kusine für Reinhold. Mutter hatte keine Geschwister.

      Jetzt setzte die Orgel ein, rauschend, gewaltig. Die Erwachsenen sangen mit, Anja kannte das Lied nicht, aber sie fand es schön. Zum Schluß kam dann noch eins, das sie konnte und mitsang, sogar die Melodie, die sie so liebte. Es war ein Adventschoral.

      Es war ja Advent, erster Advent, und draußen immer noch Schnee. Ob der bis Weihnachten blieb? Das wäre etwas ganz Besonderes! Vielleicht konnte sie sich zu Weihnachten wünschen, daß sie in den Reitverein dürfte, richtig als Mitglied, zum Reitenlernen? Das war teuer, sie hatte es von verschiedenen Seiten gehört. Wenn sie sich nichts, aber auch gar nichts anderes wünschte, nur das?

      „Na, du guckst ja so verträumt – wo warst du denn mit deinen Gedanken?“ fragte die junge Tante munter, als der Taufakt vorbei war und sie auf die Kirchentür zugingen. „War es nicht schön? Ich wünsche mir auch Zwillinge, und die taufe ich dann auch zu Advent, und dann bist du Patin, so wie ich jetzt bei deinem Brüderchen. Wirst du ja sagen?“

      „Wenn man sich Zwillinge einfach so bestellen kann …“

      „Leider nicht. Und ich habe noch nicht einmal einen Mann, also kannst du dir’s noch überlegen“, sagte Tante Sabine und nahm Mutter das Baby ab. „Aber einen Patensohn hab’ ich nun wenigstens, und um den werde ich mich kümmern, das könnt ihr glauben! Ich hab’ mich so gefreut, daß ihr mich für dieses Ehrenamt erwählt habt! Und auf den Besuch bei euch und auf die Taufe und alles.“

      Anja hatte sich auf die Taufe überhaupt nicht gefreut. Immerzu: Das müssen wir zur Taufe haben und jenes – und wenn erst Taufe ist – und: aber zur Taufe …

      Auch jetzt fand sie es nicht überwältigend. Die Feier war schön in dem hellen Gotteshaus, und daß erster Advent war, freute sie auch, aber den ganzen Nachmittag nur mit Erwachsenen zusammensein zu müssen und zu helfen und zu laufen und zu springen, um die anderen zu bedienen, das war keine wunderbare Aussicht. Um so mehr leuchtete ihr Gesicht auf, als sie, aus der Kirche heraustretend, Petra sah. Petra! Sie stand auf der obersten Stufe der Kirchentreppe und hielt einen riesigen Rosenstrauß in den Händen.

      „Für


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