Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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ihr.

      Anja nahm den Zügel ab und machte Kerlchen das Stallhalfter an; den Sattel nahm Herr Anders herunter, so hoch reichte sie nicht hinauf. Sie wusch Kerlchen die Nüstern und die Sattellage und die Fesseln, wie man es nach einer Reitstunde tut, trödelte aber nicht, denn sie wollte wieder in die Halle. Dort lief ja jetzt das Programm weiter, und sie wollte sowenig wie möglich verpassen. Als der letzte Huf ausgekratzt war, rannte sie hinunter. Sie kam gerade zur Springquadrille zurecht.

      Es ritten Cornelia auf Flieder, Petra auf Rumpel, Paul auf Wisky und Thilo auf Creon. Die Musik hatte man abgestellt, der Reitlehrer fand das besser. Die Zuschauer, die nach dem Vorstellen der Pferde geschwatzt und gelacht hatten, schwiegen jetzt und drängten sich an die Barriere.

      O ja, es war spannend. Das Tempo scharf, schneller als neulich beim Training, die Pferde flogen nur so über die Hindernisse. Und die Wendungen! Die Halle war relativ eng. Anja stand die ganze Zeit nur auf einem Bein, die Faust zwischen die Zähne gedrückt. Einmal erwischte es Paul, er räumte den Sattel; sie hatte nicht mitgekriegt, warum, weil sie gerade zu Cornelia hingesehen hatte, sah nur, wie er sich wieder am Sattel emporzog, katzengleich, gewandt. Es gelang ihm so schnell, daß keine Verzögerung eintrat – wahrhaftig ein Meisterstück, fand sie. Die anderen fanden das übrigens auch. Als die Quadrille zu Ende war, wurde laut geklatscht, und viele sagten, Paul gebühre die Krone, er sei zwar ausgestiegen – „herunterfallen“ sagt kein Reiter –, aber doch unglaublich geschickt wieder in den Sattel gekommen. Ein Zuschauer lachte allerdings und meinte, oben bleiben wäre vielleicht noch verdienstvoller gewesen …

      „Ja, bleiben Sie mal oben, wenn –“ Anja sah zu ihm auf und sprach nicht weiter, so erstaunt war sie. Das war ja Onkel Kurt, der da neben ihr stand!

      „Wie kommst du denn hierher?“ fragte sie nicht gerade sehr geistreich.

      „Auf meinen zwei Beinen, wenn du gestattest. Ich wollte so gern – nachdem ich die Hauptprobe sah –“ Er war tatsächlich etwas verlegen. „Du, Anja, eigentlich brauchst du das zu Hause nicht zu erzählen, ich meine –“

      „Warum denn nicht? Aber ich tue es schon nicht. Erzählst du aber dann auch nicht, daß ich vorhin mitgeritten bin?“ Etwas hatte Anja schon von Petra gelernt. Onkel Kurt sah belustigt auf sie herab.

      „Gut, was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Sag, reitet Cornelia noch was mit?“

      „Nein, ich glaub’, sie ist fertig. Willst du zu ihr? Ich geh’ mit. Bis zur nächsten Nummer dauert es sowieso noch ein Weilchen, weil sie erst die Hindernisse wegräumen müssen. Du, ich hab’ Durst, könnten wir nicht einen Sprudel trinken?“

      „Gibt’s hier welchen? Dann los, von mir aus. Aber schnell.“ Sie drängten durch die Menge. Unten in der Halle waren die Kerzen ausgeblasen worden, der Kranz wurde hinausgetragen, und die Hindernisse verschwanden. Alles ging schnell und reibungslos, der Reitlehrer hatte seine Helfer gut im Zug.

      Anja rannte, Onkel Kurt hinter sich, erst zum Reiterstübel und trank dort ihren Sprudel. Sie hatte wirklich einen schrecklichen Durst gehabt, von der Aufregung, vom Schnellatmen beim Reiten. Dann zog sie ihn zum Stall. Darin guckte sie sich um, sah Cornelia, die im Stand bei Flieder war, und rief ihr zu: „Jemand will Sie sprechen! War wunderbar, alles ist begeistert. Ich geh’ wieder hin.“ Weg war sie. Onkel Kurt trat zu Cornelia in Flieders Stand.

      „Vorsicht!“ sagte die und lachte. „Er mag es nicht, wenn zwei in seinen Stand kommen. Dann drängelt er und läßt einen nicht mehr raus.“

      Sie war froh, daß Flieder diese Unart hatte. So konnte sie einigermaßen gut verbergen, daß sie rot geworden war, ziemlich rot und verlegen. Onkel Kurt merkte es nicht, er stand zwischen Flieders Hinterteil und der Boxenwand eingeklemmt und sah sie hilfesuchend an. Sie lehnte sich gegen Flieders Flanke und schob und schob mit ihrem ganzen Gewicht – nun konnte das Rotwerden auch davon kommen, wenn er es überhaupt hier im Dämmern des Stalles sah …

      Unten in der Halle fanden jetzt ein paar lustige Spiele statt, die der Reiternachwuchs bestritt. Drei ungefähr gleichaltrige Reiterinnen mußten mit ihren Pferden an der kurzen Seite der Halle halten, während an der gegenüberliegenden, also direkt bei den Zuschauern, drei Eimer mit Wasser aufgestellt wurden. In jeden kam ein Apfel hinein. Dann wurde das Startzeichen gegeben.

      Die Reiterinnen trieben ihre Pferde so schnell wie möglich auf die Eimer zu, sprangen ab und versuchten, mit den Zähnen den Apfel aus dem Eimer zu fischen, während sie mit einer Hand das Pferd am Zügel hielten. Die Äpfel waren nicht sehr groß, man konnte sie mit weit aufgerissenem Mund schon erwischen, aber es sollte ja ganz schnell gehen. Immer wieder plumpste ein Apfel zurück, die Reiterin wurde bespritzt, das Pferd warf den Kopf – alles lachte. Endlich hatte eine es geschafft, schwang sich, den Apfel im Mund, auf ihr Pferd und preschte zurück, die beiden anderen nacheinander ihr nach. Atemlos nahmen sie die Äpfel aus dem Mund und verfütterten sie an ihre Pferde, während die Zuschauer klatschten. Und dann kam ein neues Wettspiel dran, genauso spannend und erheiternd.

      In der Mitte der langen Seiten war je ein etwa ein Meter hoher Leuchter aufgestellt, und darauf stand eine dicke, brennende Kerze. Nun mußten die Reiter – diesmal waren es sechs, drei Jungen und drei Mädchen – im Galopp vorbeireiten und sie ausblasen. Wer als erster eine Kerze ausblies, hatte gewonnen. Es war gar nicht so leicht, immer wieder galoppierten sie so nahe wie möglich vorbei und bliesen und pusteten, die Flammen der Kerzen bogen sich zwar zur Seite und flackerten, aber aus gingen sie nicht.

      Und dann kam die „Reise nach Jerusalem“ zu Pferde dran, das war der Höhepunkt.

      In der Halle wurden sieben Stühle im Kreis aufgestellt, und acht Reiter mußten rundum reiten, diesmal in flottem Trab. Der Reitlehrer stand mit den Zuschauern auf der Tribüne und hatte eine Tischglocke in der Hand. Wenn er klingelte, mußten die Reiter absitzen und, die Pferde hinter sich am Zügel, zu den Stühlen rennen, um sich zu setzen. Einer der Reiter blieb übrig, und der schied aus. Dann wurde ein Stuhl weggenommen, und es ging von vorn los.

      Diesmal war auch Petra dabei, und zwar nicht auf Rumpel, sondern auf Moni, einer etwas hibbligen Araberstute – warum, wußte Anja nicht. Sie sah wie gebannt auf die Freundin, die es kaum fertigbrachte, Moni im Trab zu halten. An jeder Ecke versuchte die Stute, in Galopp zu fallen, bockte oder hob sich auf die Hinterbeine – Petra war darauf gefaßt und beugte sich vor, legte beide Arme um den Pferdehals, balancierte das Pferd aus. So, jetzt stand es wieder auf vier Beinen, los, weiter …

      Alle Zuschauer hielten den Atem an. Und Petra mußte zum allgemeinen Bedauern schon beim zweitenmal ausscheiden, weil sie keinen Stuhl erwischte. Sie lachte aber und machte sich nichts draus, wie man deutlich sah. Moni hinter sich herziehend, verließ sie winkend die Halle und hatte noch einen kleinen Sonderapplaus.

      Und wieder einmal ging es durch Anjas Herz hin: So wie Petra müßte man sein. So vergnügt, so mutig, so unbefangen. Alle liebten Petra – nie, ach, nie würde sie, Anja, so sein können.

      … und was beinahe dabei passiert wäre

      Anja schob sich zwischen den Zuschauern durch, um zu Petra zu gelangen. Es war schwierig; die Leute standen dicht an dicht, und sie kam nicht vorwärts. Schließlich gab sie auf. Petra hatte sicher schon abgesattelt und stürzte sich nun ihrerseits in das Gewühl, das auf der Tribüne herrschte. Gleich darauf klingelte es, und die Tür der Halle ging auf: Der Nikolaus kam.

      Na, dann blieb sie also, wo sie war, um so mehr, als sie sah, daß der Nikolaus von einem Engelchen begleitet wurde, das sie sogleich erkannte: Petra. Sie mußte sich in rasender Eile umgezogen haben; sie trug jetzt ein langes weißes Nachthemd – über Hose und Stiefeln, wenn man genau hinsah hatte eine Perücke mit goldenen Lokken auf, die sie sehr veränderte, und sogar ein paar Flügel an die Schultern geschnallt. Ihr rundes Lausejungengesicht als Engelsköpfchen – alle lachten. Sie zog ein Pferd hinter sich her, das zwei vollgestopfte Säcke auf seinem Rücken trug. Das Pferd war Kerlchen. Anja fand es einerseits etwas belämmernd, daß man gerade Kerlchen genommen hatte; denn eigentlich kommt der Nikolaus ja mit einem Esel. Stufte man Kerlchen, der das Gnadenbrot bekam und höchstens hie und da einmal aushalf, jetzt als Esel ein? Andererseits war sie in seinem Sinne


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